Nach mutmaßlichem Giftgas-Angriff in Syrien:US-Militäreinsatz rückt näher

Lesezeit: 6 min

US-Präsident Barack Obama denkt über einen begrenzten Luftschlag in Syrien nach und nennt sich selbst "kriegsmüde". (Foto: REUTERS)

Die USA haben einem Geheimdienstbericht zufolge klare und schlüssige Beweise, dass das syrische Regime von Assad chemische Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Von mindestens 1429 Toten ist die Rede. US-Präsident Obama erwägt nun einen "begrenzten" Militärschlag und hat ein weiteres Kriegsschiff ins Mittelmeer geschickt.

Die US-Regierung macht nach jüngsten Geheimdienstberichten die syrische Führung für den Giftgas-Angriff der vergangenen Woche verantwortlich und steuern immer wahrscheinlicher auf einen Militärschlag gegen das syrische Regime zu. US-Außenminister John Kerry sagte am Freitag, es handele sich um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Syriens Präsident Baschar al-Assad sei ein "Verbrecher und Mörder".

Nach US-Erkenntnissen hätten ranghohe syrische Regierungsmitglieder den Einsatz von Chemie-Waffen bestätigt. Bei dem Angriff in Vororten von Damaskus seien am 21. August 1429 Menschen ums Leben gekommen, darunter mindestens 426 Kinder.

UN-Waffeninspektoren, die ihre Arbeit in Syrien am Freitag beendet haben, könnten den USA keine neuen Erkenntnisse mehr liefern, alle Informationen über den Angriff seien bekannt. Die USA würden nun nach ihrem eigenen Zeitplan reagieren. Kerry nannte keine Details zu einem Militäreinsatz.

Eine Sprecherin des amerikanischen Verteidigungsministeriums sagte am Freitag, dass ein weiteres Kriegsschiff ins östlicht Mittelmeer beordert wurde. Das Schiff der San-Antonio-Klasse habe den Suezkanal durchfahren und sei zu den fünf Zerstörern gestoßen, die sich bereits im Mittelmeer aufhalten, sagte eine Pentagon-Sprecherin. Die Fahrt sei Teil von "Vorsichtsmaßnahmen" für den Fall, dass in der Region Unterstützung benötigt würde. Zusammen mit der Besatzung der fünf Zerstörer befinden sich derzeit nach Pentagon-Angaben rund 1700 US-Militärs im Mittelmeer.

Chronologie der Ereignisse in Syrien
:Wie sich Assad an der Macht hält

Mit Hoffnung auf Reformen begannen nach den Umwälzungen in Tunesien und Ägypten im Jahr 2011 die Proteste in Syrien. Doch der Konflikt zwischen Oppositionellen und Präsident Assad ist zum Bürgerkrieg geworden. Gekämpft wird auch mit Giftgas. Die Vernichtung seiner Chemiewaffen könnte Assad vor einem Militärschlag der USA bewahren. Die Eckpunkte des Konflikts im Überblick.

Niemand sei "kriegsmüder" als er selbst, sagt Obama

US-Präsident Barack Obama hat nach eigenen Angaben allerdings noch keine Entscheidung über eine Militärintervention gegen das syrische Regime getroffen. Er erwäge aber einen "begrenzten" und "eingeschränkten" Einsatz, sagte er. Was auch immer die USA unternähmen, sei keine "große Operation".

Eine US-Antwort auf die Geschehnisse in Damaskus solle sicherstellen, dass Syrien und die Welt verstehe, dass die Nutzung von Chemiewaffen nicht zugelassen werde. Zudem bestehe das Risiko, dass solche Waffen auch in die Hände von Terroristen fielen und später einmal "gegen uns" verwendet würden, sagte Obama.

Der UN-Sicherheitsrat habe sich als unfähig erwiesen, angesichts einer klaren Verletzung internationaler Normen zu handeln, fügte der US-Präsident hinzu. Niemand sei "kriegsmüder" als er selbst, doch die USA müssten als Weltmacht für die Einhaltung internationaler Normen sorgen. Wenn es keine Reaktion auf den Einsatz von Chemiewaffen gebe, sende das ein falsches Signal. Nach Ansicht vieler Menschen weltweit müsse etwas getan werden, aber keiner wolle es tun. Er hätte es bevorzugt, wenn die internationale Gemeinschaft mit im Boot gewesen wäre, sagte Obama.

