Sozialdemokratie in der Krise:Götterdämmerung für die SPD

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Das war mehr als eine Niederlage: Nach der Bundestagswahl kann man der SPD nur wünschen, dass sie wieder Kontakt zu den Leuten findet - mit einer Politik, die auch die Jungen überzeugt und sich für die Schwachen einsetzt.

Henning Scherf

Der 27.September 2009 hat der SPD und auch der gesamten Republik ein Schlüsselerlebnis beschert. Das war für die SPD mehr als eine Niederlage, auch mehr als eine Abwahl. Die deutsche Sozialdemokratie hat so etwas wie eine Götterdämmerung erlebt.

Henning Scherf (SPD) war von 1995 bis 2005 Bürgermeister von Bremen. (Foto: Foto: AP)

Die Gründe sind so vielfältig, dass es Zeit braucht, sie aufzuarbeiten. Zur ersten eigenen Orientierung mache ich mir klar, dass etwas Ähnliches in vielen anderen Ländern passiert ist, in Frankreich, Italien, Großbritannien, aber auch in Dänemark, Schweden und Finnland. In der durch Marktradikale ausgelösten Weltwirtschaftskrise orientieren sich, wenigstens hier in Europa, die Menschen an bürgerlich-konservativer Politik. Und dies tun sie besonders heftig dort, wo Sozialdemokraten aus Regierungsverantwortung in den vergangenen Monaten Gegenmaßnahmen ergriffen haben, diese aber - so erfolgreich sie damit auch waren und sind - ihren eigenen Wählern nur schlecht vermitteln konnten.

Die schutzbedürftigen Schwachen haben die Erfahrung gemacht, zu den Verlierern in der Weltwirtschaft zu gehören. In ihren Köpfen setzt sich der Eindruck fest, nun auch noch Zumutungen der jeweils eigenen Regierung ausgeliefert zu sein. Hier liegen wohl die Gründe für die geringe Wahlbeteiligung von nur 70,8 Prozent am vergangenen Sonntag.

Hinzu kommt, dass Sozialdemokraten stets mehr als Angehörige einer Regierungspartei sein wollen - und sein müssen. Sie haben den Anspruch, sich loyal zum Parteiprogramm zu verhalten und daran zu orientieren. Und diese Loyalität ist in den unübersichtlichen Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise noch schwieriger durchzuhalten als schlichte Regierungsloyalität. Und darum hat die geringe Wahlbeteiligung in erster Linie die SPD getroffen.

Einer der Hauptgründe für den Wahlausgang aber ist die Spaltung der Sozialdemokratie. War schon die Abspaltung durch die Grünen vor einem Vierteljahrhundert ein bis heute schmerzlicher Verlust, so traf die durch ihren früheren Vorsitzenden Oskar Lafontaine zugespitzte Abspaltung der Linken ins Mark der Sozialdemokratie. Und wie in Italien, Frankreich und auch in Dänemark, so ist diese Spaltung auch hierzulande die wichtigste Ursache für die Wahlerfolge der bürgerlich-konservativen Parteien.

Ähnliche Spaltung in der Weimarer Republik

Das kommt einem aus der deutschen Historie tief vertraut vor. Die Weimarer Republik verlor einst ihre Überzeugungs- und Bindungskraft unter den Bürgern, weil es damals eine ganz ähnliche Spaltung gab. Anstatt gemeinsam mit den Sozialdemokraten gegen die aufkommenden Nazis zu kämpfen, verteufelten andere Linke sie als Sozialfaschisten.

Der 27.September 2009 muss und wird zu einer Neuorientierung insbesondere auf der linken Seite des politischen Spektrums führen. Es braucht einen neuen großen Anlauf. Natürlich selbstkritisch, aber bitte auch in dem Bewusstsein, dass Demokratie in einer hoch arbeitsteiligen, weltwirtschaftlich integrierten Gesellschaft auf der Seite der Schwachen dringend parteipolitische Strukturen braucht, die Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit verleihen. Gesellschaften, in denen das nicht gelingt (zum Beispiel in Russland oder in vielen lateinamerikanischen Ländern), zeigen, welch dramatische Folgen dieser Verlust andererseits für die Zivilgesellschaft insgesamt hat.

