Agitation gegen Flüchtlinge in Schweden:Zündeln in der heilen Welt

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Der 23-jährige Collins aus Nigeria verdeckt sein Gesicht, während er für eine Fotoserie in einem Asylbewerberheim nahe Stockholm posiert. (Foto: Cathal McNaughton/Reuters)
  • Schweden ist bekannt für seine Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen. Das Land nimmt pro Kopf mehr Menschen auf als andere EU-Länder.
  • Doch in jüngster Zeit agieren rechtsextreme Gruppen aggressiver und zwei Flüchtlingsheime brennen.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Es war ein düsteres Wochenende für Flüchtlinge in Schweden. Am Freitagabend musste die Polizei Bewohner einer Asylunterkunft in Arboga, 150 Kilometer westlich von Stockholm, evakuieren. Jemand hatte versucht, das Haus anzuzünden.

Noch in derselben Nacht entdeckten in Südschweden Passanten Feuer in einem Heim für minderjährige Flüchtlinge, konnten es jedoch selbst löschen. In der Nacht zum Sonntag stellten Unbekannte ein brennendes Kreuz vor ein Hotel in Malung, Westschweden. Auch dort waren Flüchtlinge untergebracht.

Was ist los in dem Land, das sonst für seine Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen bekannt ist? Die Situation ist so angespannt, dass Stefan Löfven sie in der traditionellen Sommerrede des Ministerpräsidenten am Sonntag sofort ansprach.

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"Wir sehen eine zunehmende Polarisierung in unserer öffentlichen Debatte, in der Menschen einander Unverständnis, Widerwillen und allzu oft Hass entgegenbringen", sagte er. "Wir sehen verabscheuungswürdige Angriffe auf Bettler und Flüchtlingsunterkünfte." Er forderte die Schweden auf, gegen Vorurteile und fremdenfeindliche Kommentare anzugehen, ob in der Kaffeepause mit Kollegen oder auf Facebook.

Ob die Anschlagsserie vom Wochenende einen neuen Trend vorgibt, könne man noch nicht sagen, so Eskil Wadensjö, Sozialwissenschaftler an der Uni Stockholm. Hinter solchen Taten steckten meist kleine rechtsextreme Gruppen, die sich nun vielleicht mehr in die Öffentlichkeit wagten. Die Anschlagsserie sei ungewöhnlich für Schweden, bestätigte auch die Migrationsbehörde.

Das Land nimmt pro Kopf mehr Menschen auf als andere EU-Länder. Obwohl auch hier Unterkünfte fehlen, die Behörden überfordert sind und man mit der Integration längst nicht hinterherkommt, ist der Reflex, die Tore zu schließen, in Schweden bislang ausgeblieben.

Die einzigen, die ein Ende dieser Offenheit fordern, sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Sie haben bei der Wahl im vergangenen Herbst zwar Stimmen dazugewonnen. Doch gleichzeitig steigt laut einer Umfrage der Uni Göteborg seit Jahren der Anteil derer, die an der großzügigen Flüchtlingspolitik festhalten wollen.

Immer mehr Hassverbrechen gegen Minderheiten

Das Land ist gespalten. Ein Zeichen für diese Polarisierung ist auch, dass rechtsextreme Gruppen aggressiver werden. "Die Einwanderungsgegner treten stärker hervor", sagt Pieter Bevelander, der an der Uni Malmö zu Integration forscht. Die Zahl der Hassverbrechen gegen Minderheiten, meist mit rassistischem Hintergrund, erreichten 2014 laut schwedischer Polizei ein Rekordhoch. Dennoch, sagt Bevelander: "Die Mehrheit der Schweden hat die Einstellung, dass wir ein reiches Land sind und Menschen in Not helfen sollen."

Sorgen, dass in Schweden bald dänische Verhältnisse herrschen, hat er nicht. Die Debatte im Nachbarland ist eine völlig andere. Dort haben sich Politiker aller Parteien im Wahlkampf mit Ideen überboten, wie man Flüchtlinge aus Dänemark fernhalten könne. Sie bestätigten die Sorge der Dänen, dass die Hilfesuchenden ihnen Sozialleistungen streitig machen - das trieb die Stimmen für die Rechtspopulisten auf 21 Prozent. Während in Kopenhagen fast alle Parteien mit der Dänischen Volkspartei zusammenarbeiten würden, sind Stockholms Schwedendemokraten isoliert.

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Doch Hetze gegen Ausländer verhindert auch der schwedische Ansatz nicht. Den Angriffen am Wochenende war eine rechtsradikal gefärbte Debatte über einen Mordfall vorausgegangen: In einer Ikea-Filiale wurden vergangene Woche eine Frau und ihr Sohn erstochen. Die Polizei nahm zwei Männer fest, einer gestand, der andere bestritt jede Beteiligung. Es wurde bekannt, dass beide aus Eritrea kamen und in welchem Flüchtlingsheim sie lebten. Es war die Unterkunft in Arboga, die am Freitag geräumt werden musste.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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