Terrorismus:So hat sich der Terror in Europa verändert

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Links: ein Anschlag der IRA 1973 in London; Mitte: die Entführung und anschließende Ermordung Hanns Martin Schleyers durch die RAF 1977; rechts: ein Tatort bei den Anschlägen von Paris (Foto: AFP/dpa/AP)
  • Terroranschläge in Europa gehen seit den 70er Jahren zurück.
  • Ingesamt 5380 Menschen sind bei 12 593 Anschlägen zwischen 1970 und 2014 ums Leben gekommen.
  • Für Terrorattacken waren in Europa meist Separatisten oder Nationalisten verantwortlich.

Von Hannes Munzinger und Katharina Brunner

"Wirklich ernst" nannte Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Bedrohungslage in Deutschland nach den Attentaten in Paris. In der belgischen Hauptstadt Brüssel herrschte bis Donnerstag die höchste Terror-Warnstufe. Ein mutmaßlicher Attentäter von Paris ist noch auf der Flucht. Diese geballte Präsenz des Terrorismus in den vergangenen eineinhalb Wochen kann leicht darüber hinwegtäuschen, dass Terrorattentate in Europa seit mehr als 30 Jahren seltener werden.

Der traurige Höhepunkt des Terrors in Europa ist das Jahr 1979: Mehr als 800 Anschläge hat die University of Maryland für dieses Jahr gezählt. Die meisten davon gingen auf das Konto von Separatisten in Frankreich, Spanien und Großbritannien. Forscher der US-Universität versuchen seit 1970 weltweit Terroranschläge zu dokumentieren. Damals waren es noch lediglich 47 Anschläge gewesen - weniger wurden es nie wieder.

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Eine Terrorattacke muss drei Bedingungen erfüllen, um in die "Global Terrorism Database" (Globale Terrorismus Datenbank) aufgenommen zu werden: ein nichtstaatlicher Akteur muss vorsätzlich Gewalt gegenüber Menschen oder Objekten anwenden oder zumindest androhen, um politische, religiöse oder soziale Ziele zu erreichen. Das bekannteste Beispiel aus Deutschland ist die Rote Armee Fraktion (RAF). Sie ist mit Dutzenden Attentaten vertreten, wie der Entführung des Lufthansa-Maschine Landshut im sogenannten Deutschen Herbst 1977. Unter den Attentaten der Linksextremisten sind auch solche gelistet, bei denen die RAF keinen Schaden anrichten konnte. Wie im Februar 1990, als in Eschborn eine Bombe nicht explodierte, die ein Rechenzentrum der Deutsche Bank treffen sollte.

Seit 2011 lassen sich Forscher verstärkt von Computern bei der Auswertung helfen - und so bleiben immer weniger Attentate unbemerkt. Vor 2011 sind die Zahlen damit tendenziell eher zu niedrig als zu hoch.

Auch wenn seit 1979 die Anzahl der Terrorattacken sinkt: Weniger Anschläge müssen nicht auch weniger Tote bedeuten. Zum Beispiel im Jahr 2004: Vergleichsweise wenige Angriffe hatten die meisten Opfer seit mehr als zehn Jahren gefordert. Der Grund sind die Bombenanschläge auf mehrere Regionalzüge in Madrid, bei denen 191 Menschen ums Leben kamen.

Die meisten Toten gab es 1988: 366 Menschen kamen ums Leben. 270 alleine bei dem Bombenanschlag auf ein Flugzeug der amerikanischen Fluggesellschaft PanAm über dem schottischen Ort Lockerbie. Die libysche Regierung übernahm erst im Jahr 2003 offiziell die Verantwortung.

Wer dominiert den Terrorismus in Europa?

Madrid, London und zweimal Paris - in den vergangenen Jahren ist Terror vor allem mit Anschlägen durch Islamisten in europäischen Hauptstädten verbunden. Doch das Gesamtbild ist ein anderes.

Für die meisten Anschläge in Europa während des Untersuchungszeitraums waren Separatisten verantwortlich, vorneweg die baskische Untergrundorganisation ETA, die mit 1064 ein Fünftel aller gezählten Terroropfer in Europa tötete. Jahrzehntelang kämpfte sie mit Gewalt für eine Abspaltung der nordspanischen Region vom Mutterland. Bis vor kurzem: 2014 kündigte die ETA an, ihre Waffen abzugeben.

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Der zweite große Brandherd war Nordirland: Die nordirische IRA ist für mindestens 1880 terroristische Angriffe verantwortlich, die größten pro-britischen und protestantischen Gruppen für mindestens 722. Die ETA und die IRA haben am Abstand die meisten Menschen getötet:

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Islamisten sind im Vergleich dazu ein recht neues Phänomen. Von insgesamt 12 593 Anschlägen in 45 Jahren, konnten nur 54 islamistischen Terrorgruppen und Einzeltätern zugeordnet werden. Das sind weniger als ein halbes Prozent. Allerdings: Wenn sie zuschlagen, dann sind ihre Angriffe tödlicher. Sie sind für 5,6 Prozent der insgesamt 5380 Terroropfer in Europa verantwortlich.

Was Terroristen angreifen

Botschaftsgebäude, Medienunternehmen, Züge, Flughäfen, Schulen, Hotels - die Terroristen visieren verschiedenste Ziele an. Doch den größten Anteil haben drei Gruppen: Einzelpersonen, die im privaten Umfeld oder an öffentlichen Plätzen angegriffen werden; Unternehmen, Geschäfte und die Personen, die sich darin befinden. Und zuletzt staatliche Einrichtungen wie Regierungsgebäude und Polizeistationen, aber auch Politiker, Diplomaten oder Richter. Dabei ist erkennbar: In der Phase besonders häufiger Terroranschläge Anfang der 70er Jahre wurden vor allem Einzelpersonen geschädigt - und sie sind auch von der neuerlichen Zunahme seit 2012 am stärksten betroffen.

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