Streit zwischen USA und Pakistan:Was Bin Ladens Witwen wissen

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Die Leiche Bin Ladens, Festplatten, CDs - der Hubschrauber der US-Spezialeinheit war gut beladen, als er in Abbottabad abhob. Die drei Witwen des Terroristen sind jetzt in pakistanischer Hand. Washington verlangt Zugang zu den Frauen - doch Islamabad mauert: Der Streit zwischen beiden Nationen spitzt sich zu.

Michael König

Ein modifizierter Spezialhubschrauber vom Typ Black Hawk soll es gewesen sein, besonders leise und für das Radar kaum zu erkennen. Die Informationen über das Fluggerät, mit dem die Navy Seals unbemerkt nach Abbottabad gelangten, um Osama bin Laden zu töten, sind allerdings dürftig. Als gesichert darf immerhin gelten, dass die US-Spezialeinheiten auf ihrem Rückflug gerne mehr mitgenommen hätten. Mehr Material - und mehr Menschen.

Wie wertvoll ist der Nachlass Bin Ladens? Bislang haben die USA nur wenige Videos veröffentlicht. Doch das Material soll auch die Frage beantworten, wie der Terrorist fünf Jahre unbehelligt in Pakistan leben konnte. (Foto: AFP)

Drei Witwen des getöteten Terrorchefs haben das Interesse der Amerikaner geweckt. Sie gehörten zu den 17 Menschen, die auf dem Anwesen zurückgelassen wurden - gefesselt mit Plastikbändern. Vor dem Rückflug hatten die Navy Seals einen beschädigten Hubschrauber gesprengt und sich beim Abtransport auf die Leiche Bin Ladens beschränken müssen. Sowie auf mehrere hundert Datenträger aus dem Anwesen: Disketten, Festplatten, Videos, handschriftliche Notizen und andere Papiere. Eine Arbeitsgruppe der US-Geheimdienste sichtet das Material seither rund um die Uhr.

Nicht ohne Stolz verkündete der Nationale Sicherheitsberater der USA, Thomas E. Donilon, am Sonntag in mehreren Nachrichtensendungen, die Menge der Dokumente sei so groß, dass sie "eine kleine College-Bibliothek" ausfüllen könnten. Nie zuvor sei man in den Besitz eines so großen Informationsspeichers eines Top-Terroristen gekommen. Erste Auszüge wurden bereits veröffentlicht: Videos von Bin Laden, der Aufnahmen von sich selbst im Fernsehen ansieht.

Die für viele Amerikaner wesentliche Frage ist aber noch ungeklärt: Wie konnte Bin Laden so lange unbemerkt in Pakistan leben? In einer Siedlung inmitten pensionierter pakistanischer Offiziere, eine Autostunde von der Hauptstadt entfernt? Die pakistanische Regierung weist jede Verantwortung von sich und verspricht Transparenz: "Es werden Köpfe rollen, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist", sagte der pakistanische Botschafter in den USA, Husain Haqqani. "Und wenn - Gott bewahre! - jemandem Komplizenschaft nachgewiesen wird, gibt es auch dafür null Toleranz."

Im Gegenzug hütet sich Washington davor, der Führung der Atommacht eine Mitwisserschaft zu unterstellen. US-Präsident Barack Obama sagt jedoch, Bin Laden müsse ein Netzwerk von Unterstützern gehabt haben. "Das ist etwas, was wir untersuchen müssen, und noch wichtiger: was die pakistanische Regierung untersuchen muss", sagte Obama in einem Interview am Sonntag. Islamabad habe daran sicherlich ein "profundes" Interesse.

Genau daran haben viele Amerikaner allerdings ihre Zweifel. Das Misstrauen auf beiden Seiten ist groß - und hat eine Art Wettbewerb der Geheimdienste in Gang gesetzt.

