Nach Anschlag auf Flughafen:Die Türkei versagt im Kampf gegen den IS

At least 36 in Istanbul's Ataturk international airport attack

Ein Polizist patrouilliert am Atatürk-Flughafen: Die Sicherheitsbehörden wirken nach Anschlägen regelmäßig überfordert.

(Foto: dpa)

Türkische Sicherheitsbehörden wirken hilflos angesichts von Terrorakten. Sie stellen stattdessen Staatsbürgern nach, von denen sich Erdoğan beleidigt sieht.

Kommentar von Christiane Schlötzer

Wo denn noch? Wird es demnächst die Istanbuler Metro treffen, oder vielleicht die hyperschnelle Bahnverbindung unter dem Bosporus, oder die Hagia Sophia? In nur einem Jahr gab es in der Türkei 15 größere Anschläge mit 290 Toten. Man kann auch etwas weiter zurückgehen und kommt auf eine nicht weniger dramatische Bilanz aus Blut und Tränen. Nicht lange recherchieren muss man dagegen, wenn man nach Konsequenzen sucht. Ministerrücktritte wegen expliziten Versagens in der Terrorbekämpfung? Keine. Geschasste Geheimdienstchefs? Keine.

In der Türkei gibt es viele kleine Molenbeeks, Quartiere wie das Brüsseler Problemviertel, in dem islamistische oder auch linksradikale Attentäter in einem Sympathieumfeld aufwachsen und abtauchen können. Ein großes Geheimnis ist das nicht. Dass türkische Sicherheitsbehörden regelmäßig nach spektakulären Terrortaten so machtlos wirken, ist daher kaum zu verstehen. Zumal wenn man sich vor Augen hält, mit welcher Akribie sie Staatsbürgern nachstellen, von denen sich Präsident Recep Tayyip Erdoğan beleidigt sieht. Stark beschäftigt ist der Überwachungsapparat auch mit Universitätsprofessoren, die eine Deklaration für einen Frieden mit den Kurden unterzeichnet haben.

Der türkische Geheimdienst versagt beim Kampf gegen den IS

Türkische Medien hatten am Mittwoch viel Zeit für historische Horrorbilanzen, weil Ankara auf den Anschlag - wie so oft - mit einer Nachrichtensperre reagierte. Das verstärkt den Eindruck akuter Hilflosigkeit. Gleichzeitig gilt: Am besten weiter wie gewohnt. Der Atatürk-Airport war schon vor Tagesanbruch, wenige Stunden nach dem Attentat, wieder freigegeben.

Istanbuls Großflughafen ist das wichtigste Tor der Türkei zum Rest der Welt, eine 24 Stunden rotierende Drehscheibe für die global aktiven Turkish Airlines. Sie sind für Erdoğan so etwas wie ein zweiter diplomatischer Dienst. Die halbstaatliche Gesellschaft fliegt auch Ziele an, die europäische Airlines scheuen. So trifft das Attentat die Türkei an einer höchst sensiblen Stelle und zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt.

Erdoğan hat sein Land zuletzt politisch immer mehr in die Isolation geführt, ausgerechnet am Tag des Anschlags gab es erste Korrekturversuche: eine Wiederannäherung an Israel und eine Versöhnungsgeste gegenüber Russland. Das nährte die zarte Hoffnung, der Tourismus in der Türkei könnte sich wieder erholen. Um mehr als 90 Prozent sind allein die russischen Buchungen in diesem Jahr zurückgegangen. Besserung ist nun nicht in Sicht.

Es gibt viele Terror-Motive: Die Türkei hat gerade erst ihren Nato-Partnern erlaubt, von der Luftwaffenbasis Incirlik aus die syrische Grenze intensiver zu überwachen - im Kampf gegen den IS. Und auch das muss kein Zufall sein: Am Dienstag wurde bekannt, dass 36 mutmaßlichen IS-Leuten in Ankara laut Anklage 11 700 Jahre Gefängnis drohen. Sie sollen verantwortlich sein für die 109 Toten des Anschlags am Hauptbahnhof von Ankara 2015. Auch damals stellte sich schon die Frage: Warum war das nicht zu verhindern?

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