Putin gibt Jahrespressekonferenz:Welterklärung mit Überlänge

Marathon-Mann Putin: In einer stundenlangen Pressekonferenz mit teils bizarren Zügen äußert sich Russlands Präsident zum Verhältnis mit den USA, distanziert sich ein bisschen von Syrien und bietet sogar Steuerflüchtling Gérard Depardieu einen Pass an.

Wie lange hält Wladimir Putin diesmal durch? Die Marathonsitzungen bei den Jahrespressekonferenzen sind schließlich eine Herausforderung. Und zuletzt gab es immer wieder Spekulationen um den Gesundheitszustand des russischen Präsidenten. Am Ende sind es fünf Stunden, in denen Putin die Fragen der Journalisten beantwortet.

Mehr als 1200 Journalisten waren ins Moskauer Zentrum für Internationalen Handel gekommen. Die Bandbreite der angesprochenen Themen war dementsprechend enorm - die Pressekonferenz nahm bisweilen bizarre Züge an.

Unter anderem stellt Putin klar, keine Angst vor einem Weltuntergang an diesem Freitag zu haben. "Ich weiß, wann das Ende der Welt kommt - in etwa viereinhalb Milliarden Jahren, wenn ich mich richtig an den Lebenszyklus unserer Sonne erinnere", erklärte Putin. "Warum Angst haben, wenn es ohnehin unausweichlich ist?" Ein Reporter des kremlnahen Boulevardportals life.ru hatte den Präsidenten gefragt, ob er absichtlich seine Jahrespressekonferenz auf den heutigen Donnerstag gelegt habe, um "ein Fazit der Entwicklung der gesamten Menschheit zu ziehen".

Sonst ging es jedoch um ernstere Themen - etwa zu Russlands Syrienpolitik, zum Verhältnis zu den USA und zur Demokratie in seinem Land. Ein Überblick:

[] Das gestörte Verhältnis zu den USA

US-Präsident Barack Obama hatte zu Beginn seiner Präsidentschaft mit einem "Neustart" versucht, das Verhältnis zwischen beiden Ländern zu verbessern. Stattdessen verschlechterten sich die Beziehungen seit Putins Rückkehr ins Präsidentenamt zusehends. Dafür machte der Kreml-Chef die USA verantwortlich.

"Den Neustart haben nicht wir erfunden", sagte er. "Wir hatten eigentlich ein gutes Verhältnis". Das habe sich jedoch mit dem Irak-Krieg eingetrübt. Das Ergebnis des Sturzes von Saddam Hussein sei, dass "das Land zerfällt". Als zweites belastendes Thema nannte Putin das geplante Raketenabwehrsystem der Nato: "Wir betrachten das als Bedrohung."

[] Verteidigung des umstrittenen Adoptionsverbots

Das geplante Adoptionsverbot für russische Kinder durch US-Familien verteidigte der Kremlchef. Das Gesetz sei eine Reaktion auf die Haltung der amerikanischen Staatsmacht.

"Es geht nicht um Probleme mit einzelnen US-Bürgern. Das sind in der Regel Menschen, die mit den besten Absichten unsere Kinder adoptieren". Es handle sich bei der Maßnahme vielmehr um eine Reaktion auf Mängel beim Schutz adoptierter russischer Kinder, sagte Putin. Die US-Justiz habe mehrfach US-Bürger nicht wegen Totschlags verurteilt, nachdem Kinder in ihrer Obhut gestorben waren, beklagte Putin. "Die Richter wollen uns nicht einmal als Beobachter zulassen." Er verstünde die Entscheidung als eine emotionale Reaktion der Staatsduma. "Doch ich denke, sie war angemessen", sagte Putin.

[] Russland und der "Magnitsky Act"

Das Adoptionsverbot ist laut Putin eine angemessene Reaktion auf den amerikanischen "Magnitsky Act". Der verbietet russischen Verantwortlichen, die in den Fall des in Haft verstorbenen Anwalts Sergej Magnitsky verwickelt sind, die Einreise in die USA. Das Gesetz vergifte die Beziehungen zwischen Moskau und Washington, kritisierte Russlands Präsident. Die USA lebten in der Vergangenheit, wenn sie ein anti-russisches Gesetz gegen ein anderes austauschten.

Magnitsky, der einen Finanzskandal bei der Polizei aufgedeckt hatte, wurde angeblich in Haft gefoltert. Doch die USA hätten moralisch kein Recht, das russische Justizsystem zu kritisieren, auch dort würden Menschenrechte verletzt, sagte Putin und verwies etwa auf das Lager in Guantanamo auf Kuba, wo Menschen ohne Prozess über Jahre gefangen gehalten würden. "Wenn so etwas bei uns passieren würde, hätte sie uns schon mit Haut und Haaren gefressen."

