Religiöse Rivalitäten in Syrien:Gewaltexzesse mit Tradition

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Sunniten gegen Alawiten, Muslimbrüder gegen den Assad-Clan: Schon unter dem Regime von Baschar al-Assads Vater lieferten sich Gruppen verschiedener religiöser Überzeugungen blutige Auseinandersetzungen. Nicht zuletzt deshalb sind heute die Kämpfe in den Städten Homs und Hama besonders brutal.

Rudolph Chimelli

Der Baedeker von 1912 rühmt das Baba-Amr-Viertel von Homs für seine Basar-Arkaden, in denen schöne Seidenstoffe zu kaufen seien. Er erwähnt auch schon die Kaserne am Nordrand der Stadt, von der aus Regierungskräfte im Februar dieses Jahres ihre Zerstörungsoffensive gegen Baba Amr führten. So weit zurück liegt der Ursprung des Bürgerkriegs, der nun in Syrien tobt.

Syriens Präsident Baschar al-Assad (rechts) posiert im April 2000 vor einem Bild seines Vaters und Vorgängers Hafes. (Foto: REUTERS)

1912 hielten sich in der Kaserne osmanische Truppen auf, später französische, denn Homs war ein Zentrum der Aufstände gegen die Mandatsmacht. Zu ihrer Niederschlagung hatten die Franzosen loyale "Sonder-Verbände" aufgestellt, für die sie sich primär auf Minderheiten stützten, im Nordwesten Syriens auf schiitische Alawiten. Die Militär-Akademie von Homs wurde zu einem Zentrum der Alawiten - jener Religionsgruppe, der auch die Assads angehören.

Aktivisten der heute noch herrschenden Baath-Partei - Machtbasis des Assad-Clans - organisierten nach der Unabhängigkeit Syriens von hier aus den Widerstand gegen die bürgerlichen Regime des Landes. Schon 1964 kam es in der Stadt zu Kämpfen zwischen Sunniten und Alawiten.

Der junge Baath-Kommandeur der Stadt, Oberstleutnant Mustafa Tlas, hielt es - obwohl selbst Sunnit - mit den aufsteigenden Machthabern und wurde dafür später Verteidigungsminister. Der jetzige Präsident Baschar al-Assad erhielt an der Akademie von Homs eine rasche Militärausbildung, als ihn sein Vater in den neunziger Jahren zum Nachfolger trimmen ließ.

Noch blutiger, als das Regime jetzt die Rebellion in Homs niederkämpfte, hatte der Senior Hafes al-Assad vor drei Jahrzehnten den Aufstand der Muslimbrüder im 30 Kilometer entfernten Hama unterdrückt. Die von ihm angeordnete Intervention im libanesischen Bürgerkrieg, zunächst auf Seiten der Christen gegen die Palästinensische Befreiungsfront, erbitterte die sunnitische Mehrheit. Die Muslimbrüder, die sich an die Spitze des Widerstands stellten, fanden große Unterstützung in der Bevölkerung.

Schon seit 1964 hatten sie sich mit Streiks und Demonstrationen gegen das laizistische Baath-Regime gewandt. Ihr Führer Marwan Haddad kam aus Hama. Als Assad 1973 die Bestimmung aus der Verfassung streichen wollte, dass der Islam die Religion des Staatschefs sein müsse, brachen Unruhen aus. Sie waren von den Muslimbrüdern organisiert und dauerten monatelang.

Sunnitische Prediger riefen den Dschihad gegen das "atheistische Regime" aus und verurteilten Assad als "Feind Gottes". Islamische Publikationen nannten ihn eine Schlange, den vergifteten Dolch des Imperialismus, einen Juden, der die Muslime hasse, einen Löwen im Libanon, aber ein Kaninchen auf dem israelisch besetzten Golan.

Von 1979 an führten die Muslimbrüder eine Terror-Kampagne gegen Baath-Funktionäre, Polizeistationen und Symbole staatlicher Macht. Das schlimmste Attentat ereignete sich in der Artillerie-Schule von Aleppo, wo Muslimbrüder 63 Kadetten erschossen. Assad erkannte die Gefahr. "Entweder sie sind dran, oder wir", sagte er zu Freunden. Vom Parlament ließ er im Juli 1980 ein Gesetz verabschieden, das die bloße Zugehörigkeit zu den Muslimbrüdern mit Todesstrafe bedrohte. Im Gefängnis von Palmyra wurden am 27. Juni zwischen 600 und 1000 Muslimbrüder umgebracht.

Im ganzen Land schien der Aufstand niedergeschlagen, nur in Hama nicht. Dort griffen am 2. Februar 1982 nach Mitternacht Islamisten alle Regierungsstellen an, töteten 250 Menschen, unter ihnen den Gouverneur, und hielten die Stadt zehn Tage lang in ihrer Gewalt. Dann attackierten Truppen unter Befehl des Präsidenten-Bruders Rifaat al-Assad die Rebellen mit Panzern und Artillerie. Die Schlacht dauerte drei Wochen. Zwischen 10.000 und 30.000 Einwohner wurden getötet.

Das war, wie es aussieht, nur die erste Runde des Ringens zwischen den Muslimbrüdern und den Assads. Baschar al-Assads Frau Asma ist in London geboren, aber ihre Familie stammt aus Hama. Schon im vergangenen Jahr war die Stimmung in der Stadt so aufgebracht, dass die Präsidentenfrau das Grab ihrer Mutter nicht besuchen konnte.

© SZ vom 09.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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