Vereinigte Staaten:Jeb Bush stolpert durch den Wahlkampf

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Null Charisma: Republikaner-Kandidat Jeb Bush spricht am 4. November 2015 in Manchester, New Hampshire. (Foto: REUTERS)

Unter den Republikanern eignet sich Jeb Bush wohl am ehesten fürs Weiße Haus. Charisma hat er allerdings überhaupt nicht.

Von Sacha Batthyany, Raymond

Jeb Bush steht in der Bibliothek von Raymond, einer Kleinstadt in New Hampshire, und will gerade etwas über seine Steuerpläne erzählen, als ein alter Mann seine Rede unterbricht und auf ihn zuwankt. "Die Brücken sind kaputt", sagt der Mann und hält Bush an der Schulter wie einen Sohn: "Was werden Sie für unsere maroden Brücken tun, wenn Sie Präsident sind?" Die etwa vierzig Zuhörer, die meisten weit über 60, fassen sich hinter ihre Ohrmuscheln, weil sie nicht mehr jedes Wort verstehen, und warten gespannt auf eine Antwort, während an der Decke drei Ventilatoren surren.

Amerikanischer Wahlkampf, das sind die Fernsehdebatten, die von Millionen von Menschen verfolgt werden; das sind die glitzernden Talkshows am Sonntag; das sind all die Berater, die den Erfolg ihrer Arbeit an der Größe der Schlagzeilen messen, die den Menschen die Köpfe verdrehen.

Plötzlich aber tritt der Lärm in den Hintergrund, denn auch das ist Wahlkampf in Amerika: vierzig Senioren in Raymond, die in Pick-ups von ihren Höfen angereist sind und nun wissen wollen, warum die Brücken kaputtgehen in ihrem doch so reichen Land.

Bush hat den Saal in der Tasche - anders als in Colorado

Es ist ein kritisches Publikum, schwer verführbare Menschen, die es gewohnt sind, dass Präsidentschaftsanwärter alle vier Jahre um ihre Stimmen buhlen. New Hampshire ist seit Anfang der Neunziger einer der umkämpften Swing States, wo mal Republikaner, mal Demokraten gewinnen. In weniger als drei Monaten finden hier außerdem die ersten Vorwahlen statt.

"Was für eine ausgezeichnete Frage", erwidert Bush und lässt sich vom alten Mann umarmen. "Ich wollte eben über Brücken sprechen", fügt er im Scherz hinzu. Es läuft gut für ihn hier draußen, wo die Luft nach Wald riecht und die Bars um neun Uhr schließen. Er hat den Saal in der Tasche. Zuletzt sah das für ihn anders aus.

Vor genau einer Woche stand Jeb Bush auf einer dieser staubfreien Fernsehbühnen in Boulder, Colorado, umringt von seinen neun Mitbewerbern um das höchste politische Amt der Vereinigten Staaten. 14 Millionen Fernsehzuschauer sahen ihnen zu, wie sie taten, als würden sie über Militärbudgets reden, eine Steuerreform, die Terrormiliz IS und die Flüchtlingsströme.

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Tatsächlich geht es in solchen Debatten darum, die wenige Zeit zu nutzen, um seinen Marktwert zu steigern. Bush war in den ersten Debatten blass geblieben, nun gab er sich lockerer und optimistisch, doch weil ihn niemand beachtete, attackierte er schließlich seinen einstigen Zögling Marco Rubio, was ihm jämmerlich misslang. Es gibt in jedem Wahlkampf Momente, die haften bleiben, vielleicht war das so einer.

Aus Bushs Zeit als Gouverneur in Florida gibt es ein Video, das ihn auf einer Bühne zeigt, wie er dem frisch gewählten Senator Rubio zu seiner Wahl gratuliert. "Ich bin stolz auf dich, Marco", sagt Bush und fängt an zu weinen, es seien "Tränen der Freude", ruft er ins Publikum.

Die beiden vereint eine lange gemeinsame Zeit, Bush war der Mentor, Rubio der Lehrling, doch jetzt hat ihn Rubio in den Umfragen überholt. Er ist der bessere Redner, er ist jünger, und er hat die perfekte Biografie: ein Kind kubanischer Einwanderer, der es bis ganz nach oben geschafft hat.

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Auch Rubio ist in New Hampshire auf Wahlkampf, für beide sind es entscheidende Wochen. Doch während Rubios Popularität steigt, weil er es schafft, die Ängste und Sorgen der Menschen anzusprechen, gleichzeitig aber hoffnungsvoll wirkt und eine "neue Zukunft" verspricht, scheinen Bushs Zustimmungswerte nur noch zu fallen. Selbst in Florida, seinem Heimatstaat, steht er seit einer Woche nur noch auf dem fünften Platz. Auch da hat ihn Rubio überholt.

Bush verfügt über null Charisma

Die sieben Tage zwischen der Fernsehdebatte in Boulder und den maroden Brücken von Raymond waren für Bush die vielleicht härtesten seines bisherigen Wahlkampfes. Noch im Sommer galt er als einer der Favoriten, über seine Lobbygruppe "Right to Rise" nahm er sehr früh 100 Millionen Dollar ein.

