USA: Attentat von Arizona:Bewaffne sich, wer kann

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Das Attentat von Tucson treibt die US-Bürger in die Waffenläden. Pistolen sind ein Verkaufsrenner, das liberale Recht macht es möglich. Die Lobby applaudiert, doch die Episode eines vermeintlichen Helden zeigt, dass Waffen keine Leben schützen.

Michael König

Greg Wolff griff zum Telefon, als ihn die Nachricht vom Attentat erreichte. Er wählte die Nummern seiner zwei Waffengeschäfte und prüfte den Lagerbestand. Wolff wollte sichergehen, denn er erwartete Kundschaft. Vier Tage später sagte er der Zeitung Arizona Daily Star: "Wir verkaufen doppelt so viel wie gewöhnlich."

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Blumen, Kerzen und Gebete für Gabrielle Giffords: In Tucson gedenken Menschen dem schwer verletzten Opfe des Attentats. Auch Washington und an der Wall Street ruhte für eine Schweigeminute.

Für Waffenhändler wie Wolff ist das Attentat von Tucson, bei dem sechs Menschen getötet und 14 verletzt wurden, darunter die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords, ein gutes Geschäft. Die Verkaufszahlen von Handfeuerwaffen in Arizona liegen amerikanischen Medien zufolge mehr als 60 Prozent über dem Vorjahreswert. In dem Bundesstaat gilt das Motto: Bewaffne sich, wer kann.

Ein Verkaufsrenner ist dabei die halbautomatische Pistole Glock 19 für 499 Dollar. Der österreichische Hersteller bewirbt sie mit dem Slogan "Die nächste Generation der Perfektion". Mit einer Glock 19 hatte der Attentäter Jarred Lee Loughner in Tucson der demokratischen Politikerin Giffords in den Kopf geschossen, bevor er das Feuer auf seine übrigen Opfer eröffnete. Er hatte die Pistole ganz legal erworben. Weil Loughner keine kriminelle Vergangenheit hat, gab ein kurzer Computer-Check im Sportsman's Warehouse in Tucson an der Kasse grünes Licht.

Dort herrscht auch jetzt reger Betrieb. "Wenn so etwas passiert, haben die Menschen Angst, dass die Regierung Verbote erlassen könnte", sagt Waffenhändler Wolff. Er selbst sieht die Angelegenheit jedoch gelassen. Wolff rechnet nicht mit strengeren Gesetzen. Die aktuelle Debatte gibt ihm recht.

An diesem Mittwochabend will US-Präsident Barack Obama in Tucson an einer Trauerfeier für die Opfer teilnehmen. Er werde für Geschlossenheit werben, heißt es aus dem Weißen Haus. Ein Kommentar Obamas zur Debatte über Gewalt oder die politische Kultur - viele Liberale machen die scharfe Rhetorik der Tea-Party-Bewegung für das Attentat mitverantwortlich - sei aber nicht zu erwarten. Von einer Äußerung zur Waffengesetzgebung ganz zu schweigen. Erstmals seit Juni 2010 kam Obama in einer Meinungsumfrage wieder auf eine Zustimmung von 50 Prozent. Diesen Wert wird er nicht leichtfertig gefährden wollen.

Gerade in Arizona stünde er mit einer Forderung nach Verboten oder Einschränkungen auf verlorenem Posten. Selbst das Attentatsopfer Giffords war eine erklärte Waffenbefürworterin. "Ich habe eine Neun-Millimeter-Glock und schieße ziemlich gut", bekannte sie in einem Interview. Als Demokratin hätte sie andernfalls auch kaum eine Chance gehabt, für das konservative Arizona in den Kongress gewählt zu werden.

Arizona betrachtet sich als "Wilder Westen" der USA, das Recht auf Waffen ist vielen Bürgern heilig. Sie dürfen ihre Pistolen sogar ohne Sondergenehmigung verdeckt tragen, was in 47 von 50 US-Bundesstaaten verboten ist, und sie auch in Bars und Restaurants mitnehmen. Im Landesparlament liegt ein Gesetzentwurf vor, der Studenten das Tragen verdeckter Waffen auf dem Campus erlauben soll.

