Rot-Grün und die Bundestagswahl:Stunde der Abgehängten

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Rot-Grün ist in weite Ferne gerückt. SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück und die grüne Spitzenfrau Katrin Göring-Eckardt aber präsentieren bestlaunig ihren Fahrplan zu einem gesetzlichen Mindestlohn. Je geringer die Chancen, desto entspannter wird Steinbrück.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Für einen Moment schaut Peer Steinbrück, als wolle er dem Fragesteller quer über die Sitzreihen hinweg an den Kragen gehen. Dabei war die Frage im großen Saal der Berliner Bundespressekonferenz gar nicht an ihn gerichtet. Die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt sollte sagen, ob ihr eigentlich der linke und eher weichgespülte Steinbrück lieber sei, der heute neben ihr sitze, oder der Klartext-Steinbrück von vor einem Jahr. Der SPD Kanzlerkandidat ist sofort hellwach: "Wie bin ich gespült?!"

Göring-Eckardt antwortet: "Mir ist der Klartext-Steinbrück von heute sehr lieb." Was leicht zweideutig ist. Der von heute ist halt doch ein bisschen anders als der von früher. Beide, Göring-Eckardt und Steinbrück, sind da, um ihren Fahrplan für einen gesetzlichen und flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland vorzustellen. Wenigstens 8,50 Euro soll jeder Arbeitnehmer im Land pro Stunde bekommen. Für Göring-Eckardt ist das eine Frage von "Anerkennung und Würde". Für Steinbrück verbindet sich damit "soziale Gerechtigkeit und politische Ökonomie". Er geht sogar von einem Wachstums-Impuls aus. Der Kaufkrafteffekt durch den Mindestlohn läge bei 19 Milliarden Euro. "Das ist ein eigenes Konjunkturprogramm."

Beide versuchen ihr Möglichstes, um den CDU-Mindestlohn auseinanderzunehmen. Der ist der Merkel'sche Versuch, Rot-Grün den Wind aus den Segeln zu nehmen. Mindestlohn, das wollen jetzt doch alle, auch die C-Parteien. Da muss doch keiner mehr SPD wählen. Das ist das Kalkül.

Die Frage nach Koch und Kellner

Steinbrück rechnet vor, dass sich mit dem CDU-Mindestlohn für die Restaurant-Angestellte in Kiel mit 7,60 Euro pro Stunde und die Bäckereifachverkäuferin aus Leipzig mit 6,10 Euro pro Stunde nichts ändern würde. Deren Löhne seien an Tarifverträge gebunden. Ginge es nach der CDU, sie würden "in die Röhre gucken". Mit der CDU werde es einen "Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen" geben. Über Lohnhöhe werde damit keinesfalls entschieden. Steinbrück bleckt die Zähne, wie ein angriffslustiger Dobermann: "Die beiden Frauen hätten nichts davon!"

Anders mit Rot-Grün. Nach der Wahl, so stellen es sich Steinbrück und Göring-Eckardt vor, soll es sehr schnell gehen. Ein Blatt Papier liegt bereit. Überschrift: "Countdown Mindestlohn". Darunter der vielleicht etwas zu optimistische Satz: "Rot-Grün führt am 1. Februar 2014 den gesetzlichen Mindestlohn ein."

Im Moment sieht es allerdings nicht danach aus. Rot-Grün ist laut Umfragen von einer eigenen Mehrheit weit entfernt. Was weniger an den Grünen als am verbesserungswürdigen Auftritt der SPD liegt.

Aber mal angenommen, sie schaffen es doch, wer wird dann Koch und wer Kellner sein? Mit dem Bild hatte einst Gerhard Schröder die Machtansprüche der Grünen niedergemacht. Göring-Eckardt hebt die Augenbrauen und lächelt, als die Frage kommt. Zumal sie mit dem Zusatz versehen wird, dass die Grünen heute in den Umfragen doch um einiges stärker sind als die Wahlergebnisse zu rot-grünen Zeiten zwischen 1998 und 2005.

Steinbrück taut auf

Steinbrück versucht, das Thema klein zu reden. "Der Umgang wird sich orientieren an mitteleuropäischen Höflichkeitsregeln - auf Augenhöhe." Göring-Eckart will etwas sticheln: "Können Sie eigentlich kochen?", fragt sie den Mann, von dem sie will, dass er bald ihr Kanzler ist. Steinbrück lässt sich nicht provozieren. "Ich kann sehr schlecht kochen."

Steinbrück taut etwas auf im Verlauf der Pressekonferenz. Als er mit Göring-Eckardt den Saal betrat, war eines augenfällig. Die grüne Spitzenfrau lächelte in die Kameras, als würde sie dafür einen Preis bekommen. Steinbrück nicht. Von den meisten, die da jetzt vor ihm sitzen, fühlt er sich schlecht behandelt.

Irgendwann aber fängt er an, Späßchen zu machen - auf eigene Kosten. Als er über Friseure spricht, die vielleicht künftig wegen des Mindestlohns ihre Preise nach oben korrigieren müssen, streicht er sich durch den Restbestand seiner Haarpracht und sagt: "Bei mir ist das einfach." Gelächter im Saal.

Um dann aber schnell wieder ernst zu werden. Wenn Arbeitsplätze wegfallen, weil in bestimmt Branchen wegen des Mindestlohns das Geschäftsmodell zusammenbricht, sei das kein Problem für ihn. "Geschäftsmodelle, die auf Dumpinglöhnen aufbauen, sind keine Geschäftsmodelle." Da schimmert ein bisschen der alte Klartext-Steinbrück durch. Nur mit neuen Themen.

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