Urteil zu Anti-Terror-Datei:Die Korrektoren aus Karlsruhe

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Das Bundesverfassungsgericht verkündet das Urteil zur Antiterrordatei. (Foto: dpa)

Einem Gesetz grundsätzlich zustimmen, aber Auswüchse verhindern - nach diesem klassischen Schema haben die Karlsruher Richter auch in Sachen Anti-Terror-Datei wieder entschieden. Doch diesmal enthält das Urteil viel mehr als Korrekturen im Detail.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wenn der Bundesinnenminister und der Chef der Polizeigewerkschaft einhellig eine Karlsruher Entscheidung zur inneren Sicherheit loben, ist das ein Anlass zur Skepsis. Hat das Bundesverfassungsgericht die Anti-Terror-Datei zu vorsichtig angefasst? Sind die Barrieren, die der Erste Senat für den Datenschutz eingezogen hat, so niedrig, dass selbst Hans-Peter Friedrich und Rainer Wendt sie nicht als Hindernis bei der Schaffung eines riesigen Datenpools für terrorverdächtige Umtriebe sehen? Oder sind die Protagonisten der inneren Sicherheit neuerdings rechtsstaatlich geläutert?

Tatsächlich folgt das Urteil auf den ersten Blick jenem Schema, das aus vielen Karlsruher Entscheidungen bekannt ist. Einerseits bekräftigen die Richter die Notwendigkeit der Bekämpfung des Terrorismus, der sich "gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes" richte. Und sie billigen im Grundsatz die Instrumente des Gesetzgebers. In einem zweiten Schritt kassieren sie dann einige Vorschriften, die übers Ziel hinausschießen. Für die Regierung hat dies den Vorteil, dass sie nur ein paar Defekte reparieren muss. "Die Hauptsache war, dass das System hält", hieß es aus dem Bundesinnenministerium.

Das System - das ist eine Verbunddatei für 38 Sicherheitsbehörden und Geheimdienste, angelegt nicht etwa als offene Datensammlung, sondern als Fundstellennachweis. Der direkte Zugriff umfasst einige Grunddaten wie Namen, Anschrift Staatsangehörigkeit und einige besondere Merkmale. Details wie Bankverbindungen, Religionszugehörigkeit, Arbeit in "wichtigen Infrastruktureinrichtungen" oder auch "terrorismusrelevante Fähigkeiten" müssen erst von der speichernden Behörde freigeschaltet werden - wofür besondere Vorschriften gelten.

Schnell könnten auch Unbeteiligte in der Datei landen

Bei den Karlsruher Korrekturen geht es wesentlich darum, ein Grundrisiko solcher Dateien zu verringern: dass auch der hineingerät, der mit islamistischen Umtrieben und Terrorismus überhaupt nichts zu tun hat. Was bei einem Bestand von derzeit 18.000 gespeicherten Personen sehr wahrscheinlich ist, zumal deren Erfassung "auf bloßen Prognosen und subjektiven Einschätzungen der Behörden" beruhen könne, wie das Gericht schreibt: "Die Konsequenzen einer solchen Zuordnung können beträchtlich sein und Einzelne in schwierige Lagen bringen." Eine schwierige Lage, das wäre eine geheime Observation und die eine oder andere Abhörmaßnahme. Vielleicht auch mal eine Festnahme.

Deshalb hat Karlsruhe eine Vorschrift gekippt, wonach auch die "Unterstützer der Unterstützer" terroristischer Vereinigungen gespeichert werden könnten - auch solche, die gar nichts von ihrem Beitrag zum Gedeihen des Terrors wissen. Wer zum Beispiel den Kindergarten eines Moscheevereins mit einer Spende bedenkt, könnte unwissentlich zum Finanzier einer Terrorgruppe werden, die sich hinter dem legalen Geflecht verbirgt. So jemand darf nicht neben mutmaßlichen Islamisten und Extremisten gespeichert werden.

Überhaupt die unklaren Begrifflichkeiten, auch so ein Klassiker der Sicherheitsgesetze: Personen, die "rechtswidrige Gewalt" als politisches Mittel befürworten, sollten ebenfalls gespeichert werden. Zwar hat Karlsruhe ausdrücklich keine Bedenken, Hassprediger in die Anti-Terror-Datei aufzunehmen - nur macht die Vorschrift dort nicht halt. Der Wortlaut lege vielmehr nahe, dass es allein auf eine innere Haltung ankomme - die den Staat aber nichts angeht. Also: Paragraf gestrichen.

Der Erste Senat - als Berichterstatter zuständig war Johannes Masing - macht weitere Vorgaben. Kontaktpersonen dürfen nur eingeschränkt gespeichert werden, weil sich sonst rasch ein unübersehbarer Kreis aus Facebook-Freunden eines Terrorverdächtigen in der Datei wiederfände. Auch computergestützte Schlagwortsuchen, zum Beispiel nach Volkszugehörigkeit, sind künftig nicht ohne Weiteres zulässig. Aber wie gesagt: Bis dahin folgt das Urteil dem bekannten Ja-aber-Schema. Ja, wir erlauben die datengestützte Terrorbekämpfung - aber wir dringen dabei auf strikte Rechtsstaatlichkeit.

Gleichwohl birgt das Urteil ein Potenzial, das über die Detailkorrekturen hinausweist. Erstens, weil das Gericht deutlich wie nie zuvor die Trennung von Polizei und Geheimdiensten anmahnt. Nicht nur in den Behörden, auch in der Öffentlichkeit wird es ja eher als Hemmnis angesehen, dass Informationen über verdächtige Umtriebe nicht allen irgendwie involvierten Stellen zur Verfügung stehen. Das Gericht indes prägt nun die andere Seite der Medaille: Daten dürfen nur zu festgelegten Zwecken erhoben werden. Bei der Polizei ist das nun mal die Gefahrenabwehr, bei den Nachrichtendiensten dagegen die politische Beratung über allgemeine Tendenzen. Dass diese jeweils zweckgebundenen Informationen nicht schrankenlos hin und her geschoben werden dürfen, ist die Folge des Datenschutzes - und nicht etwa ein behördlicher Organisationsmangel.

Zweitens hat das Urteil den Datensammlern einige Aufpasser zugeteilt. Spätestens alle zwei Jahre müssen die Datenschutzbeauftragten kontrollieren. Das ist wichtig, weil die Betroffenen sich gegen unrechtmäßige Speicherungen kaum wehren können; im Zweifel wissen sie nichts davon.

Und drittens: Ganz am Ende der 88 Seiten langen Begründung sind einige ausbaufähige Andeutungen verborgen. Der Gesetzgeber habe eine großzügige Frist bis Ende 2014, auch damit er "andere Gesetze" überprüfen kann - sprich: die Rechtsextremistendatei . Gleiches gilt für die "Datenübermittlungsvorschriften einzelner Sicherheitsbehörden".

Dahinter steckt folgendes: Ob die in der Anti-Terror-Datei gefundenen Datensätze tatsächlich übermittelt werden dürfen, richtet sich nach verstreuten Einzelvorschriften, die nicht Gegenstand des Karlsruher Verfahrens waren. Verfassungsrechtlich heikel sind sie womöglich trotzdem, wie zum Beispiel Paragraf 19 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, der sogar eine Übermittlung an "ausländische öffentliche Stellen" möglich macht. Wer mit Islamisten in Kontakt kommt, könnte dadurch bei Auslandsreisen ebenfalls in eine "schwierige Lage" geraten - wenn man die rustikalen Methoden in der internationalen Terrorismusbekämpfung so umschreiben will.

© SZ vom 25.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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