Polen:Jarosław Kaczyński - der Alleinherrscher

Polen: Alles unter Kontrolle: Jarosław Kaczyński.

Alles unter Kontrolle: Jarosław Kaczyński.

(Foto: Janek Skarzynski/AFP)
  • Dem Parlament hat die neue polnische Regierung faktisch die Kontrolle über die Geheimdienste entzogen.
  • Auch das Verfassungsgericht wird systematisch als Kontrollinstanz ausgeschaltet.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war ein später Termin, zu dem vier polnische Generäle am späten Mittwochabend vergangener Woche einbestellt wurden. Zwei Tage nach der Vereidigung der neuen Regierung unter Ministerpräsidentin Beata Szydło mussten die Offiziere, die Chefs der beiden zivilen und zwei militärischen Geheimdienste Polens, zum Bericht antreten.

Mit im Raum war Jarosław Kaczyński, Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis), die Polen seit der Wahl vom 25. Oktober allein regiert. Kaczyński, der nach dem Wahlsieg die Regierungsbildung bis auf den letzten Posten kontrollierte, ist der eigentliche Herrscher Polens; die Kontrolle über die Geheimdienste ist Kaczyński seit jeher wichtig. Und so mussten die vier Generäle noch am gleichen Abend "freiwillig" ihren Rücktritt einreichen.

Anti-Korruptions-Behörde nahm es mit rechtsstaatlichen Kriterien nicht genau

Der neue Geheimdienst-Zar stand schon bereit: Mariusz Kamiński, Vertrauter Kaczńyskis aus dessen erster Regierungszeit von 2005 bis 2007, und in der neuen Regierung Koordinator der vier Geheimdienste im Ministerrang. Eigentlich hätte Kamiński gar nicht vereidigt werden dürfen. In Kaczyńskis erster Regierungszeit baute Kamiński in Polen einen fünften Geheimdienst auf - die Anti-Korruptions-Behörde CBA. Die nahm es bei ihren Aktionen gegen echte und angeblich korrupte Beamte, Minister oder auch Ärzte mit rechtsstaatlichen Kriterien wie Persönlichkeitsschutz oder gar Unschuldsvermutung nicht sehr genau.

Schließlich wurde Kamiński im März 2015 von einem Warschauer Gericht wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Gefängnis und zehn Jahren Ausschluss von jedwedem öffentlichen Amt verurteilt. Kamiński legte Berufung ein, die Verhandlung in zweiter Instanz stand noch aus. Gleichwohl reichten die Verurteilung in erster Instanz und das laufende Verfahren aus, um Kamiński von jeglichem Zugang zu Staatsgeheimnissen auszuschließen. Eigentlich.

Doch Kaczyński, bei dem selbst der von ihm ins Amt gehievte Präsident Andrzej Duda zum nächtlichen Rapport antritt und ihn öffentlich als "großen Strategen" feiert, fand schnell eine Lösung: Offenbar ohne auch nur die Akte angefordert zu haben, begnadigte Duda Kamiński und erklärte das bevorstehende Verfahren in zweiter Instanz für aufgehoben. Der Präsident habe Mängel in dem Verfahren festgestellt. "Nach Meinung des Präsidenten hatte dieser Fall politischen Charakter", erklärte ein Ratgeber Dudas, Andrzej Dera.

Die Geheimdienstkontrolle ist nur noch Sache der PiS

Solcherart juristisch schnellgereinigt, konnte Kamiński am 16. November zusammen mit den anderen Ministern von Duda vereidigt werden und die Macht über die Geheimdienste übernehmen. An deren Spitze werden nun ausschließlich Gefolgsleute postiert. Die militärischen Geheimdienste fallen zudem in den Verantwortungsbereich des neuen Verteidigungsministers Antoni Macierewicz, Anhänger etlicher Verschwörungstheorien zum angeblichen Schaden Polens. So gibt sich Macierewicz bis heute überzeugt, dass der Flugzeugabsturz von Smolensk, bei dem am 10. April 2010 Polens Präsident Lech Kaczyński (der Zwillingsbruder von Jarosław) ums Leben kam, ein Attentat gewesen sei. Davon lässt sich Macierewicz auch nicht durch Berichte sowohl der russischen wie der polnischen Regierung abhalten, die beide bestätigten, dass der Absturz ein Unglück war.

