Schweiz:Der Donald Trump der Schweiz

Switzerland holds referenda on various topics

Andreas Glarner, Bürgermeister von Oberwil-Lieli im Aargau.

(Foto: picture alliance / dpa)

Auf seinen Plakaten steht "Aarau statt Ankara" und "Maria statt Scharia": Bürgermeister Glarner verschiebt die Grenzen des Sagbaren deutlich nach rechts. Unter den Schweizer Rechtskonservativen gewinnt er an Macht.

Reportage von Charlotte Theile, Oberwil-Lieli

Andreas Glarner hält ein Baby im Arm. Ein Windelkind, ein paar Wochen alt, er habe es in den Schlaf gewiegt, das erzählt er gern, dazu hebt er eine Boulevard-Zeitung in die Höhe. Rechter Hardliner mit syrischem Baby im Flüchtlingscamp in Griechenland, das ist dem Blick eine Titelgeschichte wert. Zwei Tage ist es her, dass dieses Bild aufgenommen wurde. Andreas Glarner, der radikalste Politiker, den das Schweizer Parlament zu bieten hat, ist inzwischen zurück in seiner Rollator-Firma im Aargau.

An diesem Juli-Morgen ist dem 53-Jährigen sein bisher größter PR-Stunt gelungen, gleich kommt das Fernsehen, die Zeitungen, alle. Der Mann, der als rechtsextremer Gemeindevorsteher über die Grenzen der Schweiz hinaus für Entsetzen sorgte, grinst breit, dann versucht er, ernst zu schauen. Nicht aussehen wie ein Junge, der sich über seinen neusten Streich freut.

In ein paar Stunden werden die Social-Media-Kanäle voll sein von Bildern, die erkennen lassen, welche Bedeutung Glarner in der Schweiz zugemessen wird: Kim Jong-Un, Adolf Hitler, Josef Stalin mit Babys im Arm, dazu Artikel renommierter Medien, die ihre Beunruhigung über diesen Politikstil zum Ausdruck bringen. Andreas Glarner, Gemeindeamman des Ortes Oberwil-Lieli, seit Kurzem Nationalrat in Bern und Asylbeauftragter der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), provoziert nicht nur. Er macht vielen wirklich Angst.

"Wer ihm widerspricht, wird lächerlich gemacht und ausgebuht"

"In Oberwil-Lieli gibt es viele Menschen, die nicht mehr an den Gemeindeversammlungen teilnehmen", sagt Martin Uebelhart aus Oberwil-Lieli, der als Gewerkschafter zu den Gegnern Glarners zählt. "Wer ihm widerspricht, wird lächerlich gemacht und ausgebuht." Wenn einer Hochdeutsch spreche, würde "Schwyzerdütsch!" gebrüllt, Glarner lasse das durchgehen. Nach und nach hätte sich die Opposition zurückgezogen. Glarner, seit zehn Jahren Gemeindevorsteher, wurde zu einer Art Dorfkönig. Als solcher trat er im Herbst 2015 im deutschen Fernsehen auf: Das ganze Dorf sei dafür, Asylbewerber mit viel Geld fernzuhalten.

Ein Jahr später. In der SVP kämpfen Nachwuchspolitiker um die Nachfolge des Partei-Strategen Christoph Blocher. Die Positionen sind klar: Weltwoche-Verleger Roger Köppel gibt den intellektuellen Kronprinzen, Magdalena Martullo-Blocher die linientreue Tochter und Unternehmerin. Viele andere stimmen jedes Wort mit dem 75-jährigen Strategen vom Zürichsee ab. Und es gibt den unberechenbaren Andreas Glarner - den sogar die Weltwoche als "Donald Trump im Lokalformat" bezeichnet. Er verantwortet mit dem Thema Asyl eins der wichtigsten Dossiers, sitzt in Talkshows, Comedy-Sendungen. Sein Name verspricht Klicks.

