Venezuela:Vom Regierungsliebling zum Regimekritiker

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Umstrittenes Genie: der Stardirigent Gustavo Dudamel bei einem Konzert in seiner Heimat Venezuela (Foto: REUTERS)

Die Karriere von Venezuelas Stardirigent Gustavo Dudamel war so steil, dass sogar eine Fernsehserie über ihn gedreht wurde. In seinem von Protesten erschütterten Heimatland allerdings galt er als Feigling - bis jetzt.

Von Boris Herrmann

Ein Meister! Ein Genie! Ein Wunderkind! Niemand kann mehr mitzählen bei den Lobliedern, die schon über den 36 Jahre alten venezolanischen Dirigenten Gustavo Dudamel gesungen wurden. Seit acht Jahren begeistert er sein Publikum als Leiter des Los Angeles Philharmonic Orchestra. Er dirigierte die Göteborger Symphoniker, die Berliner Philharmoniker und in diesem Jahr das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Er wurde mit Preisen überhäuft und von Größen wie Sir Simon Rattle oder Daniel Barenboim gefördert, dem sicher politisch aktivsten Dirigenten unserer Tage. Vermutlich bewundern ihn auch viele, ohne es zu wissen. Jenes Millionenpublikum nämlich, das zwar nicht in Konzerte geht, aber auf der Couch die US-Serie "Mozart in the Jungle" verfolgt. Dudamel diente als Vorbild für die Hauptfigur Rodrigo De Souza. Sein Leben in Kurzfassung: Ein venezolanischer Wuschelkopf erobert die Welt.

Und doch lag ein Schatten über seiner Karriere. In Venezuela nannten sie ihn einen Feigling. Dudamel ist dort einerseits ein Volksheld, die Venezolaner sind es längst nicht mehr gewohnt, im Ausland für ihre Kulturleistungen beklatscht zu werden. Andererseits schlug die Verehrung zuletzt mehr und mehr in Enttäuschung, Verärgerung und Hass um. Weil er es nicht fertigbrachte, sich kritisch zur Krise in seiner Heimat zu äußern. Dort terrorisiert das Regime von Präsident Maduro die Bevölkerung. Die Nahrungsmittel gehen aus, Oppositionelle werden verfolgt, die Demokratie stirbt. Dudamel aber, dem der ganze Globus zuhört, sagte zu all dem: nichts.

"Nichts kann dieses Blutvergießen rechtfertigen"

Jetzt hat er sein Schweigen gebrochen. In einem öffentlichen Brief "Ich erhebe meine Stimme" forderte er Maduro auf, endlich auf den Willen des Volkes zu hören. Zum Umdenken brachte ihn wohl der Fall eines jungen Geigers aus dem Simón-Bolívar-Orchester, wo Dudamels Laufbahn einst begann und das er bis heute leitet. Der 17-Jährige wurde am Mittwoch bei Straßenprotesten gegen die Regierung in Caracas getötet. Die Zahl der Todesopfer seit Beginn der Unruhen Anfang April ist so auf 37 gestiegen. "Es reicht", schrieb Dudamel am nächsten Tag: "Nichts kann dieses Blutvergießen rechtfertigen."

Für viele Beobachter ist dieser Schritt so sensationell wie überfällig. Es ist, als ob der Putin-treue Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev, plötzlich gegen den russischen Präsidenten wettern würde. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte Dudamel in einem Beitrag für die Los Angeles Times erläutert: "Warum ich nicht über die Politik in Venezuela spreche." Weil er weder Politiker noch Aktivist sei, weil er mit seinem Taktstock die Gesellschaft verändern wolle.

Günstling des Systems

Manche halten das für naiv. Dabei ist nicht zu leugnen, dass er tatsächlich vieles bewegt hat. Der Sohn eines Posaunisten und einer Gesangslehrerin aus der Großstadt Barquisimeto wurde in der berühmten Musikakademie El Sistema ausgebildet und gilt heute als Symbolfigur der wundersamen Klassikbegeisterung in Venezuela. Damit war er aber auch automatisch immer ein Günstling des Systems, der Kulturpolitik von Hugo Chávez. Die venezolanische Pianistin Gabriela Montero, bestens bekannt durch ihren Auftritt bei der Inaugurationsfeier von Barack Obama, schimpfte stellvertretend für einen Großteil ihrer Mitbürger: "Was Dudamel tut, ist Kollaboration."

In dem Maße, in dem seine Popularität wuchs, steigerte sich die Kritik an seinem Duckmäusertum gegenüber dem Regime. Ihm hing nach, dass er sein Bolívar-Orchester auf der Beerdigung von Hugo Chávez dirigiert hatte - sichtlich ergriffen vom Tod des Revolutionsführers. Auch seine Aussage, Chávez sei ein "wunderbarer Tutor" der venezolanischen Musikförderung gewesen, wurde er nicht mehr los. Die Regierung in Caracas nutzte das Zitat liebend gern zur Selbstvermarktung. Damit ist jetzt wohl Schluss. Gustavo Dudamel taugt nicht mehr als Posterboy der Propaganda.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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