USA:Dealmaker Trump ist angeschlagen

  • Die Abstimmung über das neue Gesundheitssystem von Donald Trump im Repräsentantenhaus ist auf Freitag verschoben worden.
  • Nun droht der US-Präsident den Abgeordneten: Stimmt dem Gesetzentwurf zu oder das verhasste Obamacare bleibt.
  • Trumps Ruf als "Dealmaker" ist angekratzt - er wirkt nicht nur bei der Gesundheitsreform wie ein politischer Amateur.

Analyse von Matthias Kolb, Washington

Donald Trump hat nie verborgen, was er als US-Präsident machen will. Er möchte eine Grenzmauer zu Mexiko bauen, Freihandelsabkommen kündigen oder neu verhandeln, mehr in Infrastruktur und Militär investieren und die unter Republikanern verhasste Krankenversicherung Obamacare abschaffen und durch "etwas Großartiges" ersetzen. Täglich hat Trump das im Wahlkampf angekündigt - offen blieb nur, ob Obamacare ein "totales" oder ein "unglaubliches Desaster" sei.

Zwei Monate nach seiner Vereidigung haben die Republikaner die Abstimmung im Repräsentantenhaus über den American Health Care Act (AHCA) verschoben, der das "replace and repeal"-Versprechen in Sachen Obamacare einlösen sollte. Für den 70-jährigen Trump ist das ein Desaster: Er hatte sich persönlich in die Verhandlungen eingeschaltet, störrische Republikaner im Kapitol besucht und diese im Weißen Haus empfangen. Auf die Verschiebung folgt ein hochriskantes Manöver: Trump erzwingt eine Abstimmung für diesen Freitag und stellt seine Partei vor die Wahl: Stimmt diesem Gesetzesentwurf zu oder Obamacare bleibt.

Ob dieses Ultimatum Erfolg haben wird, ist völlig offen - die Lage bleibt gefährlich für Trump. Er braucht diesen Etappensieg, um von den vielen Fragen zu Kontakten einiger seiner Berater nach Russland abzulenken und sein Image als genialer Verhandler zu wahren. Er wurde von Millionen gewählt, weil er durch Investitionen in Immobilien sowie durch ebenso kreative wie schamlose Vermarktung seines Namens zum Milliardär wurde - und versprach, als "Dealmaker" den politischen Stillstand in Washington zu brechen. Dieser Ruf ist nun angekratzt, denn die vergangenen Tage haben den Mann, dessen Name auf dem Bestseller "The Art of the Deal" steht, entzaubert.

Trump mag viel verstehen von Immobilien und Reality-TV, doch ihm fehlt das Grundverständnis des US-Politbetriebs und er ist entweder zu faul, sich einzuarbeiten oder unwillig, sich mit Leuten zu umgeben, die ihm ein realistisches Bild der Lage geben. Für seine Probleme gibt es drei Gründe:

Trump schert sich nicht um Details. Ein Erfolgsfaktor des Kandidaten Trump, der in der schaurigen "America First"- und Anti-Einwanderer-Rhetorik unterging, ist sein Sozialpopulismus. Er hat früh versprochen, Sozialleistungen nicht zu kürzen und versichert, dass in seiner Amtszeit "niemand auf der Straße" sterben würde, weil er keine Versicherung hat. Dass dies kaum mit den Plänen von Paul Ryan, dem Sprecher des Repräsentantenhauses (oberstes Ziel: Defizit abbauen), und der Hardliner-Abgeordneten-Gruppe des "Freedom Caucus" (Markt regelt alles, Staat hält sich raus) zusammengeht, war unübersehbar.

Aber Trump hatte sich dem konservativen Mantra gebeugt und die Abschaffung von Obamacare versprochen. Eher im Vorbeigehen ließ er sich überzeugen, mit der Gesundheitspolitik zu beginnen und überließ es Ryan, das Gesetz zu formulieren. Trump arbeitet sich in Einzelheiten kaum ein, weshalb er kein guter Verhandler und abhängig von anderen ist. Auf seine Aussage vom Februar, dass sich "niemand habe vorstellen können, wie kompliziert Gesundheitsfragen" seien können, erntete er Entsetzen und Gelächter. Nun wirkt es entwaffnend ehrlich:

Trump überschätzt seine Macht. Als US-Präsident ist man einflussreich, aber gegenüber Senatoren sind die Druckmittel begrenzt. Zuletzt wurde der Entwurf erheblich verändert, um den Ultrakonservativen des "Freedom Caucus" entgegenzukommen - diese Verschärfungen machen es quasi unmöglich, dass die letzte Version Zustimmung im Senat findet. Hier haben die Republikaner eine knappe 52:48-Mehrheit, doch diverse Republikaner wie Rand Paul (Kentucky), Mike Lee (Utah) oder Susan Collins aus Maine deuten ein "Nein" an, weil sie den Plan entweder zu schwach oder zu radikal finden.

