Tschechien:Wieso die tschechische Koalition zerbrochen ist

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Ministerpräsident Sobotka und Finanzminister Andrej Babiš (links). (Foto: REUTERS)
  • Die Mitte-links-Koalition in Tschechien ist zerbrochen. Ministerpräsident Sobotka hat den Rücktritt der gesamten Regierung angekündigt.
  • Als Grund nennt Sobotka Steuerbetrugsvorwürfe gegen den Finanzminister Andrej Babiš.
  • Der Milliardär gilt als "tschechischer Berlusconi".

Analyse von Florian Hassel, Warschau

Ein halbes Jahr vor der nächsten planmäßigen Wahl will Tschechiens Regierung überraschend zurücktreten. Ministerpräsident Bohuslav Sobotka sagte in Prag, er werde Staatspräsident Miloš Zeman spätestens bis Freitag das Rücktrittsgesuch für die gesamte Regierung vorlegen. Vordergründig geht es um Unregelmäßigkeiten, die dem Finanzminister vorgeworfen werden, hintergründig um die Positionierung für die kommende Parlamentswahl. Möglich ist sowohl die Bildung einer neuen Regierung bis zu der eigentlich für den 20. und 21. Oktober angesetzten Parlamentswahl als auch eine vorgezogene Neuwahl.

Tschechien wird seit 2014 von einer Koalition aus den von Ministerpräsident Sobotka geführten Sozialdemokraten, den Christdemokraten und der Ano-Partei des Milliardärs Andrej Babiš geführt - dieser ist zudem auch Finanzminister und Vize-Ministerpräsident. Bei der letzten Wahl im Herbst 2013 gaben viele Tschechen Protestparteien ihre Stimme, darunter fast 19 Prozent der auf Milliardär Babiš zugeschnittenen, liberal-populistischen Ano-Partei. Der Milliardär baute ein Unternehmensimperium aus über 250 Agar-, Lebensmittel- und Chemiefirmen auf, zu dem auch führende Zeitungen gehören. Wegen seines Reichtums - heute von einem Treuhandtrust unter Leitung seine Frau verwaltet - und seiner bestimmenden Rolle in der Politik gilt er als "tschechischer Berlusconi".

Seine Partei liegt Umfragen zufolge ganz oben in der Wählergunst: Nach einer Stem-Umfrage käme Babiš' Ano auf gut 28 Prozent der Stimmen, die früher führenden Sozialdemokraten nur noch auf unter 17 Prozent, gefolgt von den Kommunisten mit zwölf Prozent. Babiš ist so der wahrscheinlichste Kandidat für das Amt des Regierungschefs nach der nächsten Wahl.

Der Beliebtheit Babiš' bei vielen Tschechen hat der Aufbau eines milliardenschweren Firmenimperiums ebenso wenig geschadet wie Behauptungen, er habe im Kommunismus als Agent "Bures" für den Geheimdienst spioniert. Im Fokus des aktuellen Streits innerhalb der Regierung stehen vordergründig Schuldscheine, die Babiš 2012 für 1,5 Millionen Kronen (knapp 56 000 Euro) seiner eigenen Agrofert-Holding abkaufte, ohne dass er auf die Erlöse Steuern zahlen musste. Polizei und Finanzaufsicht ermitteln gegen Babiš, offenbar wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung.

Dem Finanzminister wird Steuerhinterziehung vorgeworfen

Ministerpräsident Sobotka warnte, es sei fraglich, ob sich Tschechien einen Finanzminister leisten könne, der den Staat möglicherweise in mehreren Fällen um Steuern berauben wollte. Parlamentspräsident Jan Hamáček, der wie Sobotka zu den ums politische Überleben kämpfenden Sozialdemokraten gehört, forderte Babiš in einer Talkshow des tschechischen Fernsehens auf, freiwillig zurückzutreten. Babiš selbst betonte, er habe vollkommen legal aufgrund der damals geltenden Gesetze gehandelt. "Niemand zahlt mehr Steuern als nötig." Auch die aktuellen Ermittlungen gegen ihn seien kein Grund zurückzutreten: Diese seien lediglich ein Versuch von Ministerpräsident Sobotka, ihn, Babiš, "um jeden Preis aus der Politik auszuschließen".

Daraufhin kündigte der Ministerpräsident am Dienstag den Rücktritt der gesamten Regierung an. Die Variante, nur Finanzminister Babiš zu entlassen, habe er ausgeschlossen, da dieser in diesem Fall zum Märtyrer stilisiert würde und zusätzliche Wahlkampfzeit vor der anstehenden Parlamentswahl bekomme. Deshalb optiere er "für die einzige vernünftige Lösung... den Rücktritt der Regierung. Es geht um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik", erklärte Sobotka.

Nächster Schritt ist nun ein Treffen des Ministerpräsidenten mit Staatspräsident Zeman. Dessen Büro kommentierte die Absicht des Regierungsrücktritts zunächst nicht. Die Verfassung setzt dem tschechischen Präsidenten keine Frist, innerhalb derer er über ein Rücktrittsgesuch entscheiden muss.

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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