Türkei:Warum Erdoğan mit heißem Furor gegen eine Zeitung vorgeht

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Der Sturm auf die regierungskritische Zeitung "Zaman" war weit mehr als ein Angriff auf die Pressefreiheit in der Türkei. Es geht um Vergeltung.

Von Mike Szymanski

Von der Zeitung Zaman muss man in der Vergangenheit reden. Es gibt das türkische Blatt nicht mehr, obwohl es am Montag wie gewohnt am Kiosk lag. Doch die Zeitung ist jetzt eine ganz andere: Sie hofiert, sie preist jetzt Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und dessen Verdienste für die Türkei. Das bedeutet eine unvorstellbare Demütigung für die Journalisten, die das Blatt in den vergangenen Monaten und Jahren gemacht hatten. Sie wurden über Nacht arbeitslos, als die Staatsmacht das Medienhaus Ende vergangener Woche mit Polizeigewalt unter Zwangskontrolle gestellt und danach auf Linie gebracht hat. Es dürfte nicht lange dauern, bis die Zaman endgültig vom Markt verschwindet. Publizistisch ist sie schon tot. Ein gleiches Schicksal erwartet die Nachrichtenagentur Cihan, die wie die Zaman zum Medienkonzern Feza Gazetecilik gehört und die am Freitagabend ebenfalls unter staatliche Kontrolle gestellt wurde.

Die Zaman war nicht einfach nur eine regierungskritische Zeitung. Sie hatte sich in den vergangenen Jahren in ein regelrechtes Anti-Erdoğan-Blatt verwandelt. Das unterscheidet diesen Fall von der Verhaftung des Chefredakteurs der Zeitung Cumhuriyet und eines Kollegen. Es geht bei der Zaman um viel mehr als nur um einen weiteren Angriff auf die Pressefreiheit in der Türkei. Es geht um Vergeltung. Der heiße Furor speist sich aus der Feindschaft zweier frommer Männer, die einst als Verbündete das Land neu programmierten.

Die Zeitung "Zaman" sprach für Erdoğans mächtigsten Gegner

Erdoğan hätte niemals die Macht für seine alleinregierende islamisch-konservative AKP zementieren können, wenn er dabei nicht die Hilfe des Predigers Fethullah Gülen und dessen Netzwerks in Anspruch genommen hätte. Gülens religiöse Hizmet-Bewegung, zu der auch die Zaman als Sprachrohr mit einer Auflage von zuletzt immer noch beachtlichen 650 000 Exemplaren gehörte, war einmal Erdoğans Schlüssel zu Macht. Der Politiker hatte es zwar geschafft, seine AKP 2002 gegen alle Widerstände an die Regierung zu führen. Am Ziel war er deshalb noch nicht. Das alte, immer noch mächtige säkulare Establishment arbeitete gegen die AKP. Hohe Richter blockierten Gesetze, das Militär - Schutzmacht der Kemalisten, für die Religiöse nichts an der Macht zu suchen hatten - mischte weiterhin in der Tagespolitik mit. Auf die Polizei konnte sich Erdoğan als Regierungschef auch nicht verlassen.

Gülen aber hatte ein Netzwerk, das tief in den Staat hineinreichte. Mit Fleiß, Aufstiegswillen und Geduld hatte seine Bewegung lange vor Erdoğans Siegeszug den Marsch durch die Institutionen angetreten. Diese Seilschaften nutzte Erdoğan, um die alten Machteliten auszuschalten.

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In spektakulären Großprozessen - der bekannteste ist das sogenannte Ergenekon-Verfahren - mussten sich Hunderte Angeklagte (Generäle, Politiker, Professoren und auch Journalisten) vor Sondergerichten wegen des Vorwurfs verantworten, die Regierung stürzen zu wollen. Wie sich heute zeigt, waren viele der Beweise konstruiert. Die Zaman sah damals über schwere Verfahrensmängel hinweg und beklagte sich auch nicht, wenn Journalisten ins Gefängnis wanderten. Sie stand damals treu zur AKP-Regierung. In der Türkei ist das nicht vergessen, weshalb die Solidarität mit dem Blatt nun auch vergleichsweise zurückhaltend ausfällt.

Seitdem das Militär gezähmt, der Justizapparat zu Diensten ist und die Polizei gehorcht, fürchtet Erdoğan, dass sich Gülens Netzwerk auch gegen ihn richten könnte. Als im Dezember 2013 Korruptionsvorwürfe gegen Ministersöhne, Politiker und Unternehmer mit besten Beziehungen zur regierenden AKP aufkamen, vermutete Erdoğan Gülen dahinter. Seither führt er einen Vernichtungsfeldzug gegen den Prediger und seine Anhänger.

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Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu preist derweil auf dem EU-Gipfel die Meinungsfreiheit. Sie sei ein "gemeinsamer Wert".

Gülen - seit 1999 im Exil in den USA - wird in Abwesenheit in Istanbul der Prozess gemacht. Das finanzielle Rückgrat der Bewegung, die Bank Asya, wurde verstaatlicht. Und nun die Stimme der Bewegung, die Zaman - zum Schweigen gebracht.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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