Im Repräsentantenhaus, wo alle zwei Jahre gewählt wird, mag Trumps Ultimatum sowie seine Drohung des Entzugs der politischen Unterstützung kurzfristig ziehen. Doch die Senatoren sind politische Unternehmer, denen es um die eigene Karriere geht, und Schwergewichte wie Rand Paul oder John McCain müssen sich erst 2022 wieder den Wählern stellen. Bis dahin sind sie quasi unantastbar. In diesen Stunden muss Trump erkennen, dass es leichter ist, Tausende zum Jubeln zu bringen oder Dekrete zu unterschreiben (deren Wirkung oft fragwürdig ist), als Gesetze durch den Kongress zu bringen. Im Senat gibt es unzählige Möglichkeiten, den Prozess zu verschleppen - ein Albtraum für einen impulsiven Hektiker wie Trump.

Demokraten schauen vom Spielfeldrand zu

Trump hat keine Strategie. In diesen Tagen zeigt sich in aller Deutlichkeit, dass die Berichte über das Chaos im Weißen Haus keine Übertreibung darstellen. Einen Plan, welche Projekte wann abgearbeitet werden sollen, gibt es offenbar nicht, oder es existieren verschiedene konkurrierende. Hätte Trump etwa sein politisches Kapital und die anfängliche Euphorie der Republikaner dafür genutzt, ein großes Infrastrukturprogramm mit Investitionen in Straßen, Brücken und Flughäfen durchzusetzen, wäre dies einerseits sofort und über Monate sichtbar gewesen und hätte andererseits die Demokraten im Kongress in eine knifflige Lage versetzt.

Die demokratischen Abgeordneten sind noch immer schockiert, dass Hillary Clinton eine Wahl verloren hat, die eigentlich nicht zu verlieren war - und können momentan vom Spielfeldrand zugucken, wie sich Trump und die Republikaner selbst zerlegen. Das neue AHCA-Gesetz, mit dem Obamacare ersetzt werden soll, würde wenig einsparen und 24 Millionen Bürgern ihren Schutz rauben - kein Wunder, dass die Umfragewerte dafür verheerend sind.

Hier offenbart sich das Debakel für den Präsidenten: Selbst wenn das von Kritikern sofort als Trumpcare bezeichnete Gesetz durchkommt, wird es dem Image der Republikaner schaden. In der New York Times raunen Trump-Vertraute nun, der Präsident werde eine Steuerreform präsentieren, wenn die Abstimmung am Freitag scheitert. Doch Trump hat nicht nur Zeit verloren: Viele seiner vollmundigen Steuersenkungsversprechen basierten darauf, dass durch die Abschaffung von Obamacare mehr Geld zur Verfügung stehen würde. Und eigentlich kann Trump an keinem Bruch mit Paul Ryan interessiert sein: Ohne einen Partner im Kongress kann er nichts machen.

Nancy Pelosi, die Chefin der Demokraten im Repräsentantenhaus, spottet, dass Trump wie ein "Amateur" agiere, doch sie wirkt vorsichtig, als ob sie befürchte, dass der Milliardär seinen Willen irgendwie doch noch durchsetzt. Vor einer Woche wurde in diversen Medien - auch in der SZ - ein Spruch zitiert, den Ober-Insider Mike Allen von einem Washingtoner Beobachter hörte: "Motion is not movement". Sinngemäß: Bewegung ist nicht gleich Fortschritt.

Der rastlose Trump ist ständig in Bewegung, hetzt von Termin zu Termin und füllt die freien Stunden mit Interviews, Wahlkampf-Events und Tweets. Der Erfüllung seiner Ziele kommt er so nicht näher - womöglich bleibt Millionen Amerikanern vorerst ein Rückschritt erspart.

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