Mahner wie Tucsons Sheriff Clarence Dupnik sind in der Minderheit. "Wir sind der Grabstein der USA", klagte Dupnik nach dem Attentat. Von Waffenbefürwortern wird er nun als Kommunist verschmäht. Von der Politik kann er keine Unterstützung erwarten, zu mächtig ist die Lobby-Organisation National Rifle Association (NRA). Dass in den USA jedes Jahr etwa 30.000 Menschen durch Schusswaffen sterben - 60 Prozent sind Selbstmorde, 40 Prozent sind Tötungsdelikte - lässt sie als Argument nicht gelten. Obwohl die Zahl der Toten damit höher liegt als jene bei Kriegseinsätzen des Militärs im Ausland.

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Beim Attentat auf die Abgeordnete Gabrielle Giffords kommen sechs Menschen ums Leben. Die Tat sendet eine Schockwelle von Tucson durch ganz Amerika. In die Trauer mischt sich stille Wut über die politische Kultur des Landes.

Die NRA hat nach eigenen Angaben knapp vier Millionen Mitglieder. Ihr Einfluss in Washington ist so groß, dass Gegner der laxen Waffengesetze auch nach dem Attentat nur kleinste Vorstöße wagen: So sollen Hochkapazitätsmagazine mit 30 Schuss verboten werden, wie sie Laughner benutzte. Bei einem Magazin mit nur zehn Schuss hätte er schneller überwältigt werden können, so das Argument.

Werbung für eine Waffenmesse in Tucson, Arizona: Vielen Bürgern ist das Recht auf Waffenbesitz heilig. (Foto: AFP)

Dass diese Regelung kommt, gilt als unwahrscheinlich. Die Kongresswahl im November hat zahlreiche Republikaner und Anhänger der Tea-Party-Bewegung ins Parlament gebracht. Sie gelten traditionell als waffenfreundlich. "Es ist enttäuschend, dass manche Abgeordnete das Attentat dazu nutzen, ihre persönliche Agenda durchzusetzen", sagte der texanische Republikaner Lamar Smith zu einer Verschärfung der Gesetze. Smith ist Vorsitzender des Justizausschusses.

Aus der Sicht der Befürworter ist der Fall von Tucson klar: Nicht zu viele, sondern zu wenige Waffen hätten das Attentat erst ermöglicht. "Bedauerlich, dass im Umfeld der Abgeordneten Giffords niemand eine Pistole trug", schreibt ein Facebook-Nutzer auf der Seite der NRA.

Die Lobby fühlt sich bestätigt: Das Land braucht nicht weniger, sondern mehr Waffen - für mehr Sicherheit.

Wie gefährlich diese Einschätzung sein kann, zeigt die Geschichte von Joe Zamudio, den konservative Medien zunächst als "Helden von Tucson" feierten. Zamudio hielt sich in einem Supermarkt in der Nähe des Tatorts auf, als Loughner auf Giffords feuerte. "Ich zog meine Waffe, entsicherte sie und war bereit", sagte er dem konservativen TV-Sender Fox News. Er sei aus dem Laden gegangen, um die Ecke gebogen und habe einen Mann mit einer Waffe gesehen. "Ich rief ihm zu: Fallen lassen, fallen lassen!", berichtete Zamudio.

Er richtete sich jedoch gegen den Falschen: Zamudio bedrohte einen der Männer, der den Attentäter Loughner überwältigt und entwaffnet hatte. Als dieser Mann nicht sofort reagierte, dachte Zamudio darüber nach, selbst zu schießen. Stattdessen packte er ihn und warf ihn gegen eine Wand.

Eine Zehntelsekunde habe er überlegt, das Feuer zu eröffnen. Den Gegnern der laxen Waffengesetze liefert er damit ein Argument: "So etwas kann passieren, wenn man mit einer Waffe zu einem Blutbad kommt. Man kann im Eifer des Gefechts den Falschen erschießen. Oder man wird erschossen, weil ein anderer denkt, man sei ein zweiter Attentäter", schrieb der liberale Kommentator William Saletan im Online-Magazin Slate.

"Ich hatte großes Glück", gab Zamudio zu. Der Fox-Interviewer kommentierte die unerwartete Wendung der Geschichte knapp und lapidar: "Had you shot that guy, it would have been a big, fat mess". Sehr frei übersetzt: "Wenn Sie den Mann erschossen hätten, wäre das ein richtiger Griff ins Klo gewesen."

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