Sahra Wagenknecht:Lahme Ente aus freien Stücken

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Sahra Wagenknecht im Deutschen Bundestag. (Foto: AFP)
  • Wagenknecht will definitiv im Herbst nicht für den Fraktionsvorsitz kandidieren, erklärte sie an diesem Mittwoch.
  • In Fragen der Griechenlandpolitik sieht sie sich jetzt in einer Minderheitenposition.
  • Eine Talkshow war ihr offenbar wichtiger, als auf die Abstimmung ihrer Fraktion im Bundestag Einfluss zu nehmen.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Eine unverschämte Frage

Es ist schwer, im Gesicht von Sahra Wagenknecht irgendetwas zu lesen. Ein bisschen ist es wie mit Drei-Wetter-Taft: Ob Sonne, Regen oder Sturm - das Haar sitzt. Immer gleich. Nur einmal ist in Wagenknechts Gesicht so etwas wie eine mimische Reaktion auf eine Frage zu erkennen an diesem Mittwochmorgen im "Goldenen Saal". Hierher lädt Sie als stellvertretende Fraktionsvorsitzende alle paar Wochen zu Pressegesprächen ein. Die Frage also lautet, ob sie jetzt noch so etwas wie Karrierepläne habe, oder ob es ihr reiche, die Frau von Oskar Lafontaine zu sein. Da schürzt sie für einen Moment die Lippen.

Die Frage ist natürlich unverschämt. Aber sie trifft einen wunden Punkt. Vor zweieinhalb Wochen, einem Freitag, hat sie ihre bis dahin noch gar nicht erklärte Kandidatur für den Fraktionsvorsitz zurückgezogen. Im Herbst hätte, das war der Plan, Gregor Gysi sich von der Spitze verabschiedet. Wagenknecht und der Reformer Dietmar Bartsch hätten dann die Fraktionsführung übernommen.

Wagenknechts Erklärung kam einigermaßen überraschend. Vorangegangen war eine Woche zuvor eine herbe Abstimmungsniederlage. Es ging um die Verlängerung der Griechenlandhilfe im Bundestag. Sie hatte auf eine Enthaltung der Fraktion gedrängt. Gysi und andere warben für Zustimmung. Am Ende stimmten 41 der 54 Abgeordneten mit Ja. Die anderen folgten Wagenknecht. Einige wenige stimmten mit Nein. Es war die größte Abstimmungsniederlage, die Wagenknecht bis dahin zu verkraften hatte.

Eine echte Alternative gibt es bislang nicht

Ihr Rückzug von der Kandidatur hat die Fraktion in helle Aufregung versetzt. Wenn Gysi sich dagegen entscheidet, zwei Jahre dranzuhängen, was dann? Eine Frage, auf die in der Fraktion derzeit niemand eine Antwort hat. Womöglich nicht einmal Gysi selbst. Der linke Flügel ist personell derart schwach besetzt, dass es zu Wagenknecht keine echte Alternative gibt. Und schon gar keine, die neben dem redegewandten Bartsch bestehen könnte.

Zwischenzeitlich war Katja Kipping im Gespräch, die Rolle der linken Frau in der Fraktionsspitze einzunehmen. Eigentlich fährt sie auf dem Ticket der Reformer. Die Parteichefin aber will nicht.

So manche haben Wagenknecht inzwischen bekniet, sie möge sich das noch einmal überlegen. Spätestens an diesem Mittwoch aber haben alle Spekulationen ein Ende. "Für den Herbst ist die Entscheidung definitiv", sagt sie vor den Journalisten. Wer Wagenknecht kennt, der weiß, dass sie eine einmal gefasste Entscheidung nicht so schnell revidiert.

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Wagenknecht ist jetzt so etwas wie eine Lame Duck aus freien Stücken, eine lahme Ente. Wer nicht nach oben will, obwohl er könnte, der muss sich in der Politik fragen lassen, wie er sonst seine Ziele erreichen will. Hinzu kommt: Sie hat die Fraktion in einem für sie entscheidenden Punkt nicht sicher hinter sich. Damit hat sie nicht gerechnet. "Ich war schon überrascht über die sehr große Mehrheit, die dann zustande kam", bekennt sie. Vertritt sie jetzt eine Minderheitenposition in der Fraktion? "In diesem einen Punkt, ja."

"Das ist nicht mein Ding, jeden abzutelefonieren"

Sie hat auf die Kraft der Argumente gesetzt, sagt sie. Aber das reicht in der Politik manchmal nicht. Politiker müssen um Mehrheiten kämpfen. Zur Not, in dem sie jeden einzelnen Abgeordneten der Fraktion anrufen, um ihn zu überzeugen.

Machtpolitiker können das. Wagenknecht nicht. Sie hat es nicht mal versucht. Nein, sie hat keine Telefonate geführt. "Das ist nicht mein Ding, jeden abzutelefonieren", sagt sie. Dafür hat ihr auch die Zeit gefehlt. Ihre erstaunliche Begründung: "Ich hatte noch 'ne Talkshow bei Illner."

Dass ihr die Talkshow wichtiger war, als die Frage, wie ihre Fraktion über die Griechenlandhilfe abstimmt, dürfte bezeichnend sein auch für ihren Rückzug. Als Fraktionschefin wäre es ihre Aufgabe, die Fraktion zu einen, die unterschiedlichen Interessen zusammenzuführen. Genau das scheint auch nicht ihr "Ding" zu sein.

Gysi hatte nach Wagenknechts Rückzug süffisant bemerkt: "Entscheidend ist, wie sie erklärt, dass ihr die spezifische Leitungstätigkeit nicht liegt." Das sei wohl etwas wirr gewesen, entschuldigt er sich später. Trifft aber doch den Kern.

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Schon zum zweiten Mal wird ihr ein wichtiges Amt auf dem Silbertablett serviert - und sie greift nicht zu. 2012 auf dem Parteitag in Göttingen hätte sie Parteivorsitzende werden können. Sie kniff in letzter Sekunde. Und jetzt lässt sie den Fraktionsvorsitz sausen. So langsam müssen auch ihre eigenen Leute ahnen, dass sie sich womöglich die falsche Galionsfigur ausgesucht haben. Wagenknecht will ihr Ding machen. Aber sie will nicht in Machtstrukturen eingebunden werden, in denen sie nicht mehr so frei reden kann wie bisher. "Ist es glaubwürdig, wenn man sich um Spitzenämter bewirbt, auch um den Preis, dass man sich verbiegt?", fragt sie. Die Antwort erübrigt sich.

Im Herbst will sie sich dennoch wiederwählen lassen. Als Fraktionsvize. Ein Amt, das ihr offenbar die nötige Freiheit gibt, nicht für die ganze Fraktion sprechen zu müssen. Sondern im Zweifel nur für sich.

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