Verhandlung über Reform:Zweifel am neuen Wahlrecht

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Ein verfassungsgemäßes Wahlrecht sei das Fundament einer Demokratie, sagt Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Doch die Hüter des Grundgesetzes zweifeln, ob das von Schwarz-Gelb durchgesetzte Reformwerk diesem hohen Anspruch genügt. Hauptstreitpunkt sind die Überhangmandate, die große Parteien bevorzugen. Im Herbst 2013 wird gewählt - die Zeit für eine gründliche Prüfung ist knapp.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat die Parteien wegen ihres Vorgehens bei der Reform des Bundestagswahlrechts kritisiert. "Es wäre Aufgabe der Politik gewesen, rechtzeitig und möglichst einvernehmlich ein neues Wahlgesetz vorzulegen", sagte er zum Auftakt der Verhandlung über die Wahlrechtsreform in Karlsruhe. Zum großen Bedauern des Gerichts sei es den Parteien jedoch nicht gelungen, innerhalb der großzügig bemessenen dreijährigen Frist einen gemeinsamen Vorschlag auf den Weg zu bringen, monierte Voßkuhle.

Die Richter hatten 2008 das bisherige Wahlrecht zum Bundestag für teilweise verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist von drei Jahren zur Neuregelung gesetzt. Die Koalitionsparteien setzten im vergangenen Jahr das neue Wahlrecht gegen die Stimmen der Opposition durch; es trat erst fünf Monate nach Fristablauf in Kraft.

Voßkuhle kritisierte, die Politik habe nicht die von Karlsruhe gesetzte Frist bis zum 30. Juni 2011 eingehalten, sondern die Reform erst verspätet im Dezember in Kraft gesetzt. Jetzt werde die Zeit aber knapp, bis zur Bundestagswahl 2013 die Verfassungsmäßigkeit der neuen Wahlordnung zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, sagte Voßkuhle in seinen einleitenden Worten.

SPD und Grüne haben gegen die Regelung Klage eingereicht, außerdem liegt eine Verfassungsbeschwerde von mehr als 3000 Bürgern vor. Die Kläger beanstanden, das Wahlgesetz verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien.

Streitpunkt Überhangmandate

Der für das Verfahren zuständige Richter Michael Gerhardt machte von Anfang klar, dass es dieses Mal nicht nur um die Berechnung der Sitzkontingente und um die Verwertung von "Reststimmen" gehe, sondern auch um die Verfassungsmäßigkeit von Überhangmandaten.

Sie können entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate in den Wahlkreisen gewinnt als ihrem Anteil an Zweitstimmen entspricht. Diese Mandate "verschaffen der Union einen politischen Standortvorteil, für den andere Parteien 1,6 Millionen Wählerstimmen erringen müssen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Einzelne Wähler bekämen aufgrund der Überhangmandate ein doppeltes Stimmgewicht. Die Mandate seien "ein giftiger Stachel im Fleisch der Wahlrechtsgerechtigkeit".

"Die Gefahr steigt, dass sich im Parlament eine Mehrheit bildet, die nicht von einer Mehrheit der Wähler getragen wird", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck. Die Koalition habe kein Interesse an einer fairen Lösung gehabt. Es handele sich um eine "Methode der Mehrheitssicherung um jeden Preis".

Der CDU-Abgeordnete Günther Krings verteidigte die Neuregelung. Das Bundesverfassungsgericht hatte gefordert, den Effekt des sogenannten negativen Stimmgewichts zu beseitigen - demnach konnte es unter bestimmten Umständen passieren, dass eine Partei im Ergebnis weniger Sitze im Bundestag bekam, wenn die Zahl ihrer Zweitstimmen stieg. Dieser Auftrag sei umgesetzt worden. "Es ist ein minimalinvasiver Eingriff, der im Wahlrecht eben nur das Notwendige ändert", sagte Krings. Überdies sei die Koalition "nicht Profiteur" der Neuregelung. Sie hätte nach neuem Recht bei den vergangenen Wahlen zwei Mandate weniger erhalten, so Krings.

Obwohl die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl 2013 äußerst knapp sei, werde das Gericht das neue Wahlrecht sorgfältig prüfen, sagte Voßkuhle. "Denn ein verfassungsgemäßes Wahlrecht ist das unverzichtbare Fundament einer funktionierenden Demokratie." Ein Urteil ist erst in einigen Monaten zu erwarten.

© Süddeutsche.de/dpa/rtr/kemp - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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