Glarner hat die Grenzen des Gerade-noch-Sagbaren spürbar nach rechts verschoben. Auf den Plakaten, die Glarner drucken lässt, sieht man blutige Messer - oder dunkelhäutige Menschen, Überschrift: "Sehen Sie schwarz für den Aargau?" Es sind Slogans, die man auch in Deutschland kennt: "Aarau statt Ankara", "Maria statt Scharia". Letzteren habe die NPD von ihm abgekupfert, sagt Glarner, ganz stolzer Autor. Dann geht er auf Konfrontation: Die SZ hat ihn vor einem Jahr als "rechtsextremen Bürgermeister" bezeichnet. Man könne froh sein, dass er nicht geklagt habe.

Bekannt geworden als Hardliner will er nun den "Menschen Glarner" betonen

Zwei Wochen später. Im Verkaufsraum testen zwei Paare Krücken und Rollatoren, eine junge Angestellte steht gelangweilt am Tresen. Glarner kommt aus seinem Chef-Zimmer, seine Laune? Wieder einmal hervorragend. Aktivisten haben im Dorf Graffiti mit der Aufschrift "Fight Glarner" und "wir kommen wieder" hinterlassen, eine 23-Jährige aus dem Kanton Bern konnte identifiziert werden. Glarner will ihren Namen und Beruf veröffentlichen, rechtlich dürfe er das leider nicht. Bald darauf ist die Arbeitsstelle im Netz.

Glarner fährt zu der Wand, auf der das Graffiti prangen soll, doch da ist nichts mehr zu sehen. "So schnell geht das hier", Zufriedenheit. Er wendet seine Limousine, lästert über Zugezogene, die glauben, als gute Steuerzahler der Gemeinde etwas diktieren zu können, spricht bewundernd von anderen Reichen, "Multimillionären!", die so absolut auf dem Teppich geblieben seien. Er erzählt von den Töchtern, seiner Scheidung, der neuen Freundin. Nachdem er als Hardliner bekannt geworden ist, will er nun den "Mensch Glarner" betonen.

Die jüngere Tochter, 18 Jahre alt, stand für eine Illustrierte in einem Kornfeld, hauchte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange und erklärte: "Daddy liebt die Frauen". Kurz darauf flog Daddy mit einer Dokumentarfilmerin und Journalisten ins Flüchtlingscamp nach Griechenland. Glarner versucht sich am Rehaugen-Blick. Ob man wisse, dass seine Firma die Rollstühle zu einem Drittel des zuvor üblichen Preises anbietet? Ob man die innovativen Inkontinenz-Produkte schon gesehen habe? "Wir tun hier viel Gutes. Aber darüber berichten die Journalisten nicht", sagt Glarner, auch der Ausbau des Kindergartens in Oberwil-Lieli sei an der nationalen Presse völlig vorbei gegangen.

Ein Mann "mit einer nicht sehr breiten Allgemeinbildung"

Für den Gewerkschafter Martin Uebelhart ist Glarner ein Mann "mit einer nicht sehr breiten Allgemeinbildung". Er greife persönlich an, weil er auf der Sachebene keine Chance habe. Aber vielleicht ist das auch nicht nötig. Donald Trumps Biografie habe ihn "schwer beeindruckt", sagt Glarner, den Vergleich der Weltwoche trägt er mit Stolz. Wenn er die Bundesräte in Versager und Staatsmänner einteilt, spielt die Partei keine Rolle. Wenn er über Inklusion spricht, klingt das so: "Ich sage es jetzt höflich, dieser Wahnsinn, dass also wirklich Kinder, ja, wie sagt man das? Also gut: Kinder mit Down-Syndrom mit den anderen Kindern zusammen unterrichtet werden." Als die Empörung ausbleibt, schiebt er nach: "Was wird dann aus den Hochbegabten?"