Nun aber heißt es, er müsse die Gehälter seiner Mitarbeiter kürzen, weil er sich verkalkuliert habe, außerdem seien wichtige Spender mangels Erfolg abgesprungen. Schon twittern sogenannte Experten, "Bushs Kampagne ist wahrscheinlich zu Ende", andere sprechen von der Todesspirale, dem Moment also, wenn einem Kandidaten nichts mehr gelingt, egal was er tut.

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Nur die Senioren in Raymond sehen das anders. "Endlich einer, der sich auskennt. Kein Blender", sagt Jack Barnes, 84. "Man sieht, dass er was vom Regieren versteht. Er ist im Fernsehen ganz anders." Tatsächlich wirkt Bush an diesem Abend wie ausgewechselt. Er ist der Mann der kleinen Bühnen, das zeigt sich auch am nächsten Tag, als er insgesamt fünf Auftritte hat. Erst in einer Schule, später in einer Apotheke, dann bei den Sheriffs von Hillsborough County.

Nach einem Zwischenstopp im Lions Club steht er abends vor Veteranen im Weltkriegs-Museum von Wolfeboro zwischen Armeefahrzeugen. Bush verfügt über null Charisma, und wenn er etwas Wichtiges zu sagen hat, zieht er die Hände auseinander, als würde er Ziehharmonika spielen, mehr Gestik hat er nicht drauf, dafür kann er minutenlang über die Probleme der russischen Minderheit in Estland und das Problem der Studienkredite sprechen - aber wird man so Präsident in diesem Land?

Immerhin, es läuft auch in Wolfeboro gut. Bush wird diesen Abend wieder als Erfolg verbuchen, bevor es weitergeht auf seiner "Jeb can fix it"-Tour. Das haben sich seine Berater ausgedacht: ein neuer Slogan, Symbol für den Neustart dieser verpatzten Kampagne. Jeb wird es richten, prangt auch auf seinem großen Bus auf dem Parkplatz, doch statt Likes gab es in den sozialen Medien nur Häme. Bushs neuer Spruch klingt, als wäre er ein Klempner.

Er scheint ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein, dieser John Ellis "Jeb" Bush, der mager geworden ist durch seine Paleo-Diät, eine an die Steinzeit angelehnte Ernährungsweise. Er war von 1999 bis 2007 Gouverneur in Florida, kurz bevor die Immobilienblase seinen Staat erschütterte. Bush wurde groß in der Ära der 24-Stunden-Nachrichtenkanäle, jetzt aber kann sich alles innerhalb von 24 Sekunden drehen, etwas Analoges haftet ihm an, als käme er mit dem digitalen Wandel nicht zurecht. "Ich bin einer, der zuhört, der lernt und dann handelt", sagt er.

Sein Ziel sei ein Wirtschaftswachstum von vier Prozent, ein Abbau des aufgeblähten Staates. Bush ist einer der Moderaten unter den Republikanern, er befürwortet das Subsidiaritätsprinzip, plädiert für Eigenverantwortung und will Familie und Gemeinschaft stärken. Im Unterschied zu den "talentierten Rednern auf der Bühne", wie er seine Konkurrenten nennt, gibt er sich bescheiden, "ein Diener des Volkes", das sei er schon in Florida gewesen, "meine Erfahrung ist meine Stärke", wiederholt er. Nur ist sein Pech, dass sich in diesem Wahlkampf, abgesehen von ein paar Veteranen und Senioren, offenbar nur wenige für Erfahrung interessieren und Bescheidenheit nicht gerade zu den Tugenden gehört, mit denen man Amerikaner derzeit begeistert.

Wenn die Show von Trump und Carson vorbei ist, will Bush übrigbleiben

Donald Trump, der für seine Auftritte Football-Stadien mietet, führt sämtliche Umfragen an, gerade weil er nie Politiker war. Der Ärger der republikanischen Stammwähler auf alles, was nach dem "Moloch Washington" riecht, war selten so groß, die Stimmung gegenüber denen, die man als Etablierte bezeichnet, selten so grimmig. Der Ruf nach einer Wende, den Donald Trump gekonnt bedient, ist Jeb Bushs Unheil: Unter den Republikanern ist er wahrscheinlich der geeignetste Mann für das Amt, doch das macht ihn nicht zum besten Kandidaten.

Bush bleibt die Hoffnung, dass sich "die Vernunft durchsetzen wird", so sagt er es selbst und meint damit, dass sich die Show um Trump und Carson bald legen wird - "dann bleibe ich übrig". Mit Sätzen wie diesen verabschiedet er sich von seinem Publikum in der Provinz von New Hampshire. In Raymond fügt er noch hinzu, er werde eigenhändig dafür sorgen, dass die Brücken saniert werden. "I'm going to fix them", sagt er zu dem alten Mann und schüttelt seine Hand.

Draußen vor der Bibliothek stehen dann alle noch eine Weile herum, bevor sie in ihre Autos steigen. Jeb habe sie überzeugt, sind sich viele einig, nur das mit den Brücken hielten sie dann doch für übertrieben, "da klang er wie Donald Trump", sagt eine Frau. Er solle doch lieber bleiben wie er ist. Aber ob das reichen wird?

Nächsten Dienstag muss Jeb Bush die Bühne wieder wechseln, von der Provinz geht es zurück ins Fernsehen, wo ihm Millionen dabei zusehen werden, wie er sich schlägt.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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