Steuerdebatte im Wahlkampf:Kirchhof ist jetzt Westerwelle

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Nichts gelernt aus 2005: Wieder versprechen CDU und FDP, die Steuern zu senken - und wieder könnte Schwarz-Gelb daran scheitern.

Kurt Kister

Professor Paul Kirchhof heißt in diesem Jahr Guido Westerwelle. Oder Horst Seehofer. Das Versprechen, nein: die leeren Versprechungen, die Steuern zu senken, könnten sich für Union und FDP zum Stolperstein in der Bundestagswahl entwickeln.

2005 reichte es nicht für Schwarz-Gelb, weil es die anderen, allen voran Gerhard Schröder, verstanden hatten, unter dem Wahlkampfbegriff "dieser Professor aus Heidelberg" all das zu subsumieren, was die Mehrheit der Wähler an Schwarz-Gelb fürchtete: soziale Kälte, ein Steuersystem zugunsten der Wohlhabenden, die Republik der Unternehmensberater und Boni-Empfänger.

Das war ungerecht gegenüber dem wackeren Paul Kirchhof, einem eher akademisch orientierten Steuerrechtler, den Merkels Strategen unversehens unter die Politiker geworfen hatten. Es war, als habe man den Verfasser einer Theorie des Schwertfechtens mit einer Horde hartgesottener Gladiatoren in die Arena geführt. Kirchhofs Ideen zur Steuervereinfachung spielten in den Wochen vor der Wahl kaum mehr eine Rolle. Es ging fast ausschließlich um das Symbolische: Der Professor als die Verkörperung des kalten Staates, in dem die Armen frieren und die Reichen 25 Prozent flat tax bezahlen. Es spricht viel dafür, dass diese Wahrnehmung Union und FDP entscheidende Prozentpunkte gekostet hat. Vor allem die relative Schwäche der Union hatte etwas mit "Kirchhof" zu tun.

2005 Kirchhof, 2009 die Steuersenkungen. Schon richtig, prinzipiell sollten Menschen, die etwas verdienen, so viel wie möglich vom Verdienst behalten. Die Steuer- und Abgabenquote ist hoch in diesem Land, so hoch, dass vielen, die nicht schlecht verdienen, kaum mehr die Hälfte von ihrem Bruttoeinkommen bleibt.

Aber es gibt auch einen Konsens in Deutschland, dass der Sozialstaat, so wie er sich in Jahrzehnten entwickelt hat, möglichst weiter bestehen soll. Dies ist, im Vergleich mit anderen Staaten, bisher der Fall - auch wenn die Linkspartei so tut, als gäbe es hierzulande längst amerikanische Verhältnisse. Der Sozialstaat kostet viel, und er wird zu einem erheblichen Teil aus Steuermitteln bezahlt.

Die Rekordverschuldung in diesem Jahr und den kommenden Jahren hat allerdings nicht so viel mit dem Sozialstaat zu tun als vielmehr mit der Wirtschafts- und Finanzkrise. 100 Milliarden neue Schulden wird der Finanzminister 2010 aufnehmen müssen. Und damit sind nicht einmal die Stützung von Banken sowie die diversen Konjunkturprogramme finanziert.

Nicht nur der Bund steckt tief in der Bredouille, sondern auch Städte und Gemeinden, denen die Einnahmen aus der Gewerbesteuer wegbrechen. Die Zahl der Arbeitslosen wird steigen und also auch die Zahl jener, die Leistungen der öffentlichen Hand in Anspruch nehmen müssen. Hier überschneiden sich der wahrlich nicht billige Sozialstaat und die Probleme der Wirtschaftskrise.

Sicher, dies ist eine kurze und simple Zusammenfassung der Lage. Aber sie ist richtig. Und vor allem entspricht sie dem, was die große Mehrheit der Deutschen jeden Tag hört und sieht: Dem Staat (und damit auch seinen bedürftigen Bürgern) fehlt es an Geld. Wer in dieser Situation Steuersenkungen verspricht, der vergrößert diese Not. Er nimmt dem Gemeinwesen Geld weg. Er tut es, weil er in einem quasi-religiösen Sendungsbewusstsein daran glaubt, dass Steuersenkungen gerade zu Zeiten von Rezession und Höchstverschuldung Wachstum bringen würden. Dies ist, wie es schon Ronald Reagan, einem der Säulenheiligen dieser Religion, vorgeworfen wurde, voodoo economics, Wirtschaft als Magie. Westerwelle und Seehofer betreiben in diesem Sinne voodoo politics.

Dem FDP-Chef mag man zugute halten, dass er sich gegen die herrschende Vernunft (oder zumindest die Mehrheitsmeinung) stellt, weil er wirklich daran glaubt, dass Steuersenkungen in der Krise richtig seien und sich das auch irgendwann mal erweisen werde. Jedenfalls vertritt er diese Lehre schon so lange, dass man das annehmen darf. Bei Horst Seehofer dagegen sind Steuersenkungen eine der vielen Moden des Tages, denen sich der Mann unterwirft, wenn er meint, es sei gut für ihn oder die CSU. Mal findet er den Gesundheitsfonds schlecht, dann wieder gut; mal haut er auf die FDP drauf, mal streichelt er sie; mal ist er Sozialpolitiker, mal will er dem Sozialstaat Geld entziehen. Für Seehofer sind diese Woche eben Steuersenkungen en vogue.

Seine Aussage, er werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht Steuersenkungen festgehalten würden, muss man einerseits nicht ernst nehmen. Wenn nichts anderes geht als eine Neuauflage der großen Koalition, wird Seehofer schon unterzeichnen. Prinzipienfestigkeit gehört nicht zu seinen Prinzipien. Andererseits stellt sich Seehofer in seinem Wahn, die CSU in der Union zu profilieren, gegen Angela Merkel und ihren Kurs in der CDU. Er schadet so den Interessen der Union und gefährdet das erklärte Wahlziel Schwarz-Gelb.

Die Verheißung von Steuersenkungen in einer Lage wie dieser gehört zu jenen Dingen, die viele Menschen verdrossen machen über Politiker und Politik. Sie fühlen sich, man verzeihe das starke Wort, verarscht. Und es kann sein, dass sich dies auch in der Wahlentscheidung vieler am Sonntag niederschlägt

© SZ vom 23.9.2009/jab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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