RAF-Anschlag auf Alfred Herrhausen:Neue Spur führt nach Libanon

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Auch nach 25 Jahren noch ungeklärt: das Attentat auf den einstigen Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen. (Foto: Kai-Uwe Wärner/dpa)

Vor 25 Jahren wurde der Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen getötet. Die RAF brüstete sich mit dem Attentat, das nie aufgeklärt wurde. Doch sie hatte wohl Hilfe beim Bombenbau.

Von Hans Leyendecker

Ein solches Bombenattentat hatte die Republik noch nicht erlebt. Am Morgen des 30. November 1989 rollte ein gepanzerter Mercedes 500 durch Bad Homburg. Dort hatten Mörder eine Sprengfalle aufgebaut. Nachdem das Vorausfahrzeug mit zwei Leibwächtern des damaligen Chefs der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, eine enge Stelle passiert hatte, schalteten die Attentäter eine Infrarot-Lichtschranke ein. Herrhausens Wagen durchbrach den Strahl; das löste ein elektrisches Signal aus. Eine auf einem Kinderfahrrad in einer Tasche versteckte Bombe wurde gezündet. Herrhausen, der damals einer der wichtigsten und auch mächtigsten deutschen Manager war, starb.

Alles lang her und doch noch so nah.

Die Mörder wurden bis heute nicht gefasst. Dass auch hinter diesem Mord die dritte Generation der RAF steckte, haben die Täter in einem Bekennerschreiben mit der Sorgfalt deutscher Buchhalter beurkundet: Das bei solchen Anlässen übliche Papier mit dem Wasserzeichen "Römertum Klanghart", das Frauenmotiv auf der Briefmarke, die bekannte Tarnadresse, der korrekte Stempel mit dem richtigen Emblem. Das alles war Original-RAF. Aber natürlich wuchern bis heute Mythen, dass hinter alledem die CIA, die Stasi oder Feinde Herrhausens aus der Welt des großen Geldes gesteckt hätten.

Half die Volksfront für die Befreiung Palästinas?

Der Autor Egmont Koch, ein Veteran der Seriosität, hat in einem Film, der am Montagabend um 23.30 Uhr in der ARD zu sehen ist ("Die Spur der Bombe"), all den Verdächtigungen und all den Spuren eine interessante Variante hinzugefügt. Vieles spreche dafür, dass Terroristen der "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) die Bombe geliefert hätten.

Die Kombination Lichtschranke und Bombe war neu für die RAF und auch die ausgeklügelte Technik des Sprengsatzes. Sie war so konstruiert wie eine panzerbrechende Mine. In der Tasche auf dem Fahrrad befanden sich sieben Kilo TNT-Sprengstoff und eine gewölbte Kupferplatte. Durch die Explosion verformte sich diese zu einem großen Projektil, das den Wagen mit unvorstellbarer Wucht durchschlug. Herrhausen wurde durch Splitter der gepanzerten Tür getötet. Mit gewöhnlichem Sprengstoff und/oder großkalibriger Munition wäre das nicht passiert. In Westeuropa hatte es vorher noch nie einen vergleichbaren terroristischen Anschlag gegeben.

Für Kochs Film rekonstruierte das Fraunhofer Ernst-Mach-Institut (EMI) das Attentat. Das Fahrzeug wurde im Maßstab eins zu zwei nachgebaut, Stahlplatten stellten die gepanzerten Fahrzeugtüren nach. Die Bombe war kleiner als die der RAF. Die Explosion wurde mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen und dann von Professor Klaus Thoma, dem renommierten Leiter des Fraunhofer-Instituts, analysiert.

Thoma, der Mitglied in diversen hochrangigen Sicherheitsgremien ist und einen Ruf zu verlieren hat, glaubt nicht, dass Terroristen in Deutschland oder Westeuropa das Wissen gehabt hätten, diese Bombe zu bauen: "Es ist sehr eindeutig, dass da viele, viele Versuche gemacht wurden, um dieses komplexe System überhaupt zu testen." Für ihn sei es "eindeutig, dass da jemand eine Technologie von jemandem übernommen hat".