Russland, ein Verbündeter Syriens, hat Obamas Aussagen zu möglichen Luftschlägen scharf kritisiert. "Diese Drohungen sind unannehmbar", teilte das Außenministerium in Moskau mit. Sogar enge Verbündete der USA würden sich für ein ruhiges Abwägen der weiteren Schritte aussprechen. "Das einseitige Anwenden von Gewalt unter Umgehung des Weltsicherheitsrats bedeutet ein Verstoß gegen internationales Recht, erschwert eine politische Lösung und bringt nur weitere Opfer", betonte Ministeriumssprecher Alexander Lukaschewitsch.

Weißes Haus veröffentlicht Bericht über Giftgasangriff

Gleichzeitig zu Kerrys Worten veröffentlichte das Weiße Haus einen Bericht zu den Geschehnissen: "Die US-Regierung stellt fest, dass die syrische Regierung mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Giftgasangriff in den Vororten von Damaskus ausgeführt hat", heißt es darin. Es sei "äußerst unwahrscheinlich", dass die Opposition für die Angriffe verantwortlich sei.

Assads Chemiewaffen-Personal habe drei Tage vor dem Angriff in der betroffenen Region Vorbereitungen getroffen. Kerry ergänzte: "Wir wissen, von wo und wann die Raketen abgeschossen wurden und wo sie landeten." Sie seien aus einem Gebiet gekommen, das nur vom Regime kontrolliert worden sei. Die US-Geheimdienste hätten alle Fakten ausführlich überprüft und seien sich sicher, was exakt passiert sei.

Frankreichs Präsident François Hollande stützt die Analyse der USA über den Chemiewaffen-Einsatz. Hollande und US-Präsident Barack Obama "teilen die gleiche Gewissheit zur chemischen Beschaffenheit des Angriffs und zur zweifellosen Verantwortung des Regimes" des syrischen Machthabers Baschar al-Assad, hieß es nach einem Telefongespräch der beiden Staatschefs aus dem Élysée-Palast in Paris. "Frankreich wird diese Verbrechen nicht ungestraft lassen und fühlt die gleiche Entschlossenheit aufseiten Obamas", zitierte die Nachrichtenagentur AFP aus Hollandes Umgebung.

Die Bundesregierung hält die von den USA vorgelegten Belege für einen Giftgaseinsatz für "plausibel". "Die vom amerikanischen Außenminister John Kerry vorgebrachten Argumente wiegen schwer. Sie weisen klar in Richtung des Assad-Regimes", sagte Außenminister Guido Westerwelle der Welt am Sonntag. "Sie sind plausibel. Jeder sollte sie ernst nehmen." Die Bundesregierung werde weiter intensiv mit ihren Verbündeten und Partnern beraten und sich für eine geschlossene Haltung der Weltgemeinschaft einsetzen.

Wegen der "garantierten russischen Blockadepolitik" im UN-Sicherheitsrat werde die US-Regierung weiter mit ihren Verbündeten und dem Kongress über das Vorgehen in Syrien beraten. "Wir werden unsere eigenen Entscheidungen zu den von uns gewählten Zeiten anhand unserer eigenen Werte treffen", stellte Kerry klar. Ein möglicher Militärschlag würde keine Bodentruppen und kein längerfristiges Engagement in dem Bürgerkriegsland bedeuten. Er hätte auch keine Ähnlichkeit mit den Missionen in Libyen, im Irak oder Afghanistan. "Wir müssen uns fragen: Was ist das Risiko, nichts zu unternehmen?", sagte Kerry. Die Reaktion in Washington habe auch Folgen für die Glaubwürdigkeit der USA und ihre Führungsrolle in der Welt.

Ein Sprecher der Vereinten Nationen hatte am Freitag mitgeteilt, die Befragungen und Proben-Entnahmen ihrer Inspektoren seien abgeschlossen. Vor Rückschlüssen müssten die Proben nun eingehend analysiert werden. Wie lange dies dauern werde, sei nicht absehbar. Die Experten hatten mehrere Tage lang in Vororten der syrischen Hauptstadt Damaskus nach Spuren des mutmaßlichen Chemiewaffen-Einsatzes in der vergangenen Woche gesucht.

"Es gibt technische Beschränkungen, wie schnell die Proben in den Laboren untersucht werden können." Alle gesammelten Informationen und Proben müssten zunächst vollständig analysiert werden, bevor ein Bericht an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und die Öffentlichkeit übergeben werden könne. Es werde alles getan, um die Untersuchung der Proben zu beschleunigen.

