Potsdam: CDU-Kandidatin wirbt:Die Temposünde der Frau Richstein

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Die Potsdamer CDU-Kandidatin für das Amt des Oberbürgermeisters wirbt mit einem gestellten Radarfallen-Foto um Stimmen. Ihr Motto: "Mehr Tempo." Ihre Kritiker halten das für dumm - an Rasern mangelt es in Brandenburg nicht.

Michael König

Soll hinterher niemand sagen, Barbara Richstein habe im Wahlkampf nicht alles probiert. Die ehemalige Justizministerin von Brandenburg möchte am 19. September zur Oberbürgermeisterin von Potsdam gewählt werden, sie will Amtsinhaber Jann Jakobs (SPD) stürzen. Es ist ein beinahe hoffnungsloses Unterfangen.

Die CDU-Oberbürgermeisterkandidatin für Potsdam, Barbara Richstein, in natura (links) und in Radarfallen-Optik auf dem Wahlplakat. (Foto: cdu Pressematerial)

Zwar ist Richstein keine Unbekannte, sie war von 2002 bis 2004 Ministerin der Justiz und für Europaangelegenheiten in Brandenburg. Derzeit ist sie medien- und europapolitische Sprecherin ihrer Fraktion im brandenburgischen Landtag. Aber Richstein ist in der CDU, und die hatte es in der Vergangenheit schwer in Potsdam.

Witzig, verzweifelt oder gefährlich

Ihr Vorgänger als OB-Kandidat, Wieland Niekisch, landete bei der Wahl 2002 abgeschlagen auf Platz drei - mit 15,5 Prozent der Stimmen. Bei der Bundestagswahl 2009 kam die Union im Wahlkreis Potsdam auf 21,4 Prozent - hinter der SPD (26 Prozent) und der Linken (25,4).

Um in der Landeshauptstadt trotzdem eine Chance zu haben, setzt die 44-Jährige auf eine Wahlkampfstrategie, die sie selbst als "witzig" bezeichnet. Spötter halten sie eher für verzweifelt. Und dann gibt es Kritiker, die mit Richsteins Auftritt ganz und gar nicht einverstanden sind - und ihn als unglücklich, schlimmstenfalls gefährlich einstufen.

Auf 26 Großflächenplakaten in Potsdam ist die Politikerin in einer selbst für Wahlkampfzeiten ungewöhnlichen Pose zu sehen: Am Steuer eines Autos, mit erstauntem Blick und leicht geöffnetem Mund. Das Foto ist schwarz-weiß und leicht unscharf, am oberen Bildrand ist das "Beweiskennzeichen" P-OB 2010 abgebildet - das steht für Potsdamer Oberbürgermeisterin 2010.

So sieht es aus, wenn man als Autofahrer in eine Radarfalle gerauscht ist - und genau das ist das Ziel der Kampagne. "Mehr Tempo für Potsdam" lautet Richsteins Slogan.

"Unglücklich gewählt"

Während Amtsinhaber Jakobs mit dem kreuzbraven Motto "Familie. Heimat. Potsdam" in den Wahlkampf geht, wirbt Richstein mit Dynamik und Geschwindigkeit. Oder mit unzulässiger Tempoüberschreitung und lebensgefährlicher Raserei? Das ist Ansichtssache - und Richsteins Problem.

Bei Menschen, die um die Verkehrssicherheit bemüht sind, stößt das Plakat auf wenig Gegenliebe. Als potentiell gefährlich betrachtet es Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC): "Als Politikerin hat Frau Richstein Vorbildcharakter. Autofahrer, die regelmäßig zu schnell fahren, könnten sich durch das Plakat bestärkt fühlen", sagt Chiellino im Gespräch mit sueddeutsche.de. "Gerade im Hinblick auf die Unfallstatistik ist das Motiv unglücklich gewählt."

Auf der nächsten Seite: Brandenburg ist Raser-Hochburg - trotzdem wehrt sich Barbara Richstein gegen den Vorwurf, sie fördere die Gefahr auf den Straßen.

Was übertriebenes Tempo angeht, liegt Brandenburg in Deutschland weit vorne. Im Jahr 2009 wurden dort bundesweit die meisten Verkehrsdelikte gezählt - 253.000 an der Zahl. Statistisch gesehen hat jeder Zehnte der 2,5 Millionen Brandenburger somit einen gravierenden Verstoß begangen. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl lag die Häufigkeit der Verkehrssünden bei rund 100 pro 1000 Einwohner.

Das Unfallopfer-Hilfswerk, das sich für die Verkehrssicherheit auf deutschen Straßen einsetzt, geht mit der Blitzer-Kampagne deshalb hart ins Gericht: "Ich verstehe nicht, wie man das machen kann. Diese Kampagne ist gefährlich und dumm. Frau Richstein sollte sich fragen, ob sie für das Amt der Oberbürgermeisterin geeignet ist", sagt der Pressesprecher des 12.000 Mitglieder starken Vereins, Andreas Fenske, zu sueddeutsche.de. Richstein setze offensichtlich darauf, "die Wählerstimmen aller Raser in Potsdam einzusammeln".

Ein "Augenzwinkern" im Wahlkampf

Die OB-Kandidatin wehrt sich gegen diesen Vorwurf. Ihr Radarfallen-Plakat sei "absolut kein Aufruf, zu schnell zu fahren oder die Geschwindigkeitsbegrenzungen in Brandenburg aufzuheben", sagt Barbara Richstein zu sueddeutsche.de. Die CDU in Brandenburg habe in den vergangenen Jahren bewiesen, "dass uns die Verkehrssicherheit sehr am Herzen liegt".

Nirgendwo sonst würden Autofahrer so streng kontrolliert. Sie selbst fahre nie zu schnell: "Das macht im Cabrio gar keinen Spaß".

Richstein sagt, die Stadtentwicklung in Potsdam sei ihrer Meinung nach "im Dornröschenschlaf", deshalb müsse "Tempo gemacht" werden. "Wir haben uns dann überlegt, wie wir Tempo optisch umsetzen können. Und dann fiel uns die Radarfalle als Motiv ein." Damit habe sie ein "Augenzwinkern" in den Wahlkampf bringen wollen - und bislang nur positive Reaktionen erhalten: "Die Menschen verstehen die Ironie, die dahintersteckt."

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Barbara Richstein mit einer kuriosen Wahlkampagne auffällt: Vor der Landtagswahl 2009 richtete sie ihrem Hund Felix ein eigenes Blog auf ihrer Internetseite ein. Im "Dog-Blog" erscheinen im Namen des Jack-Russel-Terriers bis heute launige Textchen zum Tagesgeschehen - ohne dass sich je ein Tierschützer beschwert hätte.

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