Protest gegen französische Rentenreform:Sarkozys Angst vor den Schülern

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Frankreichs Jugend begehrt gegen die Rentenreform auf - der Präsident fürchet sie mehr als die Gewerkschaften. Zudem droht Benzinknappheit wegen Streiks, die Franzosen reagieren mit Hamsterkäufen.

Stefan Ulrich

Tankstellen ohne Treibstoff und Jugendliche, deren Wut explodiert: Dies ist das Schreckensszenario des Nicolas Sarkozy. Noch ist es nicht so weit in Frankreich. Doch die Situation spitzt sich Tag für Tag zu. Im Streit um die Reform des Rentensystems wird es wohl zu keinen Kompromissen mehr kommen.

Die Protestwelle gegen die Rentenform in Frankreich hat auch die Jugend erfasst: Schüler protestierten am Freitag vor dem Pariser Élysée-Palast gegen die Pläne. Sie fürchten, dass es künftig weniger freie Arbeitsplätze geben wird. (Foto: dpa)

Es wird nur einen Sieger geben, den Präsidenten oder seine Gegner auf der Straße. Während das Benzin knapp wird, die Lastwagenfahrer Blockaden ankündigen und die Gymnasiasten streiken, beschwor Jean-François Copé, der Fraktionschef der regierenden UMP-Partei, am Freitag die Franzosen im Radio: "Wir müssen die Rentenreform machen. Wir haben keine andere Wahl. Es gibt keine andere Lösung."

Die Pipeline ist trocken

Die Protestfront wirkt ebenso entschlossen wie das Regierungslager. Am Freitag streikten erstmals alle zwölf Erdöl-Raffinerien des Landes. Außerdem wurden Erdöl-Depots blockiert. Zwar erzwangen Sondereinsatzkräfte der Polizei auf Befehl des Präsidenten die Öffnung einiger Depots, aber dafür versperrten die Protestierer andere. Aus der Pipeline, die die Pariser Großflughäfen versorgt, floss am Freitag kein Treibstoff mehr. Flughafenvertreter sagten, die Vorräte reichten bis Sonntagabend. Etliche Tankstellen mussten bereits wegen fehlenden Benzins schließen. An anderen deckten sich die Franzosen mit Kanistern ein. Seit Anfang der Woche stieg der Benzinverkauf um 50 Prozent. Die Regierung erlaubte der Erdölindustrie, die vorgeschriebenen Reserven anzugreifen.

Frankreich könne sich keine Benzinkrise leisten, warnte Transport-Staatssekretär Dominique Bussereau. Jean-Louis Schilansky, der Verbandspräsident der französischen Erdölwirtschaft, sagte: "Wenn der Streik andauert oder sich sogar ausweitet, werden wir von kommender Woche an in Gefahr sein." Nun müsse um jeden Preis verhindert werden, dass Panik ausbricht. Die größte Gewerkschaft der Lastwagenfahrer forderte indes ihre Mitglieder auf, sich den Protesten anzuschließen, Straßen zu versperren oder im Bummeltempo zu fahren.

Auch die Schüler setzten am Freitag ihre Aktionen fort. Nach Angaben der Regierung wurde an 300 Gymnasien gestreikt und demonstriert, laut den Schülergewerkschaften waren 900 Gymnasien betroffen. Bei den Schülerprotesten war es am Donnerstag zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Ein 16-Jähriger aus einem Pariser Vorort wurde von einem Gummigeschoss erheblich im Gesicht verletzt.

Die Wut der Vorstädter

Die Regierung wirft den oppositionellen Sozialisten vor, sie wiegelten die Schüler auf und brächten sie in Gefahr. Die Schülervertreter halten dem entgegen, von der Rentenreform sei auch die junge Generation betroffen. Zum einen, weil sie länger arbeiten müsse, zum anderen, weil Arbeitsplätze später frei würden. In den Protesten dürfte sich aber auch ein allgemeiner Unmut über Sarkozy, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und schlechte Zukunftsaussichten in den Banlieues ausdrücken. Gerade hat eine Parlamentariergruppe einen Bericht vorgelegt, wonach sich die Lage in den Problemvierteln trotz eines speziellen Gesetzes aus dem Jahr 2003 nicht verbessert hat. In den Banlieues herrschen weiter Armut und Arbeitslosigkeit.

Die Wut der Vorstädter fürchtet die Regierung mehr als die nationalen Protesttage, die die Gewerkschaften organisieren, als Nächstes für diesen Samstag und für Dienstag. Auch Gewerkschaftsführer warnen, sie könnten für nichts mehr garantieren, falls eine Jugendrevolte ausbricht. Seit Mai 1968 sind in Frankreich immer wieder Reformen daran gescheitert, dass die Jugend auf die Straße ging. Zuletzt geschah das 2006, als sich Millionen junge Leute einer Arbeitsmarktreform widersetzten. Angesichts dieser Vorgeschichte versuchen Sarkozy und seine Minister unermüdlich, die Franzosen von der Notwendigkeit einer längeren Lebensarbeitszeit zu überzeugen. Sie erklären, anders sei das Rentensystem nicht finanzierbar. Auch andere europäische Staaten muteten ihren Bürgern ein längeres Arbeiten zu, Frankreich könne da doch nicht die Ausnahme machen. Auch verweist die Regierung darauf, die Opposition habe kein schlüssiges Gegenkonzept vorgelegt. Die Frage ist aber, ob die Regierung die Protestierer mit Argumenten noch erreicht. Am Mittwoch soll der Senat abschließend die Reform billigen. Danach wird sich zeigen, ob die Protestwelle abebbt oder erst recht aufbrandet.

© SZ vom 16.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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