Verhältnis islamischer Regierungen zur IS-Miliz:Fatale Beißhemmung gegenüber Radikalen

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Ein IS-Kämpfer in einem von der syrischen Armee eroberten Kampfjet im syrischen ath-Thaura: Wenn der Kampf gegen den Dschihad erfolgreich sein soll, braucht es radikale Veränderungen vor allem in der arabischen Welt (Foto: AP)

Allein mit Waffen ist der Kampf gegen den "Islamischen Staat" nicht zu gewinnen. Der sunnitische Klerus und islamische Regierungen müssen sich ihrer Mitverantwortung für das Desaster stellen.

Kommentar von Sonja Zekri, Kairo

Vorweg: Der Kampf gegen den Dschihad wird dauern - und zwar lange. Sehr lange. Die deutschen Panzerabwehrwaffen vom Typ Milan werden ihn nicht in die Knie zwingen, amerikanische Luftschläge nicht - auch nicht die neue Allianz aus zehn Nato-Staaten, darunter Deutschland, die nun gemeinsam mit kurdischen Peschmerga und amerika-feindlichen schiitischen Milizen gegen die Terror-AG im Irak und in Syrien kämpft.

Deutschlands plötzliches Engagement täuscht ein wenig darüber hinweg, dass der islamistische Terror in vielen Ländern zu Hause ist, dass er sich aus vielen Quellen speist - und dass all diese Quellen ausgetrocknet werden müssen, ehe die Gefahr sich verringert. Derzeit lässt sich die Expansion des IS-Reiches nur militärisch aufhalten, aber auch das hat Risiken. Der Islamische Staat hat jahrzehntelange Gegner angenähert: Amerika, Iran, Saudi-Arabien.

Selbst Syriens Präsident Baschar al-Assad drängt als routinierter Terroristen-Bekämpfer wieder an Bord. Sollten Washington und das alawitisch-schiitische Regime in Damaskus tatsächlich näher aneinanderrücken, würde dies die Sunniten der Region noch mehr verbittern. Im Irak fürchten viele Sunniten die säbelschwingenden Zottelköpfe kaum weniger als die irakischen Sicherheitskräfte, die sie - so sehen sie es - im Auftrag einer schiitisch dominierten Regierung schikaniert. Zudem produziert jeder Luftschlag gegen Dschihadisten, bei dem oft Zivilisten ums Leben kommen, weitere Extremisten. Beim Drohnenkrieg in Jemen kann man das gut beobachten.

Niemand weiß, ob die neue Harmonie unter den sonst verfeindeten kurdischen Gruppen, die nun gegen den IS kämpfen, hält. Zudem sind militärische Triumphe über Terroristen kurzlebig. Der Sturz der Taliban und der Sieg über al-Qaida in Afghanistan beispielsweise haben den Dschihad einerseits zersplittert, ihn andererseits radikalisiert. Lokale Dschihadfilialen in Nigeria oder demnächst vielleicht in Bangladesch überbieten einander an Kampfkraft und Finanzstärke, Medienpräsenz und Destruktivität - und an Gastkämpfern aus dem Ausland.

Saudi-Arabien bekommt die Quittung

Wenn der Kampf gegen den Dschihad erfolgreich sein soll, braucht es radikale Veränderungen vor allem in der arabischen Welt. Denn sie stellt noch immer das größte Kontingent ausländischer Kämpfer. Saudi-Arabiens Königshaus etwa graust es beim Anblick der Dschihadis im Irak, aber viele Saudis finden das Kalifat nicht schlecht. Von Kindesbeinen an lernen sie den bornierten Wahhabi-Islam, die Wirkung der Scharia- Körperstrafen und die Verderbtheit aller anderen Religionen. Saudi-Arabien hat viele radikale, ultrasunnitische Gruppen unterstützt, nun bekommt es die Quittung.

Die Türkei hat die Reisetätigkeit der Extremisten nach Syrien - und weiter in den Irak - jahrelang geduldet. Inzwischen marschieren IS-Sympathisanten mit schwarzen Flaggen, die Anwerbung von Rekruten floriert. Die islamistischen Regime haben eine fatale Beißhemmung gegenüber den Radikalen. Das rächt sich nun. Ohnehin wäre es hilfreich, wenn der sunnitische Klerus und die islamischen Regierungen sich ihrer Mitverantwortung für das Desaster stellen würden.

Denn der Islamische Staat ist nicht das Ergebnis einer israelisch-amerikanischen Verschwörung, er ist auch nicht das Ergebnis des titanischen Vernichtungswillens der von der Macht verdrängten Muslimbrüder - sondern teilweise auch das Ergebnis einer autoritären Politik, die Islamisten generell als Staatsfeinde einsperrt. Die Gesellschaften im Nahen Osten sind patriarchalische Zwingburgen und brauchen dringend mehr Luft, auch und vor allem religiös. Die gängigen Islam-Exegesen sind entweder staatsnah korrumpiert oder erstarrt. Beides fördert den Extremismus.

Allerdings sollte man den religiösen Kitsch von Zwanzigjährigen im Blutrausch auch nicht überbewerten. In Europa scheint der IS-Tourismus eher ein Unterschichtenphänomen von Neuerweckten. Die Kämpfer in Syrien oder Irak sind exemplarisch für eine gescheiterte Integration: Dschihad fürs Prekariat. Der Staat kann sich schützen: durch Überwachung, durch Aus- und Einreisekontrollen, durch den Einzug von Pässen, wo gesetzlich erlaubt. Aber der Aufbruch ist ja nur das Ergebnis einer intensiven Gehirnwäsche durch Foren und Werber im Internet, die schwerer zu überwachen sind als Grenzen.

Viele westliche Dschihadis sind nur Kanonenfutter, nicht alle kämpfen. Und niemand weiß, ob das Kalifat seine größte Ausdehnung nicht bereits erreicht hat. Der Dschihad kann zur existenziellen Gefahr werden für wankende Staaten wie Libyen, Jemen, Jordanien. Deutschland wird er treffen, aber nicht zerstören.

© SZ vom 08.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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