Das Gesetz zur Adoption wurde kürzlich vom russischen Parlament vorläufig angenommen, muss aber noch weitere legislative Etappen durchlaufen, bevor Putin es unterzeichnen kann. Einem Journalisten der Zeitung Argument i Fakt, der das Gesetz kritisiert hatte, sagte er, Russland müsse sich nicht erniedrigen lassen. "Oder gefällt Ihnen das, sind Sie Sadomasochist?" Nicht Russland provoziere, Russland werde provoziert.

[] Warnung vor Sieg der Assad-Gegner

Im Bezug auf den Syrienkonflikt warnte der Kremlchef vor einem Erfolg der Gegner von Präsident Baschar al-Assad. Es sei völlig unklar, was in diesem Falle passieren werde. "Wir sind keine Freunde der Familie Assad, die sich seit 40 Jahren an der Macht hält", erklärte er. "Aber wir sind noch mehr besorgt über das, was passiert, wenn er weg ist. Wir wollen nicht, dass die heutige Opposition den Kampf mit der heutigen Regierung fortsetzt, wenn sie an die Macht kommt, und dass das für immer so weitergeht."

Er kritisierte, dass zunächst alles zerstört und erst dann überlegt werde, wie es weitergehe. Eine Einigung auf der Grundlage eines militärischen Sieges einer Seite sei "ineffektiv", sagte Putin. Die Syrer müssten die Krise selbst lösen. "Zunächst müssen sich die Menschen darauf einigen, wie sie weiter leben wollen und wie sie ihre Sicherheit sowie die Teilnahme an der Staatsverwaltung sicherstellen wollen. Erst dann kann die vorhandene Ordnung gemäß diesen Vereinbarungen verändert werden", sagte der Präsident. Natürlich interessiere ihn auch die Position Russlands in der Region.

Die Enthaltung Russlands im Sicherheitsrat bei der Entscheidung über eine Flugverbotszone über Libyen nannte Putin einen "Fehler, den man nicht wiederholen sollte". Libysche Rebellen hatten den militärischen Schutz genutzt, um den Diktator Muammar al-Gaddafi zu stürzen.

[] Demokratie und Pressefreiheit

Auf die innenpolitische Entwicklung angesprochen sagte Putin: "Ich würde dieses System nicht autoritär nennen". Er habe vor vier Jahren das Amt des Präsidenten abgegeben, obwohl er die Möglichkeit gehabt hätte, die Verfassung zu ändern. "Der beste Beweis ist meine Entscheidung, meinen Posten nach zwei Amtszeiten zu verlassen." Hätte er den Weg des Autoritarismus gewählt, hätte er die Verfassung geändert. "Das wäre leicht gewesen", sagte Putin. "Demokratie bedeutet in erster Linie, das Gesetz zu befolgen".

Auf Korruption und Willkürjustiz angesprochen sagte Putin, Russland habe ein gesundes Rechtssystem. Man könne natürlich immer darüber nachdenken, was besser zu machen sei. Zahlreiche Morde an investigativen Journalisten in Russland schrecken die Reporter nach Putins Ansicht aber nicht von weiteren Recherchen ab. "Ziel ist es, Angst zu verbreiten. Aber das klappt nicht", sagte Putin. Viele Journalisten wüssten um die Gefahren in ihrem Beruf, meinte er. Der Staat tue alles, um sie zu schützen. "Aber man kann nicht neben jeden einen Leibwächter stellen."

Auf die Frage, ob Russland künftig einen anderen Putin erleben werde, sagte dieser: "Ich habe mich natürlich zum Besseren verändert". Sein alter Spruch, dass er arbeite "wie ein Galeerensklave" habe noch immer Gültigkeit. Am Vortag etwa habe er von 10 Uhr früh bis 22 Uhr gearbeitet. "Aber daran bin ich gewöhnt."

[] Ausweichende Auskünfte zum Gesundheitszustand

Auf Fragen nach seinem Gesundheitszustand antwortete der 60-Jährige ausweichend. Gerüchte "nutzen meinen politischen Gegnern, die versuchen, sowohl Legitimität, als auch die Handlungsfähigkeit der Staatsmacht in Zweifel zu ziehen", sagte Putin und empfahl seinen Gegnern nach monatelangen Spekulationen um seine Verfassung, nicht auf sein Ende zu warten.

Da Putin in den vergangenen Wochen mehrere offizielle Termine abgesagt hatte, hatte die russische Presse spekuliert, er habe sich bei dem inszenierten Flug mit einem Ultraleichtflugzeug ein schweres Rückenleiden zugezogen

[] Angebot an Depardieu

Dem Schauspieler Gérard Depardieu, der angesichts eines Steuerstreits den Verzicht auf die französische Staatsbürgerschaft angekündigt hatte, bot Putin seine Hilfe an. "Falls Gérard wirklich eine russische Aufenthaltsgenehmigung oder einen russischen Pass will, so ist diese Frage bereits positiv entschieden", sagte der Präsident. Allerdings, so schränkte Putin ein: "Er liebt sein Land und dessen Kultur sehr." Depardieu mache gerade harte Zeiten durch. Putin betonte, er habe enge freundschaftliche Beziehung zu dem Schauspieler, "obwohl wir uns wenig sehen".

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