Aber wer hat, wenn es so war, der RAF geholfen?

Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer kommt da ins Spiel. Der Ex-Geheimdienstler war einst Agent im Nahen Osten und in Libanon stationiert. Er wies Koch auf einen Anschlag hin, der acht Tage vor dem Herrhausen-Attentat verübt wurde: Am 22. November 1989 war der damalige libanesische Präsident Rene Moawad in Beirut in eine Sprengfalle geraten, die genauso wie die Herrhausen-Sprengfalle aufgebaut war. Nur mit mehr Sprengstoff.

"Ich denke, dass die Herrhausen-Bombe im Libanon hergestellt und getestet wurde", meint Baer. Zu "neunzig Prozent" sei er sich da sicher. Baer hat für die CIA eine der Bomben beschafft und zur Analyse nach Washington bringen lassen. Seinen Angaben zufolge habe er die Spur der Bombenbauer in einem Palästinenserlager gefunden, wo Leute der Hisbollah und der Palästinenser auf engstem Raum beim Bombenbau zusammengearbeitet hätten.

Nach seiner Darstellung hat das Herrhausen-Attentat selbst den Secret Service beunruhigt. "Warum sollte eine solche Waffe nicht gegen den amerikanischen Präsidenten eingesetzt werden? Wir fragten uns natürlich auch, wo hat die RAF das her?"

Historisch belegt ist die enge Zusammenarbeit zwischen der Palästinenser-Volksfront PFLP und RAF. Mit der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut im Oktober 1977 wollte ein vierköpfiges PFLP-Kommando die RAF während der Schleyer-Entführung unterstützen. Generationen europäischer Terroristen sind von der PFLP im Südjemen ausgebildet worden. Ehemalige RAF-Kader haben bei Vernehmungen gestanden, dass sie in Ausbildungslagern des Nahen Ostens auf das Morden in Deutschland und Europa vorbereitet wurden.

Alfred Herrhausen starb am 30. November 1989. (Foto: dpa)

Der Film Kochs besteht aus zwei Teilen: Da ist der Bombenteil, und da ist die Geschichte über das Netz der PFLP in Europa, und wie die Knoten über Dänemark und Spanien auch zur RAF führten.

Aber entscheidend im Fall Herrhausen ist die Bomben-Spur. Den Ermittlern war in Mailand, anderthalb Jahre vor dem Anschlag, bei italienischen Bündnisgenossen der RAF ein Brief der deutschen Terroristen in die Hände gefallen, in denen sie sich nach einem "Spezialisten" erkundigten, der "eine Methode zur Panzerbrechung" entwickelt habe. Die Rotbrigadisten konnten da nicht helfen. Die SZ hat mit deutschen Ermittlern über die PFLP-Spur im Fall Herrhausen gesprochen und ist auf Skepsis gestoßen. Die Waffe wäre doch gar nicht so neu gewesen, sagt ein Beamter. Ein anderer meint, das sei doch eine übliche Kriegswaffe.

Die Bombe ist eigentlich ein Spreng-Geschoss

"Ja, im Krieg ist die üblich", sagt Professor Thoma vom Fraunhofer-Institut. Aber "wie sollten deutsche Terroristen eine solche Waffe herstellen". Das seien "Laien" gewesen. So "trivial", wie manche Ermittler tun, sei der Bombenbau nicht. Da müssten "viele Parameter passen, bis die Waffe funktioniert". Eigentlich ist es auch gar keine richtige Bombe, sondern ein Spreng-Geschoss, weil erst durch die Explosion ein Projektil erzeugt wird. Die Hisbollah setzte diese Waffe in den 1990er-Jahren gegen die Israelis in Südlibanon ein.

Im Frühjahr 2005 wurden im Irak gepanzerte amerikanische Militärfahrzeuge von Terroristen mit Sprengfallen angegriffen. Mehr als einhundert Soldaten starben. Danach stellten Spezialisten fest, dass die Bomben im Irak so groß und so schwer waren, wie die Waffe, die im November 1989 Herrhausen tötete.

© SZ vom 29.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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