Donilon ließ durchblicken, dass der Nachlass Bin Ladens auch eine Antwort darauf enthalten könne, wer den Terroristen gedeckt hat. Gleichzeitig forderte er Pakistan auf, den USA Zugang zu einer anderen wichtigen Quelle zu gewähren: den drei Witwen Bin Ladens, mit denen der Terrorist in den vergangenen fünf Jahren in Abbottabad gelebt haben soll. Sie sollen im Gewahrsam der pakistanischen Streitkräfte sein. Die Zeitung New York Times zitiert einen anonymen US-Beamten mit den Worten: "Wir vermuten, dass die Witwen wissen, wer Osama bin Laden in all den Jahren am Leben gehalten hat."

Wie um die Amerikaner zu ärgern, tauchten am Wochenende Medienberichte auf, wonach die jüngste Frau Bin Ladens, Amal Ahmed Abdulfattah, bereits vom pakistanischen Geheimdienst ISI verhört worden sei. Bei der 29-Jährigen soll es sich um jene Frau handeln, die nach US-Angaben bei dem Feuergefecht in Bin Ladens Schlafzimmer angeschossen wurde. Den pakistanischen Berichten zufolge wird sie wegen einer Schussverletzung am Bein in einem pakistanischen Militärkrankenhaus behandelt.

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In Abbottabad, der gepflegten Garnisonsstadt unweit von Islamabad, konnte al-Qaida-Chef Osama bin Laden jahrelang untertauchen. Der Fotograf Abid Zaid hat sich 2011 nach der Erschießung des Terrorführers für die Süddeutsche Zeitung in dem Ort umgeschaut.

Abdulfattah soll ausgesagt haben, die Familie des Al-Qaida-Gründers Bin Laden sei 2005 in das Anwesen in Abbottabad eingezogen. Entgegen anderslautender Gerüchte sei der Terrorist nicht nierenkrank gewesen. Er habe sich während der Taliban-Herrschaft zweimal erfolgreich operieren lassen und seitdem kaum Medikamente, aber Hausmittel zu sich genommen - darunter offenbar eine Art pflanzliches Viagra, um die Potenz zu stärken.

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In verschiedenen US-Medien wird vor allem letztere Information begeistert aufgegriffen. Für den pakistanischen Geheimdienst ISI bedeutet das ein wenig Linderung nach der Schmach des unautorisierten US-Eingreifens auf ihrem Territorium. Premierminister Yousuf Raza Gilani will sich an diesem Montag im Parlament in Islamabad zu dem Einsatz äußern. Die Erwartungen sind gewaltig: "Der Premier bringt der Nation das Selbstvertrauen", titelt die Online-Ausgabe der englischsprachigen pakistanischen Tageszeitung The News.

Selbstbewusst präsentierte sich auch der ISI, der gegenüber dem US-Sender Fox durchblicken ließ, Abdulfattah könne an die USA ausgeliefert werden - zumindest theoretisch. Dies sei "eine Möglichkeit", die aber noch geprüft werde. Wahrscheinlicher sei die Abschiebung aller Gefangenen in ihre Heimatländer. Bei der jüngsten Witwe Bin Ladens soll es sich um eine jemenitische Staatsbürgerin handeln.

Für die USA wäre die Abschiebung ein Affront. Die New York Times fühlt sich an den Fall Abdul Qadeer Khans erinnert: Der Vater der pakistanischen Atombombe wurde von den Amerikanern verdächtigt, Nukleartechnologie an Schurkenstaaten wie Nordkorea und Iran geliefert zu haben. Nach einer Vernehmung durch den ISI übernahm Khan die Verantwortung und wurde unter Hausarrest gestellt, ehe ihn die Regierung 2009 begnadigte.

In Washington wird nun der Ruf der Hardliner lauter, die milliardenschwere Finanzhilfe für Pakistan zu kürzen oder gar zu stoppen. Die USA hätten sich lange genug vorführen lassen. Doch US-Präsident Barack Obama schließt die Möglichkeit offenbar aus - im Interesse der Sicherheit.

"Wir hatten Schwierigkeiten mit Pakistan", sagte Obamas Nationaler Sicherheitsberater Donilon. Aber im Kampf gegen den Terror sei das Land nach wie vor ein wichtiger Partner: "In Pakistan wurden mehr Terroristen und Extremisten gefangen oder getötet als in jedem anderen Land der Welt."

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