SPD:Hannelore Kraft filmt sich selbst - das sieht man auch

Lesezeit: 5 min

Hannelore Kraft ist jetzt Youtuberin. Sie filmt sich selbst - wie man sieht. (Foto: dpa)
  • Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat einen eigenen Blog auf Youtube gestartet.
  • Ihr Verhältnis zum Internet wirkt kalkuliert: 2017 wird in NRW gewählt.
  • "Kraft nutzt das Format gut aus", sagt ein Kommunikationswissenschaftler - mit Luft nach oben.

Von Deniz Aykanat

Hannelore Kraft sitzt zerknittert in ihrer Limousine. "Donnerstagvormittach, kurz nach acht, jetzt geht's nach Düsseldorf." Es folgt eine Aufzählung von Terminen, die nur Politiker verstehen oder interessant finden. Und dann: "Ääähhm Rede. Hab ich gestern nochmal drüber gelesen. Aber, werd' ich wahrscheinlich so nicht halten." So beginnt Krafts neuestes Video auf ihrem brandneuen Youtube-Kanal.

Die Rede hat Kraft für die Aktuelle Stunde im Landtag vorbereitet. Lust hat sie darauf aber offensichtlich keine: "Nach wie vor frag' ich mich, was die Aktuelle Stunde eigentlich soll, zu der Frage, ob ich in Talkshows gehe und mit wem. Aber okay, wir warten mal ab. Das ist Demokratie."

Als Zuschauer könnte man sich auch fragen, was dieses Video soll. Aber okay, das ist das Internet.

Szenenwechsel: Die Ministerpräsidentin steht in der prallen Sonne vor dem Landtag - und sieht aus wie ein Ei. Die Kamera kriecht Hannelore Kraft förmlich ins Gesicht. Total nah dran eben. Fast jede neue Szene beginnt mit den Worten: "So, jetzt sind wir ..." Und neue Szenen gibt es viele, Kraft ist eine Jetsetterin, und ein Arbeitstier. Das kommt tatsächlich rüber in ihren Videos.

YouTube

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So sieht es auch Kommunikationswissenschaftler Till Keyling. "Generell finde ich die Idee mit dem Video-Blog gut. Das ist ein Versuch, die Berichterstattung der Medien zu durchbrechen." Keyling forscht zur politischen Nutzung von Youtube. "Politiker werden wenig im privaten Bereich beleuchtet, zumindest gilt das für Deutschland", sagt Keyling. Kraft bringe mit ihren Videos eine persönliche Komponente hinein. "Ich vermute, dass sie die Videos selbst mit der GoPro-Kamera gefilmt hat. Das wirkt authentisch."

Eine gute Kamerafrau ist sie aber nicht. Die Kamera wackelt stark, zeigt den Boden, die Wand, Kraft von oben, Kraft von unten, Kraft im Auto. Erinnert an Blair Witch Project oder Cloverfield. Nicht so beängstigend. Dafür verursacht es Kopfweh. Die Videos starten immer mit der im Auto sitzenden Kraft. Dazwischen sitzt sie auch im Auto, und auch am Ende jedes Videos: Auto. Klar, da ist die meiste Zeit, um Dinge in die Kamera zu sagen.

"Twitter und Facebook begleiten mich"

Aber was soll der Zuschauer hier erfahren? Dass Politik vor allem im Auto stattfindet? Dass Kraft einen Fahrer hat? Oder dass Kraft ständig Reden vorbereitet, die sie dann so nicht hält? Die wichtigste Erkenntnis lautet vielleicht, dass man nur dann eine erfolgreiche Politikerin werden kann, wenn einem beim Lesen im Auto nicht schlecht wird.

"Twitter und Facebook begleiten mich", hatte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft einmal in einem Interview während des Wahlkampfes 2012 gesagt. So wie andere sagen: Gott begleitet mich auf meinen Wegen. Oder: Freund A oder B begleitete mich stehts durchs Leben.

Bei Kraft sind es eben die sozialen Medien. Sagt sie. Stringent ist diese Beziehung aber mitnichten. In Wirklichkeit muss es zwischen Kraft und ihren lieben Freunden Twitter und Facebook einen ausgewachsenen Krach gegeben haben. Anders lässt sich wohl nicht erklären, dass die Ministerpräsidentin kurz nach ihrer Wahl offenbar den Router ausstöpselte und quasi über Nacht ins digitale Koma fiel.

Auf Facebook ist sie 2012 während des Wahlkampfes tatsächlich zunächst sehr aktiv. Sie postet zum Beispiel am 20. Juni, acht Tage nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin, ein Bild vom OB-Wahlkampf in Duisburg. Und dann? Folgt eine wirklich ausgedehnte Sommerpause bis Ende September. Am 29. September fügt sie ganze 37 Fotos ihrem Facebook-Account hinzu. Von ihrer Wiederwahl als Parteivorsitzende in Nordrhein-Westfalen. 2015 ließ Kraft dann auf ihrem Facebook-Account die Adventszeit gleich komplett ausfallen und meldete sich erst am 11. Januar wieder.

