SPD-Parteitag: Müntefering tritt ab:Perfekter Abschied

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"Wir waren die von gestern": Franz Müntefering hat in einer klugen Rede der Aufarbeitung der Wahlniederlage eine gute Richtung gegeben - und damit sein Vermächtnis als Parteichef gewahrt.

Thorsten Denkler, Dresden

Am Ende lächelt er dann doch. Eine Stunde hat Franz Müntefering gesprochen. Die Rede war mit hohen Erwartungen verknüpft. Der Parteichef gilt vielen in der SPD als mitschuldig an dem Wahldesaster vom 27. September. An der, wie ein Delegierter sagt, "epochalen Niederlage".

Franz Müntefering begeistert die Delegierten: "Wir sind kampffähig. Wir sind kampfbereit. Wir kommen wieder!" (Foto: Foto: dpa)

Er hat Tage an seiner alten Gabriele-Schreibmaschine gesessen, um diese Rede zu schreiben. Eine wichtige Rede, seine wichtigste vielleicht. Eine Rede, mit der Franz Müntefering seinen Platz in der Geschichte der SPD bestimmen kann.

Als würde er die Last spüren, sitzt Müntefering in der ersten Reihe. Er verzieht keine Miene, als Generalsekretär Hubertus Heil ihm und Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung des Parteitags im Namen der Partei dankt - wofür es einen eher höflichen Applaus gibt.

Im Video: SPD-Parteitag in Dresden - Sozialdemokraten suchen nach Ursachen für Wahlniederlage. Müntefering: Wir waren für viele aus der Mode. Weitere Videos finden Sie hier

Heil versucht, den Chef aufzumuntern, guckt ihn an und scherzt: "Ja, du kannst ruhig mal freundlicher gucken, gerade du." Heil lächelt. Müntefering nicht.

Als der Chef ans Pult tritt, ist es still in der Dresdner Messehalle. Eine gespannte Erwartungshaltung. Hier ist alles offen. Das soll auch so sein. Nicht mal ein Motto hat der Parteitag. Sozialdemokratische Partei Deutschlands. In roten Lettern. Mehr steht nicht auf der blauen Wand hinter dem Präsidium.

Müntefering beginnt. Er liest seine Rede ab, Wort für Wort. Es zeigt, wie wichtig ihm seine Sätze sind. Und schnell wird klar, dass er nicht vorhat, sich als alleinverantwortlich für die Krise der Partei hinstellen zu lassen.

Erschreckt habe ihn nicht die Wahlniederlage an sich, das gehöre zum Auf und Ab in der Demokratie, erschreckt habe ihn die "Dimension der Niederlage". Und die lasse sich mit dem Verlauf des einen Jahres seiner Amtszeit "nicht erklären". Einige Delegierte klatschen zögerlich in die Hände.

Vor allem aber will er nicht, dass sich die SPD als "Selbstfindungsgruppe ins Jammertal" zurückzieht. Analyse ist wichtig, aber den Blick nach vorn darf man nicht vergessen. Das meint Müntefering.

Der Wahlabend habe ein "bitteres Ergebnis" gebracht, aber nicht das letzte. "Wir sind kampffähig. Wir sind kampfbereit. Wir kommen wieder!" Erstmals donnert der Applaus.

"Die SPD ist kleiner geworden, aber die sozialdemokratische Idee nicht." Zum zweiten Mal donnert der Applaus.

Die Delegierten sind noch nicht versöhnt, das zeigt die nachfolgende Aussprache, bei der sich Müntefering einiges anhören muss. Aber sie haben offenbar auch nicht vor, Müntefering zu grillen. Das hätte er nicht verdient, sagt später einer.

"Wir waren die von gestern"

Müntefering hilft, dass er nicht verteidigt, sondern Erklärungen liefert, wie es soweit kommen konnte. Erklärungen, bei denen viele im Plenum nicken. Die Niederlage habe nicht daran gelegen, dass die SPD für breite Bevölkerungsschichten zum "Feindbild" geworden sei. Viele Menschen hätten die SPD bei der Wahl nicht interessant genug gefunden. "Wir waren die von gestern", sagt er. Und es sei zu undeutlich gewesen, "mit wem wir was denn durchsetzen wollen".

So einfach das klingt, so schwer ist es, diesen Prozess umzukehren. Müntefering weiß das. Die Politik ändern will er deshalb nicht, zumindest nicht grundlegend. Die "Rente mit 67" nimmt er als Begriff nicht in den Mund, steht aber zur Systematik, dass in einer alternden Gesellschaft länger gearbeitet werden muss.

Hartz IV spricht er nicht aus, aber knallt den Delegierten diesen Satz hin: "Die Botschaft, du kannst nichts, setzt dich hin, kriegst Stütze, sei still, stör uns nicht, ist keine sozialdemokratische Botschaft!" Die letzten beiden Wörter gehen im Applaus fast unter.

Mehr als nur Höflichkeit

Am Ende etwas Persönliches, zum Abschied. Er dankt. Seinen Wegbegleitern, dem Willy-Brandt-Haus. Er habe mit Amüsement zur Kenntnis genommen, dass er immer als "autoritärer Knochen" beschrieben worden sei, scherzt er. Es freue ihn, dass er sein Amt in diesem Punkt "unerkannt" zurückgeben könne. Dann wird er ernst, reckt das Kinn hervor, steht kerzengerade vor seinem Pult: "Es war mir eine Ehre, es war mir ein Vergnügen."

Wer jetzt glaubt, das war es mit Müntefering, jetzt zieht er sich zurück, den klärt der Knochenmann aus dem Sauerland auf. "Ich bin dabei. Ich bin Sozialdemokrat. Immer. Glück auf."

Sofort stehen die Genossen auf. Applaudieren, manche johlen. Über drei Minuten lang. Das ist mehr als nur Höflichkeit. Müntefering hat gezeigt, was die Partei an ihm hatte. Die Delegierten haben verstanden, dass die Partei insgesamt die Niederlage zu verantworten hat. Nicht die Parteiführung allein, nicht Franz Müntefering. Mehr wollte er nicht. Es ist der perfekte Abschied in schwerer Zeit.

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