SPD: Treffen mit der Basis:Die Stimmungsmacher

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Vor dem Bundesparteitag versuchen der designierte SPD-Chef Sigmar Gabriel und seine künftige Generalsekretärin Andrea Nahles, bei der murrenden Basis für Vertrauen zu werben.

Susanne Höll

In Hannover, Erfurt und Bremen waren sie schon, nach Saarbrücken kommen sie an diesem Montag, dann geht es nach Mainz, Bochum, Esslingen, Nürnberg und noch ein halbes Dutzend anderer Orte. Der designierte SPD-Chef Sigmar Gabriel und seine künftige Generalsekretärin Andrea Nahles reisen in diesen Tagen quer durch Deutschland, zu Treffen mit Parteikollegen, die enttäuscht sind oder erzürnt über die desaströse Niederlage bei der Bundestagswahl und sich fragen, ob es mit der SPD überhaupt noch weitergehen kann und soll.

Diskussion an der Basis: Sigmar Gabriel und Andrea Nahles in Loxstedt. (Foto: Foto: dpa)

Gabriel und Nahles wollen bei ihrer Tour erklärtermaßen erfragen, was die Leute quält, um ihr Vertrauen werben und dafür sorgen, dass sich mancher Ärger vor und nicht auf dem Bundesparteitag Mitte November in Dresden entlädt, jenem Parteitag, auf dem sie gewählt werden wollen, mit zumindest respektablem Ergebnis.

Meist hinter verschlossenen Türen

Fast alle Treffen finden hinter verschlossenen Türen statt, auf Wunsch der jeweiligen Verbände, die in diesen für die SPD so traurigen Tagen keine große Lust auf Debatten in der Öffentlichkeit haben. Und oft reden Gabriel und Nahles dabei nur mit Funktionären, Leuten also, die in der Parteihierarchie einige Sprossen erklommen haben.

Nicht so im niedersächsischen Loxstedt, einer Gemeinde mit 21 Ortschaften und knapp 17.000 Einwohnern unweit von Bremerhaven. Die Türen der Mehrzweckhalle stehen auch für Journalisten offen. Und auf den allermeisten Stühlen sitzen an diesem Samstagnachmittag bei Kaffee und gedecktem Apfelkuchen ganz normale SPD-Mitglieder, für die spätestens am 27. September eine Welt zusammengebrochen ist.

Unmut an der Basis

Sie werden ihr Leid klagen, manchmal ruhig und gelassen, manchmal zornig und aufgewühlt. Zu letzteren zählt Johannes Schmidt, Vorsitzender des niedersächsischen Kinderschutzbundes. Hartz IV gehöre abgeschafft, ruft er in das Mikrofon. Er will wissen, warum die SPD im Saarland und in Thüringen eigentlich nicht mit der Linkspartei regiere. Und fragt zum Schluss: "Ist Steinmeier wirklich der richtige Oppositionsführer?"

Einige wenige der gut 250 Leute im Saal applaudieren. Nicht so Gabriel. Der wusste, was er zu hören bekommen wird, schließlich hat er in Dutzenden Sitzungen zuvor Ähnliches vernommen. Er war vorbereitet, hatte den Leuten im Saal geschmeichelt ("Wenn man Euch hier sieht, an einem Samstagnachmittag, fragt man sich, warum haben wir die Wahl eigentlich verloren"), von Fehlern der SPD in den vergangenen Jahren gesprochen ("Die Rente mit 67 empfinden die Leute als ungerecht") und versprochen, dass sich mit ihm an der Spitze einiges ändern wird.

"Alter Quatsch"

Seinem Vorredner Schmidt aber schmeichelt Gabriel nicht, er teilt ihm nur recht barsch mit, warum all das mit ihm nicht zu machen sein wird. Den "alten Quatsch" von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe werde er nicht wieder einführen. Fraktionschef Steinmeier sei einer der besten und klügsten Leute in der SPD, Repräsentant eines wichtigen Parteiflügels.

"Wer austeilt, muss auch einstecken können", sagt er an die Adresse Schmidts. Und fügt hinzu, das gelte für ihn, Gabriel. "Ich bin schließlich nicht in der Abteilung Weichei zu Hause." Zur Linkspartei sagt er in diesem Moment nichts mehr, das hat er schon hinter sich. Die Debatte um rot-rote Koalitionen nach der Wahlniederlage habe er "ziemlich schräg" gefunden. Die SPD müsse sich um sich selbst kümmern und gute Oppositionspolitik machen, statt auf andere Parteien zu schielen.

"Ich bin ein konservativer Sack"

Einem jungen Mann, der die Konkurrenz der Piratenpartei fürchtet und sich über Zensur und Zugangsbeschränkungen im Internet aufregt, gibt Gabriel ebenfalls Kontra. "Ich sag Dir, ich werde in meinem ganzen Leben nicht für völlige Freiheit im Netz sein. Da bin ich ein konservativer Sack. Ich will nicht von jedem gewählt werden." Der einstige Umweltminister spricht nicht vom SPD-Parteitag, er spricht von anderen Wahlen.

Mit Traumergebnissen in Dresden rechnen derzeit weder Gabriel noch Nahles. Doch sie fürchten, es könnte allen ihren Anstrengungen zum Trotz auf dem Parteitreffen vielleicht doch größeren Krach und einen Aufstand von Gruppen und Grüppchen geben.

Kritiker der rot-grünen Agenda-Politik haben für kommenden Sonntag in Kassel zu einem sogenannten Basis-Treffen eingeladen. Gastredner dort werden die einstige hessische Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti, aber auch der Bundestagsabgeordnete und Gewerkschaftslinke Ottmar Schreiner sein.

Gabriel und Nahles könnten zu diesem Treffen nicht kommen, selbst, wenn sie wollten: Sie haben einen Parteitermin in München. Dort werden sie wieder bitten, die hässlichen Flügelauseinandersetzungen der Vergangenheit zu beenden und ihrerseits Besserung geloben.

Grabenkämpfe vorbei?

"Die Grabenkämpfe an der Spitze werden eingestellt", versprach Nahles in Loxstedt. Im Saal nickte man beifällig, eine Stimme aber fragte: "Weiß der Genosse Kahrs das auch?" Johannes Kahrs ist Bundestagsabgeordneter aus Hamburg, Vorsitzender des konservativen Seeheimer Kreises, und er gilt nicht nur bei der Parteilinken als Störenfried. "Der Genosse Kahrs wird von uns beiden persönlich informiert", antwortete Nahles mit Blick auf Gabriel.

Ob und wie diese beiden der SPD zu neuer Stärke verhelfen können, wissen die Leute in Loxstedt zwei Stunden später nicht ganz genau. Aber sie waren recht angetan und hoffnungsvoll. "Soviel Feuer bei einer Parteiveranstaltung hätte ich mir schon früher einmal gewünscht", sagte eine Dame.

© SZ vom 02.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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