Aus westlichen Diplomatenkreisen hieß es jedoch am Freitag, es werde mindestens 10 bis 14 Tage dauern, bis die Ergebnisse vorliegen könnten. Schneller sei ein solcher Bericht nicht zu erstellen, habe Teamleiter Ake Sellström Ban mitgeteilt. Ursprünglich habe Sellström sogar vier bis sechs Wochen Zeit veranschlagt.

Nach derzeitiger Planung sollen die Chemiewaffen-Inspekteure zu einem späteren Zeitpunkt nach Syrien zurückkehren, um ihre Mission fortzusetzen. Dann wollen sie sich der drei Vorfälle annehmen, die sie ursprünglich bei der jetzt beendeten Mission hatten untersuchen sollen. Wann genau die nächste Reise stattfinden könnte, sei jedoch noch unklar, sagte der UN-Sprecher.

Das Experten-Team habe am Freitag ein Militärkrankenhaus in Damaskus besucht und dort Patienten und Ärzte befragt. Danach habe das Team seine Sachen gepackt und werde am Samstag zurück nach Den Haag reisen. Einige der beteiligten Dolmetscher hätten Syrien bereits wieder verlassen. Insgesamt befänden sich derzeit jedoch noch mehr als 1000 UN-Mitarbeiter in Syrien.

Syrien nennt Berichte frei erfunden

Das syrische Regime hat Vorwürfe der USA als haltlose Lügen zurückgewiesen. Diese basierten auf erfunden Berichten von Rebellen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Sana unter Berufung auf das Außenministerium des Bürgerkriegslandes. "Nach tagelangen Übertreibungen (...) verlässt sich US-Außenminister John Kerry auf alte Lügen und erfundene Berichte, die Terroristen vor über einer Woche veröffentlicht haben", zitierte Sana.

Das Außenministerium in Damaskus sei überrascht, "wie eine Weltmacht die Öffentlichkeit auf so naive Art zum Narren hält". Syrien verurteile, wie die USA Entscheidungen über Krieg und Frieden treffen können auf der Grundlage von Veröffentlichungen in den Sozialen Medien und auf Webseiten.

Die syrische Staatsführung hatte zuvor schon angekündigt, dass sie keine vorläufigen Erkenntnisse der UN-Inspekteure über den mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz aus der vergangenen Woche akzeptieren wird.

Die Regierung werde "jeden Zwischenbericht zurückweisen", sagte Außenminister Walid al-Muallim in einem Telefonat mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, wie das syrische Staatsfernsehen berichtete. Sollte Ban einen Teilbericht veröffentlichen, werde dies nicht akzeptiert, sagte al-Muallim den Angaben zufolge. Die Experten müssten ihre Arbeit abschließen und es müssten die Ergebnisse von den Proben bekanntgegeben werden, die die Inspekteure an den Orten der mutmaßlichen Giftgaseinsätze gesammelt hätten.

Am Donnerstag hatte ein UN-Sprecher erklärt, dass die Analyse der Proben in europäischen Labors mehrere Wochen in Anspruch nehmen könnte. Dem Fernsehbericht zufolge verlangte al-Muallim von Ban auch, dass die UN-Inspekteure Orte inspizieren, wo Aufständische die Regierungstruppen mit Chemiewaffen angegriffen haben sollen. Ban habe zugesagt, dass die Fachleute nach Syrien zurückkehren würden, um ihre Arbeit fortzusetzen.

Währenddessen schloss Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen eine Beteiligung des Bündnisses an einem möglichen Militärschlag gegen Damaskus aus. "Ich sehe keine Rolle für die Nato bei einer internationalen Reaktion gegen das Regime", sagte Rasmussen vor Journalisten in der dänischen Stadt Veijle, wie die Zeitung Politiken in ihrer Onlineausgabe berichtete.

Er habe "keinen Zweifel", dass die Regierung Chemiewaffen gegen Aufständische eingesetzt habe. Das sei eine "klare Verletzung internationaler Standards - ein Verbrechen, das nicht ignoriert werden kann", sagte Rasmussen. Notwendig sei eine internationale Antwort, "damit so etwas nicht wieder passiert".

© sueddeutsche.de/AFP/Reuters/dpa/lala/schma - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: