BND-Affäre:Außenstelle mit Eigenleben

Bundesnachrichtendienst

Immerhin von außen repräsentativ: Die neue BND-Zentrale in Berlin soll im kommenden Jahr bezogen werden.

(Foto: Paul Zinken/dpa)
  • Der BND hat die Internetüberwachung für die NSA gestoppt. Die NSA liefert bislang keine Begründung, wofür sie die Daten braucht.
  • Im Kanzleramt scheint man unschlüssig zu sein, wie mit dem US-Dienst nun umzugehen ist. Bislang waren die Deutschen auf die Amerikaner angewiesen.
  • In Berlin wusste man über die Spionage der NSA Bescheid, unternahm aber lange nichts.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo, Berlin

Die Arbeit von Geheimdienstlern stellen sich die meisten Menschen spannend vor, doch die Wirklichkeit ist oft anders - nervig, langweilig, Buchhalterzeug.

In diesen Tagen werden in der Abteilung Technische Aufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) Überstunden geschoben. Mitarbeiter suchen aus Onlinehandelsregistern und Firmenverzeichnissen die Namen Tausender deutscher und europäischer Firmen heraus und man erzählt sich in Pullach, dass sogar die alten Branchenbücher wieder zu Ehren kommen. Die Namen der Firmen jedenfalls werden in Handarbeit in eine Computer-Datei eingegeben, die den etwas allgemein klingenden Namen "deutsche und europäische Interessen" trägt.

Diesmal geht es nicht darum, Spionageziele zu erfassen. Es geht darum, die Firmen vor Spionage zu schützen. So wollen es das Kanzleramt und auch BND-Präsident Gerhard Schindler. Das Verfahren ist genau geregelt. In einer "Filterstufe 3", in der vor allem Konzerne standen, werden die Namen auch kleinerer Firmen eingegeben. Wer hier steht, der ist - so lautet die Theorie - zumindest in Bad Aibling vor Ausspähaktionen geschützt. Die Tüftelei ist nicht nur mühsam, vielleicht ist sie sogar überflüssig. BND und Kanzleramt haben, wie in Teilen der gestrigen Auflage berichtet wurde, einen radikalen Schnitt gemacht.

Misstrauen zwischen BND und NSA

Seit Anfang der Woche wird in Bad Aibling der Internet-Verkehr, der bislang an die NSA weitergeleitet wurde, nicht mehr erfasst. Dies ist eine Reaktion von Regierung und Dienst auf den Versuch der NSA, über die Anlage vor allem Politiker und Institutionen in Europa auszuspähen. Die BND-Außenstelle in Bad Aibling pflegte offenbar ein Eigenleben. Und die Bremse kann, wie überall auf der Welt, nur von oben gezogen werden.

Weil sich die Amerikaner nicht an die Regeln gehalten hatten, verlangten die Deutschen, die NSA solle beim Internet-Verkehr genau begründen, wer warum erfasst werden sollte. Das sei, jedenfalls schnell, nicht möglich, soll die NSA erklärt haben. Dann verzichte man lieber auf die Daten, Vermutlich wird eine Begründung nie folgen. Der US-Geheimdienst lässt sich nicht in den Schwitzkasten nehmen.

Die ganz große Freundschaft der Partner-Dienste scheint, fürs Erste zumindest, empfindlich gestört zu sein. In das Verhältnis zwischen NSA und BND hat sich Misstrauen eingeschlichen. Die Bundesregierung bemüht sich nach Kräften, die Angelegenheit nicht wie eine Strafaktion aussehen zu lassen, denn vor einem heftigen Streit mit der US-Regierung und ihrer NSA schreckt das Kanzleramt zurück. Gerade in diesen Zeiten setzt die Bundesregierung auf die Zusammenarbeit, etwa wenn es um die Überwachung deutscher Islamisten in Syrien und im Irak geht. Die Kooperation soll auf keinen Fall gefährdet werden. Entscheidende Hinweise wie im Fall der Sauerland-Zelle kamen einst von der NSA - und verhinderten einen großen, auf deutschem Boden geplanten Anschlag.

Eskalation ausgerechnet am Vorzeigeprojekt

Aber niemand im Kanzleramt scheint genau zu wissen, wie man nun mit den amerikanischen Diensten umgehen soll: Man braucht sie. Aber sie benehmen sich nicht anständig, sondern häufig daneben: Die CIA führte einen Spion beim BND, der flog auf und die Bundesregierung warf den Berliner CIA-Residenten hinaus. Die NSA hörte das Kanzlerinnen-Handy ab und missbrauchte die Station in Bad Aibling zur Spionage gegen europäische Freunde. Aus Ramstein werden Drohnen mitgesteuert, die auch außerhalb von Kriegsgebieten Menschen töten. Die Bundesregierung sagt meist, sie wisse von nichts. Die Amerikaner konnten von Deutschland aus ihren geheimen Krieg führen. Was kommt als nächstes?

Für die Merkel-Regierung rächt sich in diesen Tagen, dass sie zu oft von alledem nichts Genaues wissen wollte. Alle Fälle sind hochpolitisch - ein Umstand, der zwar in keinem Gesetz eine Rolle spielt, aber über solchen Skandalen wie eine geheimnisvolle Krankheit hängt. Eine besondere Ironie ist es aber schon, dass sich die jüngste Eskalation ausgerechnet an der Station in Bad Aibling entzündete. Die Abhöranlage war das Vorzeigeprojekt der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit nach dem Ende des Kalten Krieges. Seite an Seite arbeiteten NSA und BND, vor allem auf der Suche nach Terroristen und zum Schutz der internationalen Armee-Verbände in Afghanistan.

Berlin wusste Bescheid - Pofalla erklärte die Affäre für beendet

In der neuen, digitalen Zeit waren bislang die Deutschen auf die Amerikaner angewiesen. Nur mit Hilfe der NSA, so stand es einmal in einem vertraulichen Vermerk des BND, könne der Dienst lernen, "früher Massendaten aus dem Internet bewältigen und aufklären zu können". Die Angst, ohne die Unterstützung der Amerikaner technologisch abgehängt zu werden, ist groß.

Nicht neu ist hingegen die Erkenntnis, dass es in diesem Geschäft keine echte Freundschaft gibt. Aber es gab eigentlich schon früh Hinweise, dass sich die Amerikaner in Deutschland überhaupt nicht an Regeln hielten. Vor zehn Jahren fiel den Deutschen auf, dass die Amerikaner die gemeinsame Arbeit missbraucht hatten, um nach Informationen über EADS, Eurocopter und französische Behörden zu suchen. Ein kleiner Beamter des BND soll sich beschwert haben, der zuständige Unterabteilungsleiter fand die Sache halb so schlimm. Eine systematische Überprüfung der von den Amerikanern gelieferten Suchbegriffe fand niemals statt.

Foul auf deutschem Boden

Es war für das deutsch-amerikanische Spezialverhältnis schon ungewöhnlich, dass der damalige Kanzleramtsminister Thomas de Maizière und die damalige BND-Spitze 2008 die Bitte des amerikanischen Directors of National Intelligence, John McConnell, ablehnten, gemeinsam ein europäisches Kabel anzuzapfen. Die Sorge in Berlin war groß, dass das Anzapfen zur Spionage gegen Europa genutzt würde.

Im Kanzleramt gibt es eine eigene Abteilung, die sich um die Dienste kümmert. Spätestens seit 2010 wusste diese Abteilung, wie die Amerikaner auf deutschem Boden Foul spielten, die Fälle EADS, Eurocopter und so weiter kamen auf den Tisch. Auch fünf Jahre nach der Entdeckung passierte nichts. Nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden 2013 war dann eigentlich eine Inventur fällig. Das Kanzleramt hätte seine Akten lesen müssen, um die alten Verdachtsfälle mit den neuen Erkenntnissen zusammenzubringen. Aber Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) war damals in der Regierungszentrale auch für die Geheimdienstkontrolle zuständig. In Erinnerung ist geblieben, dass er rechtzeitig vor der Bundestagswahl die NSA-Affäre, deren Umfang er nicht kannte, öffentlich für erledigt erklärte. Dabei hätten ein paar Knopfdrücke in Bad Aibling vermutlich ähnlich brisantes Material zu Tage gefördert, wie es in den Dokumenten von Snowden zu finden ist.

Die Spionageaffäre des Bundesnachrichtendienstes (BND)
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