Staatsbürgerschaft:Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Doppelpass

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Wegen Veranstaltungen wie dieser hier in Oberhausen, bei der Tausende Deutschtürken dem türkischen Premier zujubeln, ist die Debatte um den Doppelpass in Deutschland wieder aufgeflammt. (Foto: REUTERS)

Die Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft von Deutschtürken ist wieder mal voll entbrannt - doch was erhoffen sich die einen, was fürchten die anderen?

Von Matthias Drobinski

Wie kam es zum Doppelpass für Deutschtürken?

Bis 2000 galt: Deutscher ist, wer einen deutschen Elternteil hat - oder sich nach 15 Jahren im Land einbürgern lässt. Auf Initiative der rot-grünen Regierung kam dann ein Gesetz, das Kinder automatisch zu deutschen Staatsbürgern machte, wenn die Eltern mindestens acht Jahre und mit unbegrenztem Aufenthaltsstatus im Land leben; die Kinder aber mussten sich mit spätestens 23 Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. 2014 fiel diese Optionspflicht weg - die SPD hatte dies in der großen Koalition durchgesetzt. In der Union aber blieb die Zahl der Gegner groß. Im Dezember sprach sich der CDU-Parteitag gegen den Doppelpass aus, zum Ärger von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Was erhoffen sich die einen, was fürchten die anderen?

Der Abschied vom alten Blutsrecht bei der Staatsangehörigkeit gilt den Befürwortern als großer Fortschritt und Grundlage der Integration von Migranten. Der Doppelpass ist ein wichtiger Baustein: Man kann in beiden Ländern und Kulturen leben; ohne türkischen Pass ist es zum Beispiel schwieriger, in der Türkei Besitz zu haben oder zu erben. Insgesamt erhofft man sich so mehr Loyalität der Deutschtürken zu einem Staat, der sie nicht zu einer Entscheidung für die eine oder andere Seite zwingt. Die Gegner des Doppelpasses fürchten dagegen Loyalitätskonflikte. Sie argumentieren mit der zunehmend autoritären Regierung in Ankara: Die fordert offen die Loyalität aller Deutschtürken mit der Türkei. Sie betrachtet Inhaber eines Doppelpasses als türkische Bürger, wie der inhaftierte deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel schmerzhaft erfahren muss. Der Doppelpass ist also gescheitert, sagen die Kritiker.

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Die Behauptung Norbert Röttgens, der Doppelpass sei ein Integrationshindernis, ist Unfug. Das eigentliche Ziel des CDU-Manns ist: Schlag die Türken und triff Merkel.

Kommentar von Constanze von Bullion

Wie viele deutsch-türkische Doppelpässe gibt es überhaupt in Deutschland?

Dem Mikrozensus von 2015 zufolge sagten 246 000 Deutschtürken, sie hätten die doppelte Staatsangehörigkeit. Das ist eine kleine Zahl, verglichen mit den 1,5 Millionen Türken in Deutschland oder den drei Millionen Menschen mit Wurzeln in der Türkei (siehe Grafik). Das Statistische Bundesamt selber hält diese Zahl aber für zu niedrig: Oft wüssten Menschen gar nicht, dass sie die doppelte Staatsbürgerschaft haben. Die Schätzungen gehen bis zu 500 000 Türken mit doppelter Staatsbürgerschaft. Bewusst aber entscheidet sich offenbar nur eine Minderheit für den Doppelpass. In der Umfrage des Münsteraner Soziologen Detlef Pollack über die Stimmung unter den Deutschtürken sagten 2016 nur acht Prozent, sie seien Doppelstaatsbürger.

In welcher Gruppe ist die doppelte Staatsbürgerschaft besonders häufig?

Einer Untersuchung der Universität Münster zufolge haben vor allem Angehörige der zweiten und dritten Einwanderergeneration einen Doppelpass. Es sind die gut Ausgebildeten, die sich von zwei Staatsbürgerschaften auch berufliche Vorteile erhoffen. Oder Migranten, die sich bewusst beide Welten und Kulturen bewahren wollen.

Niemand weiß genau, wie viele Menschen in Deutschland zwei Pässe besitzen. Diese Daten werden nicht zentral erfasst. Bei der Volkszählung 2011 (Zensus), die auf den Melderegistern der Kommunen basiert, und bei den jährlichen Haushaltsbefragungen von einem Prozent der Bevölkerung (Mikrozensus) kamen daher extrem unterschiedliche Zahlen zustande. Einige Gründe: Viele Melderegister sind nicht auf dem neuesten Stand, viele Menschen wissen gar nicht, dass sie zwei Pässe haben, viele geben dies bei Befragungen bewusst nicht an. SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt (Foto: SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt)

Dürfen doppelte Staatsbürger in beiden Ländern wählen?

Ja, was durchaus Fragen aufwirft: Zählen Doppelstaatler mehr als jene, die in nur einem Land wählen können? Interessant ist das Wahlverhalten der Deutschtürken, die hierzulande abstimmen dürfen: Je nach Umfrage entscheiden sich zwischen 40 und 60 Prozent für die SPD. Es dürfte also mancher Doppelpass-Inhaber im April Recep Tayyip Erdoğan von der AKP seine Stimme geben - und im September dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz.

Und wie ist das mit der Wehrpflicht?

Türkischstämmige Männer mit Doppelpass konnten in Deutschland statt in der Türkei ihren Wehrdienst leisten - was sehr beliebt war. Seit in Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft ist, sind Doppelpass-Inhaber verpflichtet, sechs oder zwölf Monate Wehrdienst in der Türkein zu absolvieren oder sich mit 6000 Euro freizukaufen. Was aber ist, wenn die Türkei diese Möglichkeit nicht mehr bietet? Müssten dann die Doppelpass-Inhaber in türkische Kasernen einrücken? Für Gegner des Doppelpasses eine gewichtige Frage.

Was passiert, wenn der Doppelpass abgeschafft wird? Werden dann die meisten Deutschtürken Deutsche?

Deutschland könnte die Optionspflicht für Erwachsene wieder einführen. Ob dadurch mehr Deutschtürken zu deutschen Staatsbürgern werden, ist zweifelhaft. Seit Jahren geht die Zahl der Einbürgerungen zurück; 2003 wurden mehr als 56 000 Türken Deutsche, 2015 nicht einmal mehr 20 000. Vor die Wahl gestellt würden sich viele Deutschtürken wahrscheinlich für die Türkei entscheiden. Die politische Entwicklung in der Türkei könnte dies ändern. Allerdings könnte die Abschaffung des Doppelpasses auch die Loyalität der Deutschtürken zu Deutschland verringern - nach dem Motto: Die wollen uns sowieso nicht.

© SZ vom 14.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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