Das Durchgreifen beim Geheimdienst wurde von Polens Opposition scharf kritisiert - umso mehr, als sie künftig von der Kontrolle der Geheimdienste ausgeschlossen ist. Die neue Regierung verkleinerte den parlamentarischen Kontrollausschuss von neun auf sieben Mitglieder und schaffte den bisher zwischen Regierung und Opposition abwechselnden Vorsitz ab. Ab sofort ist die Geheimdienstkontrolle nur noch Sache der PiS.

Auch die Begnadigung Kamińskis wurde nicht nur von der machtlosen Opposition scharf kritisiert, sondern auch von führenden Juristen. Das Instrument der Begnadigung sei ein humanitäres Instrument, erlaube es gemäß der Verfassung jedoch nicht, Parteifreunde vor Strafverfolgung zu schützen, erklärte der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Andrzej Zoll. Skandalös sei zudem die Einschätzung von Präsident Duda, es habe sich bei der Verurteilung Kamińskis wegen Amtsmissbrauchs um ein politisch motiviertes Verfahren gehandelt. Präsident Duda habe seine Kompetenzen überschritten. Andere führende Juristen urteilten ähnlich.

Ehemaliger Verfassungsrichter spricht von einem "Staatsstreich"

Das Verfassungsgericht ist ebenfalls in der Defensive. Während der ersten Kaczyński-Regierung 2005 bis 2007 stoppten die Verfassungsrichter mehrere Gesetze. Jetzt gab Kaczyński seiner neuen Regierung offenbar als erstes vor, dem Verfassungsgericht die Zähne zu ziehen. Für fünf der fünfzehn Richter endet die Amtszeit. Für drei bereits am 6. November, für weitere zwei im Dezember.

Noch im Oktober wählte das noch von der alten, vergleichsweise liberalen Regierung dominierte Parlament fünf neue Verfassungsrichter - ein im Fall der beiden erst im Dezember ausscheidenden Richter umstrittenes, doch bei drei Richtern einwandfreies Verfahren. Die Antwort der PiS: Präsident Duda weigerte sich, alle neu gewählten Richter zu vereidigen.

Zudem peitschten beide von der PiS mit absoluter Mehrheit beherrschten Parlamentskammern am Donnerstag vergangener Woche ein Gesetz durch, das die Wahl der fünf Verfassungsrichter durch das alte Parlament für ungültig erklärt. Zudem soll der bisher ohne Befristung amtierende Verfassungsgerichtspräsident künftig ein nur für drei Jahre berufener Beamten sein, der vom Präsidenten - also von PiS-Mann Duda - ernannt wird.

Die neue Regierung will dem Verfassungsgericht keine Beachtung schenken

Nicht nur wurden bei der Verabschiedung des Gesetzes offenbar mehrere vorgeschriebene Normen verletzt: Die erste Lesung des Gesetzes fand nicht, wie vorgeschrieben, im versammelten Parlament statt, sondern nur in einem von der PiS dominierten Ausschuss. Dem Gesetz entgegenstehende Gutachten des juristischen Dienstes des Parlaments wurden missachtet, Juristenvertreter nicht angehört. Vor allem aber, so betonten sowohl der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Zoll wie sein ehemaliger Amtskollege Jerzy Stępień, hat das Parlament grundsätzlich keinerlei Recht, die Wahl von Verfassungsrichtern durch ein vorhergehendes Parlament für illegal zu erklären. Dieses Recht stehe ausschließlich dem Verfassungsgericht nach einer eingereichten Verfassungsbeschwerde zu.

Präsident Duda hielt sich mit solchen Feinheiten nicht auf - und unterzeichnete das Gesetz schon am Tag nach der Annahme durch das Parlament. Den Ex-Richtern Zoll und Stępień zufolge haben Duda und die PiS sowohl bei der Begnadigung von Geheimdienstaufseher Kaminski wie bei dem Richtergesetz Verfassungsbruch begangen.

Zwar haben sowohl die Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) wie Polens Ombudsmann Verfassungsbeschwerde eingereicht - das Verfassungsgericht wird nun am 3. Dezember über die Beschwerde entscheiden. Doch selbst wenn die Richter das Gesetz des Parlamentes für ungültig erklären, will die neue Regierung dem nach Aussagen von PiS-Politikern keine Beachtung schenken - und schon bald neue, ihr genehme Verfassungsrichter wählen. Für Ex-Richter Stępień ist das Vorgehen der PiS und Präsident Dudas gleichbedeutend mit einem "Staatsstreich".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: