Osteuropa:Europa bringt Tschechien und die Slowakei auseinander

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Im Garten fiel der Scheidungsbeschluss: Der slowakische Premier Vladimir Mečiar (links) und der tschechische Premier Václav Klaus unter den Bäumen der Brünner Villa Tugendhat am 26. August 1992. (Foto: imago/CTK Photo)

Vor 25 Jahren fiel die Entscheidung, die Tschechoslowakei in zwei Staaten zu teilen. Man hoffte auf Gemeinsamkeit unter dem EU-Dach. Aber gerade dort werden sich die Länder nun fremd.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Zwei Männer sitzen unter einer mächtigen Platane. Die Sakkos haben sie abgelegt. Einer von beiden, der Bullige, trägt ein weißes Kurzarmhemd. Der andere, der Schmächtige, hat die Ärmel seines hellblauen Businessshirts hochgekrempelt. Ernst schauen sie beide. Sie wollen die Angelegenheit jetzt zu Ende bringen.

Die Angelegenheit war die Tschechoslowakei. Über ihr Schicksal verhandelten zwei kleinere Delegationen aus Prag und Bratislava am 26. August 1992 in der Villa Tugendhat, einem Meisterwerk der Moderne von Ludwig Mies van der Rohe im Brünner Stadtteil Černá Pole. Irgendwann zogen sich der Tscheche Václav Klaus und der Slowake Vladimir Mečiar in den Garten zurück; stundenlang hockten sie beisammen. Kurz vor Mitternacht traten sie vor die Journalisten. Der derzeitige Zustand sei "nicht aufrechtzuerhalten", sagte Mečiar. Beide verkündeten schließlich die Teilung. Schon am 1. Januar 1993 sollte sie vollzogen sein.

Staatsbezeichnung
:Die Tschechische Republik heißt jetzt offiziell Tschechien

Tschechien heißt jetzt auch amtlich so. Die Änderung sei den Vereinten Nationen mitgeteilt worden. Kritiker fürchten, dass Tschechien nun mit einem anderen Land verwechselt werden könnte.

Es gab keinen Volksentscheid. Und wahrscheinlich gab es nie eine Mehrheit für die Trennung

Die Trennung verlief nicht ohne Schmerzen. Eine Volksabstimmung über sie gab es nie, eine Mehrheit für sie wohl auch nicht. Als die Tschechoslowakei in der letzten Minute des Jahres 1992 nach 74 Jahren aufhörte zu existieren, erfüllte das viele Tschechen und Slowaken mit Wehmut. Die Föderation aber verschwand friedlich. Hass wie in Jugoslawien gab es keinen; eher die Hoffnung, dass die Scheidung nicht zu hart ausfallen würde. Und es keimte schon die noch vage Hoffnung, sich einmal wieder unter europäischem Dach zu einen. Im Oktober 1993 sprach Tschechiens Präsident Václav Havel in einer Rede vor dem Europarat von der "großen Idee der europäischen Integration" und der Notwendigkeit, den Nationalstaat zu überwinden.

So schien es zu kommen: 2004 traten sowohl Tschechien als auch die Slowakei der Europäischen Union bei. Die Wege führten wieder zusammen; die nach der Teilung 1993 umgehend errichteten Grenzposten zogen ab. Jetzt, 25 Jahre nach dem Scheidungsbeschluss von Brünn, verstehen sich Tschechen und Slowaken blendend, dennoch ist eine paradoxe Situation eingetreten: Gerade die beide Länder verbindende Mitgliedschaft in der EU zeigt, wie gründlich sich beide Nationen auseinanderentwickelt haben. Während 59 Prozent der Slowaken finden, dass die Vorteile der EU-Mitgliedschaft für ihr Land überwiegen, sind nur 25 Prozent der Tschechen dieser Meinung.

Dieses Ergebnis einer neuen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung bestätigt einen schon länger zu beobachtenden Trend: Die Slowaken zählen in der EU zu den Enthusiasten, die Tschechen hingegen zu den größten Skeptikern Der frühere tschechische Europa-Staatssekretär Tomáš Prouza erklärt dies unter anderem mit der unterschiedlichen Ausgangslage der beiden Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei.

Wirtschaftlich ging es der Slowakei nach der Teilung deutlich schlechter, die Slowaken hätten gewissermaßen "bei null" begonnen, sagt Prouza. Deutlich stärker als die Tschechen verbinden sie wachsenden Wohlstand mit der EU. 2009 führte die Slowakei den Euro ein, in Tschechien hingegen wird noch lange Zeit mit der Krone gezahlt werden. Ministerpräsident Bohuslav Sobotka machte gerade erst wieder klar, für die Euro-Einführung fehle der Konsens.

Wahr ist, dass beide Länder zusammen mit den anderen Visegrád-Staaten Polen und Ungarn gegen die EU-weite Verteilung von Flüchtlingen eintreten. Das verdeckt die oft riesigen Unterschiede, die sich aufgetan haben. Die Zukunft der Slowakei sehe er "im Kern" der EU, nahe bei Deutschland und Frankreich, verkündete kürzlich der sozialdemokratische slowakische Regierungschef Robert Fico. "Ich bin sehr interessiert an regionaler Kooperation in der Visegrád-Gruppe, aber das vitale Interesse der Slowakei ist die EU", sagte er. "Die Slowaken verstehen, dass sie als kleines Land viel mehr Einfluss haben, wenn sie ein respektiertes Mitglied der EU sind", meint Prouza. Ihnen sei auch klar, "dass sie diesen Respekt durch einen aktiven und konstruktiven Ansatz erreichen und nicht durch ständiges Ablehnen und Abgrenzen von anderen, so wie es der tschechischen Tradition entspricht".

Slowakei sieht sich "im Kern" der EU

Große Teile der tschechischen Politik stehen der EU zumindest skeptisch gegenüber. Den Ton bestimmen der gegen muslimische Flüchtlinge und die EU-Politik pöbelnde Präsident Miloš Zeman und Politiker wie der Milliardär und Ex-Finanzminister Andrej Babis. Er könnte mit seiner populistischen Partei Ano die Parlamentswahl im Oktober gewinnen. Babiš, in einem Skandal um die Verwendung von EU-Mitteln unter Korruptionsverdacht, lehnt eine weitere Integration ab, einen "Czexit" nach britischem Vorbild aber auch. "Wir müssen für die Reform Europas eintreten, nicht austreten", zitieren ihn tschechische Medien. Ganz offen für einen Austritt seines Landes tritt inzwischen ein anderer tschechischer Politiker ein. In Frankfurt redete er sich im Juli bei einer Veranstaltung der AfD in Rage, wetterte gegen "politische Korrektheit, Multikulturalismus und Humanrightismus, Feminismus, Genderismus und die Aggressivität des Homosexualismus, Massenmigration, Frau Merkel, die Herren Juncker und Schulz". Der Mann war Václav Klaus.

Während es um den Slowaken Mečiar sehr still geworden ist, hat sich Klaus, immerhin einer der Wegbereiter der tschechischen EU-Mitgliedschaft, inzwischen dem Kampf verschrieben für "Freiheit, Demokratie, traditionelle Familie" und "Souveränität der europäischen Nationen". Tschechien, forderte der Ex-Ministerpräsident und Ex-Präsident, solle "mit den Vorbereitungen zum Verlassen der EU beginnen". In der tschechischen Politik spielt Klaus allerdings keine Rolle mehr. Seine Worte werden folgenlos bleiben.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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