Obama und Merkel:Nüchterne Freunde

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Barack Obama und Angela Merkel bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Bundeskanzleramt (Foto: dpa)

Gestern Abend ist Familie Obama in Berlin angekommen, heute trifft sich der US-Präsident mit Kanzlerin Merkel. Die versteht sich mit Barack Obama nur so gut wie nötig, die USA sind für Deutschland nicht mehr so wichtig wie früher. In Zukunft wird auch Europa für die USA noch einmal an Bedeutung verlieren - denn das junge Amerika hat seine ethnischen Wurzeln längst woanders.

Ein Kommentar von Kurt Kister

Die Geschichte mit dem Brandenburger Tor gehört zum Repertoire der meisten Analysen über das deutsch-amerikanische Verhältnis seit Barack Obamas Amtsantritt. 2008 wollte der Wahlkämpfer Obama vor dem Tor eine Rede halten; die selbst in Kansas oder Arizona nicht unbekannte Kulisse sollte die Weltläufigkeit des Kandidaten demonstrieren. Das Kanzleramt, also Angela Merkel im weiteren Sinne, versagte ihm das, und seitdem, so heißt es, sei die Beziehung der angeblich mächtigsten Frau Europas zum angeblich mächtigsten Mann der Welt gestört, was sich auch auf die Politik auswirke.

Mit Verlaub, das ist Kappes. Vernünftige Regierungschefs lassen sich nicht von persönlichen Antipathien leiten. (Selbst wer Antipathie gegen Merkel oder Obama hegt, wird keinem von beiden Rationalität absprechen.) Wenn es zwischen Staaten knirscht, dann liegt das an der Politik der jeweiligen Regierung.

Gerhard Schröder etwa hielt George W. Bush für einen Schalksnarren; Bush sah in Schröder einen eitlen Populisten. Die beiden lagen aber nicht deswegen über Kreuz, sondern wegen der Hasard-Politik Washingtons im Irak. Auch weil die seit Schröders Wahlkampf 2002 gepflegte Konfrontation gegenüber der Bush-Regierung politisch kontraproduktiv wurde, flog der Kanzler im September 2003 zu Bush nach Canossa, das in diesem Falle New York hieß.

Merkel versteht sich mit Obama so gut, wie es nötig ist, zumal da sie ohnehin nicht dazu neigt, sich mit vielen Menschen besser zu verstehen, als es nützlich ist. Und, um auch das nüchtern zu sagen, das Verhältnis zu Amerika ist nicht einmal für die Deutschen mehr das wichtigste außenpolitische Verhältnis. Für die Amerikaner war das nie so.

Seit Mitte der Neunzigerjahre rangiert Deutschland für Washington im vorderen Mittelfeld der verlässlichen Verbündeten. Dies beschreibt das bilaterale Verhältnis. In globaler Betrachtung ist Deutschland eine der bestimmenden EU-Mächte, was für die USA wirtschafts- und handelspolitisch bedeutend ist, macht- und realpolitisch weniger. In Krisenzeiten, egal ob es um Syrien, Libyen oder Iran geht, schaut Washington in Europa auf Großbritannien und Frankreich, außerhalb der EU natürlich auf Russland.

Seit Jahrzehnten wird über die Abwendung der USA von Europa hin nach China und den Pazifik-Staaten geredet. Mittlerweile ist dies eingetreten; Europa gehört eindeutig nicht mehr zu den ständigen Prioritäten der Außenpolitik Washingtons.

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:Berlin in 25 Stunden

Bellevue, Brandenburger Tor, Schloss Charlottenburg: Der Terminkalender des US-Präsidenten ist eng getaktet. Und dann ist da noch diese Hitze. Obamas Tag im Fototicker.

Noch in diesem Jahrhundert wird China die USA als größte Wirtschaftsmacht ablösen; gegen 2050 wird die Mehrzahl der jungen Amerikaner nicht mehr ihre ethnischen Wurzeln in Europa haben. Anders als in den meisten Staaten der EU gibt es in den USA nicht die demografische Tendenz zur allmählichen Vergreisung. Aber das junge Amerika stammt zunehmend aus Lateinamerika, aus Asien und den Ländern des Pacific Rim, der pazifischen Region.

Dieser prinzipielle Wandel in den USA setzt den Schlussstrich unter jene Ära, in der sich weiße Europäer die Erde untertan machten. Obama ist der erste US-Präsident, der das wirkliche Ende dieser Epoche verkörpert. Auch deswegen schlägt ihm gerade aus jenen Kreisen in Amerika, die weiß und konservativ sind sowie den Untergang ihres Amerikas fürchten, so viel Ablehnung, ja Hass entgegen. Sie fürchten das, was der englische Historiker Edward Gibbon Ende des 18. Jahrhunderts so unnachahmlich für das Römische Reich beschrieben hat: Decline and Fall of the Roman Empire oder, aktuell, Abstieg und Fall des amerikanischen Imperiums.

Nein, so schnell wird Amerika nicht fallen und schon heute ist es nur noch ein höchst zögerliches Imperium. Die Mehrheit der Amerikaner würde sich liebend gern aus den Händeln der Welt heraushalten - auch angesichts der Erfahrungen im Irak und in Afghanistan. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Washington oder auch die Regierung Obama deswegen mehr Rücksicht auf die Rechte anderer nähmen - die NSA-Affäre beweist das.

Obamas Besuch in Berlin ist wichtig. Und er ist hochsymbolisch, weil Obama seine Rede vor dem Brandenburger Tor ziemlich genau 50 Jahre nach John F. Kennedys "Ich bin ein Berliner"-Rede hält. Damals war Amerikas Engagement für die Bundesrepublik überlebenswichtig. Und so wie Barack Obama den Wandel in den USA verkörpert, steht Angela Merkel, DDR-Bürgerin a. D., durchaus immer noch für die glückliche Wendung des deutschen Schicksals nach 1989.

Auf dem Weg dahin haben "die" Amerikaner "den" Deutschen sehr geholfen. Auch deswegen ist das deutsch-amerikanische Verhältnis bei aller Nüchternheit etwas Besonderes - und sei es nur für die Deutschen.

© SZ vom 19.06.2013/ratz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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