In Oberwil-Lieli kam es im Frühjahr zum Showdown. Die IG Solidarität, zu der auch Martin Uebelhart gehört, zwang zur Abstimmung: Wollen wir wirklich 290 000 Franken ausgeben, um keine Flüchtlinge aufnehmen zu müssen? Es geht, je nach Auslegung, um: sechs bis zehn Personen. Am 1. Mai stimmten die Bürger ab, mit 579 zu 525 Stimmen setzte sich Glarners Position durch. Dass er dafür gesorgt hat, dass ein Beitrag seiner Gegner in der Dorfzeitung nicht gedruckt wurde? Nur noch eine Randnotiz. Inzwischen verfolgt Glarner eine Kompromisslösung: Einige Flüchtlinge sollen in Oberwil-Lieli, andere in einer Nachbargemeinde unterkommen.

Eine Festveranstaltung im August, die SVP-Delegierten stimmen sich auf die kantonalen Wahlen ein. Zum Umtrunk ist Glarner mit seinen Töchtern erschienen, die Jüngere, ihr Gesicht ist vom Kornfeld-Shooting bekannt, hibbelt von einem Bein aufs andere. Sie seien hier, um sich von ihrem Vater zu verabschieden, der fliege morgen in ein türkisches Flüchtlingscamp, sagen die Mädchen, nervöses Kichern, all die Gesichter aus dem Fernsehen! Fotos mit dem Partei-Vorsitzenden, mit dem Finanzminister. Glarner nimmt die Töchter in den Arm, Blitzlichtgewitter, einige Meter weiter heißt es abfällig: "Typisch." Ein anderer sagt leise: "Immer die Presse dabei."

Auch Roger Köppel lästerte kürzlich in seinem Editorial über Politiker, die in "Flüchtlingslagern Kinder tätscheln". Das sei Betrug, "anständige Leute gingen angesichts von Tod und Elend mit ihren Empfindungen nicht hausieren". Glarner, darauf angesprochen, verzieht das Gesicht, ein völlig neuer Anblick, Zahnschmerzen, ein bisschen Wut. Ja, das habe er gelesen. Dann ein Spruch über die Weltwoche, die versucht hatte, Alkoholiker im Nationalrat, damit auch in der SVP, zu ermitteln. Themawechsel.

"Schwitzen ist Einstellungssache!", sagt er zu einem Parteifreund

"Der ist von mir", raunt Glarner über den Tisch, als der Slogan "Fremd im eigenen Land" auf der Bühne eingeblendet wird, das Motto des Wahlkampfs. "Einige Aargauer Weine erfüllen den Tatbestand der Körperverletzung", ruft er dem lokalen Weinbauern zu, pfui deibel, Pinot Noir, na ja, fahre ich nüchtern nach Hause, auch schön. Der Wein-Hersteller, sagt Glarner, habe jetzt eine Chili-Sauce im Angebot "Glarner-Scharf". Wenn ein Parteifreund bei 32 Grad das Jackett auszieht, ruft Glarner ihm zu: "Schwitzen ist Einstellungssache!" Stolz erzählt er, ein Bildungspolitiker verlasse den Raum, wenn er spreche.

Wie empfindlich er werden kann, zeigt eine Auseinandersetzung mit zwei Frauen, die ihm nachgewiesen hatten, falsche Informationen über Asylbewerber im Tessin verbreitet zu haben. Glarner löschte sein Twitterprofil - und stellte Fotos der Frauen auf Facebook: "Ich verstehe irgendwie schon, warum sie links und feministisch sind . . .", bald tobte darunter ein Mob.

Selbstjustiz, wieder einmal, dieses Mal aber rudert Glarner nach ein paar Tagen zurück, löschte den Post. Jetzt sagt er, ihm seien ein paar Gäule durchgegangen. Er zieht die Mundwinkel zusammen, zu dieser Aussage passt ein zerknirschter Blick. Dann hebt er die Hände in die Höhe, ein leichtes Grinsen. "Tja."

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