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Auf Twitter sind ähnliche Phasen der Abwesenheit zu beobachten. Beigetreten ist sie dem Dienst im März 2012. Da war doch? Genau: Wahlkampf. Erst drei Monate nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin meldete sie sich dort wieder persönlich. Twitter zumindest nutzt sie heute aber regelmäßig.

Seit dem 27. Januar des noch taufrischen Jahres führt die Ministerpräsidentin nun also einen Video-Blog auf Youtube, als einzige Landeschefin in ganz Deutschland. In einem Jahr sind übrigens Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Ist der ein Schelm, wer Böses dabei denkt?

"Das ist ein Muster, das man bei vielen Politikern beobachten kann: Die Aktivitäten im Netz steigen sprunghaft an, wenn es in den Wahlkampf geht", sagt Keyling. Es könne wohl sein, dass Kraft jetzt schon vorsichtig anstößt, sich langsam eine größere Zahl an Followern auf Youtube zu erarbeiten. "Aber ich würde nicht sagen, dass das jetzt eine Wahlkampf-Maßnahme ist. Das ist noch zu früh."

Die Beschreibung von Krafts Video-Kanal lautet: "Ich werde immer mal wieder gefragt, wie ein typischer Arbeitstag bei mir aussieht. Hier gebe ich Euch einige Einblicke, die Ihr so vielleicht seltener bekommt, und freue mich auf Eure Reaktionen."

Ihre bisher veröffentlichten Videos wurden von einigen Tausend Menschen geklickt. Allerdings erst, seitdem in den Medien darüber berichtet wird. Zuvor lag der Durchschnitt eher bei einigen Hundert. Die Kommentare sind überwiegend positiv, wirken mitunter aber so, als hätte jemand im Team den Praktikanten dazu verdonnert, ein paar nette Worte zu schreiben. Ein seinem Foto nach zu urteilen noch recht junger User schreibt gleich einen ganzen Roman. Er lobt Krafts "Projekt" überschwänglich. Da war gerade einmal ein einziges Video der Ministerpräsidentin veröffentlicht.

Interaktionen mit den Zuschauern gibt es bislang aber nicht. "Man sollte als Videoblogger auf Nutzerfragen eingehen", sagt Keyling. "Es ist zumindest schon einmal gut, dass die Kommentarfunktion unter den Videos nicht abgeschaltet ist. Das ist bei Politiker-Videos oft nicht der Fall."

Kraft ist zwar die einzige Landeschefin mit Blog auf Youtube, aber natürlich nicht die einzige Persönlichkeit aus der Politik, die versucht, soziale Medien oder Online-Videos für ihre Belange zu nutzen. Alle Parteien und Regierungen in Deutschland haben ihre Youtube-Kanäle. Kanzlerin Angela Merkel veröffentlicht mindestens einmal pro Woche auf ihrer offiziellen Homepage Videos, die sie im Interview mit Bürgern zeigen. Zuletzt etwa mit einem Elektrotechnik-Meister, der sie zu Berufsausbildungen in Deutschland befragen durfte. "Die Kanzlerin direkt" heißt das Format und der Zuschauer merkt, dass hier Profis am Werk sind. Merkel wirkt kompetent, gut vorbereitet. "Das sind klassische Politikervideos mit einem Werbezweck. Hochprofessionalisiert, wie man es auch aus den USA kennt", sagt Keyling.

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Auch Merkel versuchte schon auf den Hype um Youtube-Blogger aufzuspringen und ließ sich vom Youtuber LeFloid interviewen, einem der erfolgreichsten Blogger Deutschlands. Mit solchen Aktionen versuchen Politiker jüngere Wählerschichten zu erreichen, die traditionelle Medien wie das Fernsehen oft nicht mehr konsumieren. Mit dem Interview manifestierte allerdings eher LeFloid seine Beliebtheit - als dass Merkel an Sympathien dazugewonnen hätte.

"Der Selfmade-Charakter wirkt symphatisch"

Krafts Blog soll aber offensichtlich eine andere Sparte bedienen. Es geht um ihren Alltag, darum, nahbar zu sein. Ein bisschen mehr Liebe hätte den Videos zwar nicht geschadet. "Aber dieser Selfmade-Charakter wirkt sympathisch", findet Keyling. "Kraft nutzt das Format sehr gut aus."

So weitergehen kann es trotzdem nicht. "Sie kann nicht jeden Morgen nur zeigen, dass sie müde ist und von Termin zu Termin hetzt", sagt der Kommunikationswissenschaftler. Wenn Kraft in Zukunft mit dem Blog Erfolg haben will, sollte es auch politische Inhalte geben.

Den Youtube-Kanal von Kraft ziert übrigens auch ein Bild der Politikerin. Schön freundlich, Hintergrund in SPD-Rot. Nur, irgendetwas scheint mit Krafts Stirn und Kinn nicht in Ordnung zu sein. Die Ministerpräsidentin sieht aus, als würde sie die untere Bildkante anknabbern. Als wollte sie eben auch ein Stück vom großen digitalen Kuchen abhaben.

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