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Neben Neu-Fraktionschef Steinmeier sollen Sigmar Gabriel als Parteichef und Andrea Nahles als Generalsekretärin die SPD erneuern. Der Weg aus der Krise? Stimmen Sie ab!

Viele Kommentatoren sehen mittlerweile das Ende der Volksparteien gekommen, sie prophezeien, dass CDU und CSU demnächst das Gleiche passieren wird wie der SPD. Was ist Volkspartei? Aus der Erfahrung der Weimarer Republik haben die Verfasser des Grundgesetzes die Parteien mit einem besonderen Status in der Verfassung ausgestattet: "Sie wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit", steht in Artikel 21. Und gerade das gelingt in Parteien, die in ihren eigenen Reihen diskutieren und Kompromisse finden müssen, um so viele Anhänger wie möglich mitzunehmen. Das Gegenteil von Volkspartei ist Klientelpartei. Das hatten wir im Überdruss in der Weimarer Republik: Jeder sieht ausschließlich sein singuläres Anliegen - und wer verantwortet das Gesamte?

Die SPD hat eine Erneuerung nötig. (Foto: Foto: dpa)

Internet statt Massenveranstaltungen

Notwendiger, als den Volksparteien den Garaus zu prognostizieren, wäre es, ihre Erneuerung einzufordern. Nahe an den Menschen zu sein, das gelingt nicht mehr mit den ritualisierten Wahlveranstaltungen. Da kommen, selbst wenn es gut läuft, doch nur die eigenen Leute. Das Sich-Verständigen findet heute nicht mehr auf Massenveranstaltungen statt, sondern zum Beispiel im Internet, während der Ausbildung oder in informellen Gruppen. Die Antworten auf globale Fragen müssen in überschaubaren, auf gegenseitigen Austausch angelegten Kommunikationsformen und -foren gefunden und verbreitet werden. Das gilt besonders auch für die SPD. Traditionell haben wir über große Kollektive unsere Stärke aufgebaut, endlich waren wir viele, endlich konnte man uns nicht übersehen. Das hat sich geändert. Jetzt braucht es viele Initiativen an der Wurzel der Meinungsbildungsprozesse.

Der 27. September 2009 hat der SPD auch gezeigt, dass wir bei den jungen Wählern sehr verloren haben. Früher haben wir uns darauf verlassen, dass die Elternhäuser meinungsbildende Kraft haben. Das hat lange geklappt. Dann lockerte sich diese Bindungskraft, da haben wir uns mit den jungen Protestlern zu verbünden versucht. Willy Brandt hat das vorbildlich geschafft. Nun aber sind Grüne und Linke auf diesem Feld zu scharfen Konkurrenten geworden.

Hinterherlaufen macht keinen Sinn

Jungen Menschen hinterherzulaufen, macht wenig Sinn. Was wir brauchen, ist gerade für junge Menschen eine überzeugende internationale Antwort auf die unübersichtlich gewordenen globalen Themen und Risiken. Der Zeitgeist ist so, dass man mit Nelson Mandela und mit Barack Obama weltweit gegen Unterdrückung, gegen Ausbeutung und gegen Kriege vorgehen möchte.

In den USA führte eine katastrophale Regierungspraxis dazu, dass ein neuer Anfang möglich war, mit vielen jungen Leuten, die sich nicht vom großen Geld und mächtigen Institutionen mutlos machen ließen. So könnte auch bei uns in Europa ein Aufwachen stattfinden. Diese Wahlniederlage muss zu einem Neuanfang führen, und dieser Neuanfang braucht eine möglichst breite Beteiligung.

Henning Scherf (SPD), Jahrgang 1938, war von 1995 bis 2005 Bürgermeister von Bremen.

© SZ vom 02.10.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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