Syrien und Irak:"Islamischer Staat" - Von Rückschlägen zu Anschlägen

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Irakische Spezialeinheiten im Kampf um die vom IS gehaltene Stadt Hit. (Foto: AP)
  • Der sogenannte Islamische Staat hat schwere Niederlagen erlitten, 25 000 seiner Kämpfer sollen dem Pentagon zufolge inzwischen getötet worden sein.
  • Die Anschlagsgefahr durch IS-Terroristen wird dadurch jedoch nicht geringer, sondern vielleicht sogar größer, befürchten Experten.

Von Markus C. Schulte von Drach

Erfolgsmeldungen einer Kriegspartei müssen mit Vorsicht aufgenommen werden. Der Beginn der Parlamentswahlen in Syrien etwa wird von niemanden als Erfolg betrachtet - außer von der Baath-Partei des Diktators Baschar al-Assad und seiner Anhänger. Gewählt wird nur dort, wo das Regime die Kontrolle hat, die Opposition boykottiert die Wahl. Demnach kann durch den Urnengang keine vom syrischen Volk legitimierte Regierung an die Macht kommen.

Auch der baldige Beginn neuer Friedensgespräche in Genf zwischen Oppositionellen, bewaffneten Rebellengruppen und der Regierung ist nur eingeschränkt ein Erfolg. Die inzwischen dritte Runde von Verhandlungen, die nach dem Willen der Assad-Gegner zu einer Übergangsregierung, einer neuen Verfassung und freien Wahlen führen sollen, wird gerade durch die Parlamentswahlen unterminiert.

Klare Erfolge gibt es dagegen im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, der in jüngster Zeit eine Reihe von schweren militärischen Niederlagen erlitten hat. 25 000 IS-Kämpfer sollen im Irak und Syrien inzwischen durch Luftangriffe der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition getötet worden sein. Das berichtet die New York Times unter Berufung auf Mitarbeiter des Pentagons.

Die vom US-Verteidigungsministerium zuletzt Anfang April veröffentlichte Statistik zum Militäreinsatz der Anti-IS-Koalition zählte etwa 11 400 Luftangriffe, fast 2700 davon waren Angriffe von Franzosen, Briten, Dänen, Belgiern, Niederländern, Kanadiern, Australiern sowie Jordaniern, Saudis, Türken und Emiratis. Den Rest flogen die Amerikaner selbst. Bis Mitte März wurden den offiziellen Zahlen zufolge fast 22 800 Ziele wie Panzer und Geländewagen, aber auch Militärcamps, Gebäude, Stellungen, aber zum Beispiel auch Ölpumpen, Tanklaster und Raffinerien zerstört.

Im Irak haben irakische und kurdische Truppen der New York Times zufolge inzwischen 40 Prozent des zuvor vom IS kontrollierten Gebiets zurückerobert. Auch aus Syrien melden die Gegner des IS Erfolge: Im März hat die russisch-syrische Allianz den Terrormilizen des IS die Stadt Palmyra abgenommen. Von hier aus wollen die Assad-Truppen, unterstützt durch russische Kampfflugzeuge, die IS-Kämpfer aus Rakka, der inoffiziellen "Hauptstadt" des IS, vertreiben.

Zuvor hatte der IS bereits Orte wie Tel Skak und Atschan in der Provinz Hama verloren. Bei Aleppo und Hassakeh sind syrische Truppen und mit ihnen verbündete Schiiten-Milizen in IS-Gebiete vorgerückt.

Auch unter finanziellen Problemen hat die Terrororganisation offenbar inzwischen immer stärker zu leiden, auch wenn sie immer noch über viel Geld verfügt, das aus geplünderten Banken, aus Ölgeschäften und Steuern stammt, die im IS erhoben werden. Seit der Westen sich bemüht, Bankgeschäfte und den Handel des IS mit dem Ausland zu verhindern und die Infrastruktur der Ölindustrie zum Teil zerstört ist, wurde etwa der Sold der Kämpfer halbiert, berichtet die New York Times.

Gefahr von Terroranschlägen bleibt bestehen

Vizeaußenminister Tony Blinken wies vor einem Komitee des US-Kongresses allerdings darauf hin, wie wichtig es trotz der Erfolge sei, von vornherein zu verhindern, dass sich gewaltbereiter Extremismus ausbreiten könne. Dazu müsste die Rekrutierung, Radikalisierung und Mobilisierung vor allem von jungen Menschen gestoppt werden.

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Die USA und ihre Verbündeten müssten sich nun vor allem auch dem deutlich komplexeren Kampf gegen sogenannte "hausgemachte" Militante widmen, die im Westen mit relativ wenigen Mitteln Blutbäder anrichten könnten, forderte Blinken mit Blick auf die jüngsten Anschläge von IS-Terroristen etwa in Europa, der Türkei und den USA.

Selbst die Vernichtung des Pseudo-Staates des selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi würde den IS und seine Ideologie nicht zerstören. Die Gefahr durch sogenannte einsame Wölfe oder unabhängige Terrorzellen im Westen würde dadurch nicht signifikant verringert, sagte Terrorismus-Experte Jonathan Schanzer von der Foundation for Defense of Democracies in Washington der New York Times. Manche Experten befürchten sogar, dass die Rückschläge des IS bereits jetzt die Gefahr von Anschlägen erhöht haben und weiter erhöhen werden.

Selbst wenn in Syrien nach erfolgreichen Verhandlungen in absehbarer Zeit Frieden zwischen Regierung und Opposition herrschen und der IS die Kontrolle über Teile von Syrien und des Irak verlieren könnte - nach Einschätzung von Experten muss die Welt vorerst weiter mit Anschlägen durch dessen Anhänger oder durch Al-Qaida-Terroristen rechnen.

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