US-Präsident:Donald Trump redet mit viel Getöse die 100-Tage-Marke klein

President Donald Trump delivers keynote remarks at the US Holocaust Memorial Museum's 'Days of Remembrance' ceremony

100 Tage im Amt? Das sei doch nur eine "künstliche Schwelle", sagt der US-Präsident. Im Wahlkampf klang das anders.

(Foto: AFP)

Seine Versprechen für die ersten drei Monate im Amt interessieren Trump nicht mehr. Der Stichtag am kommenden Wochenende ist ihm dennoch wichtig. Auch wenn er das Gegenteil behauptet.

Analyse von Thorsten Denkler, New York

Den kommenden Samstag würde US-Präsident Donald Trump am liebsten einfach überspringen. Dann ist er 100 Tage im Amt. Es braucht kein Diplom in Hellseherei, um vorherzusagen, dass die Urteile über diese erste Etappe verheerend ausfallen werden. Nur noch besonders treue Anhänger dieses erstaunlichsten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten glauben, am Samstag etwas zum Feiern gefunden zu haben.

Trump geht mit dem Tag widersprüchlich um. Es ist ein wiederkehrendes Muster: Heute dies sagen - und morgen das komplette Gegenteil. Oft ist nicht einmal klar, ob ihm das selbst überhaupt auffällt.

100 Tage im Amt? Das sei doch nur eine "künstliche Schwelle", sagte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Associated Press. "Nicht sehr bedeutend". Auf Twitter bezeichnet er die 100-Tage-Hürde als "lächerlich". Es ist in den USA Tradition, dass die ersten hundert Tage im Amt besonders kritisch beäugt werden. Trump weiß das. Er selbst hat noch vor der Wahl einen "Vertrag mit den amerikanischen Wählern" auf seiner Webseite veröffentlicht. Darin: Seine Wahlversprechen, all das, was er in den ersten 100 Tagen im Amt erreichen wollte.

Doch davon, dass er selbst den Maßstab gesetzt hat, an dem er nun gemessen wird, will Trump heute nichts mehr wissen. Auf Twitter gibt er sich als Medienopfer, wieder einmal. Er könne in den ersten 100 Tagen erreichen, was er wolle - und "es war eine Menge": Die Medien würden es ohnehin schlechtmachen.

Trump will die Deutungshoheit über die ersten Tage zurückgewinnen

Die Botschaft hinter all dem Getöse: Die 100-Tage-Marke kratzt ihn nicht die Bohne. Dabei könnte er es bewenden lassen. Und den Tag entspannt über sich ergehen lassen. Stattdessen betreibt der Präsident einen enormen Aufwand, um die Deutungshoheit über diese ersten 100 Tage zurückzugewinnen.

Plötzlich will er doch noch einmal das kürzlich gescheiterte Gesetz angehen, das die von seinem Vorgänger Barack Obama eingeführte Krankenversicherung ersetzen soll. Für diesen Mittwoch hat er überraschend angekündigt, Pläne für eine große Steuerreform vorzustellen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht den umstrittenen Mauerbau an der Grenze zu Mexiko anspricht. Obwohl die Finanzierung dieses Mammutprojektes derzeit noch völlig unklar ist. Im neuesten Entwurf für ein Haushaltsgesetz, das die beiden Kammern des US-Kongresses bis Freitag passieren muss, taucht das Projekt nicht einmal mehr auf.

Um das alles ein bisschen rosiger aussehen zu lassen, hat das Weiße Haus jetzt eine 100-Tage-Bilanz veröffentlicht. Darin wird behauptet, Trump habe schon 500 000 Jobs geschaffen und die illegalen Grenzübertritte um 61 Prozent reduziert.

Sein glückloser Sprecher Sean Spicer hat außerdem eine Presseerklärung herausgegeben, die ernsthaft den "historischen" Zielen huldigt, die Trump jetzt schon erreicht habe. Die Regierung präsentiert Zahlen: Alle Präsidenten seit Franklin D. Roosevelt hätten in den ersten Tagen im Amt weniger Dekrete erlassen als Trump. Bis Samstag sollen es 30 sein. Selbst Roosevelt habe nur neun unterschrieben. Das lässt Trump proaktiv erscheinen, ist aber leider falsch. Roosevelt verabschiedete 99, wie die Washington Post hier noch einmal nachzählt und weiter erläutert.

Am hundertsten Tag selbst soll es dann noch eine Kundgebung mit Trump in Harrisburg, Pennsylvania geben. Das kündigte der US-Präsident auf Twitter an. Aber klar, es ist nur ein "lächerliches" Ereignis, diese 100-Tage-Marke.

Es ist nicht so, dass Trump nichts erreicht hätte

Trump scheint alles daran zu setzen, dass seine ersten 100 Tagen nicht nur als Erfolg in die Geschichtsbücher eingehen (was schwer genug wäre). Sondern als die erfolgreichsten 100 ersten Tage aller Zeiten.

Es ist ja nicht so, dass Trump gar nichts geschafft hätte. Er hat Neil Gorsuch, seinen Kandidaten für den offenen Richterposten am Obersten Gerichtshof durchbekommen. Wenn auch um einen hohen Preis: Die republikanische Mehrheit im Senat musste dafür ein wichtiges Minderheitenrecht abschaffen.

Trump hat in letzter Minute das Transpazifische Freihandelsabkommen (TPP), unter anderem mit Japan und Australien, aufgekündigt. Er hat mit 59 Tomahawk-Raketen auf einen Giftgasangriff in Syrien reagiert. Und erstmals die "Mutter aller Bomben", die größte nichtnukleare Bombe der USA, eingesetzt, um in Afghanistan ein Tunnelsystem des IS zu zerstören.

Mit bisher 26 und bald 30 Dekreten hat er außerdem sehr viele "Executive Orders" erlassen. Wobei die Zahl natürlich nichts über die Qualität aussagt. Mit zwei Dekreten etwa hat er versucht, die Einreise von Muslimen aus bestimmten Ländern massiv zu erschweren. Dies Sache hängt jetzt vor Gericht fest.

Mit anderen Erlassen hat er Entscheidungen seines Vorgängers Barack Obama wieder rückgängig gemacht, die aus seiner Sicht unnötige Bürokratie bedeuten - etwa jene, mit der sein Vorgänger Obama die Finanzmärkte besser unter Kontrolle bringen wollte. Andere Dekrete sind kaum mehr als vage Forschungsaufträge. Mit wilden Drohungen hatte Trump erst versprochen, das Preisdumping im internationalen Stahlgeschäft zu beenden, an dem er auch deutsche Unternehmen beteiligt sieht. Jetzt lässt er untersuchen, ob es dieses Dumping überhaupt gibt.

Und selbst die Wirkung seines Dekretes, das auf die Abschaffung der Klimapolitik von Obama zielt, könnte seine Wirkung verfehlen. Eine erste Klagewelle rollt. Und Kalifornien, der wirtschaftsstarke Motor der US-Klimabewegung, will Trumps Anti-Klimaschutz-Erlass gar nicht erst anwenden. Trumps eigener Energieminister Rick Perry warnt inzwischen davor, aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen.

Trump hat den Großteil seiner Wahlversprechen nicht erfüllt

Viele von Trumps großen Wahlversprechen können schon jetzt als unerfüllt gelten. Das gilt auch für den Inhalt des Wählervertrags für die ersten 100 Tage im Amt. Darin verspricht er etwa, er werde seinen künftigen Finanzminister beauftragen, China der Währungsmanipulation zu bezichtigen. Das hat er jüngst nach einem Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi zurückgenommen.

Trump hatte auch versprochen, Zuschüsse für Städte zu streichen, die illegalen Einwandern Zuflucht gewähren. Auch dieses Vorhaben ist gerade von einem Gericht gestoppt worden. Das entsprechende Dekret sei "eindeutig verfassungswidrig".

Von den zehn wichtigsten Gesetzen, die Trump für die ersten 100 Tage angekündigt hat, hat er keines abhaken können. Und nur eines überhaupt angestoßen. Und das ist der bisher erfolglose Versuch, Obamas Krankenversicherungsreform zu ersetzen.

Doch von all dem will Trump heute ohnehin nichts mehr wissen. In dem Interview mit der Associated Press sagte er: "Irgendwer, yeah, irgendwer hat dieses Konzept für einen 100-Tage-Plan rausgebracht." Die Dinge haben sich eben verändert seitdem.

Es ist vielleicht Trumps größter Erfolg, dass er Neil Gorsuch als Richter am Supreme Court durchgebracht hat. "Und das habe ich nicht mal auf die 100-Tage-Liste gesetzt", sagt Trump. "Ich glaube, es steht drauf", entgegnet die AP-Reporterin Julie Pace. Trump: "Ich weiß nicht ..." Wer jetzt trotz allem noch rätselt: Pace hat recht.

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