Piratenchef Schlömer:"Wir müssen Köpfe zeigen"

Piratenchef Bernd Schlömer

Der Parteichef der Piraten Bernd Schlömer will einen Strategiewechsel.

(Foto: dpa)

Strategiewechsel bei den Piraten: Parteichef Schlömer fordert im SZ-Interview mehr Eigenverantwortung für die Spitzenkandidaten - ohne dabei den Bezug zur Basis zu verlieren. So soll die Partei vor der Bedeutungslosigkeit bewahrt werden.

Von Jan Bielicki und Jan Heidtmann

SZ: Angenommen, am kommenden Sonntag wäre Bundestagswahl: Wie schätzen Sie die Chancen der Piraten ein?

Bernd Schlömer: Wir liegen derzeit zwischen drei und vier Prozent. Aber wir haben in Niedersachsen gesehen, dass es bei Meinungsumfragen oft erhebliche Varianzen gibt.

In Niedersachsen haben Sie verloren. Ihr Parteifreund Christopher Lauer hat daraufhin das Publikum per Internet gefragt: Warum wählt Ihr die Piraten nicht? - Kennen Sie die Antwort?

Die Menschen wissen einfach nicht, wofür die Piratenpartei steht. Und sie verbinden mit der Piratenpartei auch keine Menschen. Deswegen habe ich auch gesagt, dass wir nicht weiter allein darauf setzen können, Themen zu transportieren. Wir müssen Köpfe, Menschen zeigen, Sympathieträger, die unsere Themen einfach und leicht transportieren.

Im Moment erwecken die Piraten eher den Eindruck, dass sie sich die Köpfe einschlagen.

Ich bekomme auch viel positives Feedback von Bürgern, die sagen: Hier gibt es eine Partei, die eine Debattenkultur hat. Da wird ein Kanzlerkandidat nicht im Hinterzimmer von drei Menschen bestimmt und die Parteibasis nickt das ab. Insofern kann Debattenkultur auch ein positives Image haben. In einer Phase, in der die Piratenpartei von knapp 12.000 auf 35.000 Mitglieder angewachsen ist, sind Diskussionen auch nicht wirklich verwunderlich. Jetzt können wir aber klären, in welche Richtung wir wollen.

Auf die Frage von Herrn Lauer kritisierten viele, die Piratenpartei beherberge eine Menge Sexisten und Rassisten.

Mit einigen neuen Mitgliedern haben wir tatsächlich Probleme. Das will ich gar nicht bestreiten. Diese Leute haben ein Problem, mit anderen Menschen respektvoll umzugehen. Sie äußern sich sexistisch oder menschenfeindlich. Diese Mitglieder stehen aber nicht in zentralen Funktionen. Wir werden jedes Mitglied, das sich so äußert, mit den üblichen parteiinternen Maßnahmen belegen. Wir lassen uns das nicht gefallen.

Sie werden sie also rausschmeißen?

Das ist nicht ganz so einfach, kann aber durchaus am Ende dieses Prozesses stehen.

Brauchen die Piraten eine Frauenquote?

Die Quote ist in der Piratenpartei bei internen Abstimmungen abgelehnt worden. In aktuellen Diskussion wird letztendlich darüber gesprochen, wie man Menschen fördern kann. Ich fordere alle Frauen auf, sich auch um Ämter und Mandate zu bewerben - und das geschieht ja zunehmend. In Nordrhein-Westfalen hat die Aufstellungsversammlung gerade eine Frau auf Platz eins der Bundestagswahlliste gewählt. Wir müssen Frauen fördern und fordern. Nicht nur fördern.

Sie sprechen ja wie Gerhard Schröder.

Hoffentlich nicht! Ich spiele auch besser Fußball als er.

Die Bundestagswahl ist im September. Was muss bei den Piraten bis dahin passieren?

An diesem Wochenende werden wir bei einem Strategietreffen in Leipzig die Grundlagen für unser weiteres Vorgehen legen. Es geht auch um grundsätzliche Fragen: Was für eine Partei wollen wir eigentlich sein? Ich persönlich denke, dass wir von unseren Stärken wieder stärker Gebrauch machen müssen. Das heißt, wir müssen zeigen, dass wir internetgestützte Verfahren für politische Entscheidungen anwenden und nutzen. Dass uns Korruptionsbekämpfung, Offenheit von Politik und Verwaltung, Integrität und Transparenz wichtig sind.

"Wir verkörpern das Lebensgefühl der jüngeren Generation"

Aber verlangen die Wähler von Parteien nicht auch Antworten auf die drängenden Probleme?

Politische Parteien werden auch gewählt, weil man man glaubt, die Partei tickt so wie ich auch. Parteien werden nicht nur gewählt, weil sie zu jedem Sachthema vorgeben, eine konkrete Lösung zu haben. Nichtsdestotrotz müssen wir beides sinnvoll kombinieren. Wir müssen eine Partei sein, die Beteiligung und damit direkte Demokratie im Internetzeitalter auf die Agenda setzt und sich dafür einsetzt, Wissen frei zur Verfügung zu stellen. Damit verkörpern wir das Lebensgefühl und die Lebensart der jüngeren Generation.

Das wirkt paradox: Sie wollen sich wieder mehr ihrer Wurzeln in der digitalen Welt entsinnen. Gleichzeitig suchen sie ein geschlossenes Programm jenseits ihrer Kernthemen Internet und Transparenz.

Wir brauchen beides. Die Partei versucht, Lösungen für ein Leben in modernen Gesellschaften anzubieten, die von Freiheit, Individualität und Selbstbestimmtheit geprägt sind. Dieser Liberalismus neuerer Art ist gekoppelt mit einer grundsätzlichen Staatsskepsis, aber auch mit der Forderung, dass wir wesentlich stärker als bislang auch für gemeinwohlorientiertes Handeln eintreten müssen. Ich bezeichne das als Sozialliberalismus.

Woraus sollte Ihrer Meinung nach das Wahlprogramm der Piraten bestehen?

Meiner Meinung nach sollten uns zum Thema Offenheit und Transparenz äußern und den Bereich Verbraucherschutz prominent besetzen. Das Thema direkte Demokratie ist sicherlich ein weiteres strategisches Feld. So wie auch die Energiewende.

Energiewende, Verbraucherschutz - haben Sie keine Sorge, dass die Piratenpartei bald wie ein schlecht sortierter Gemischtwarenladen wirkt?

Wir vereinen viele verschiedene Strömungen in der Partei. Eine große Zahl der Mitglieder interessiert sich für Umweltpolitik. Gerade die Energiewende ist ein Feld, das für die Piraten immer schon von Interesse war, weil es auch bei Strom und Wärme um Netze geht, um technische Infrastrukturen - wie beim Internet.

Niedersachsen hat ja gezeigt, dass es zu einem Lagerwahlkampf kommen wird. In welches Lager schlagen sich die Piraten?

Wir haben das im Bundesvorstand bislang nur intern diskutiert: Wie verhalten wir uns zu Steinbrück? Wie verhält sich die Piratenpartei zu Rot-Grün? Ich selber werde der Partei empfehlen, sich positiv von Rot-Grün abzugrenzen. Denn auch mit SPD und Grünen wird kein wirklicher Politikwechsel stattfinden. Sie buhlen beide um die CDU. Letztlich werden wir alle herausfordern, wir stehen für eine andere Politik.

"Die besten Ideen sollen entscheiden"

Falls die Piraten in den Bundestag kommen sollten, müssten Sie sich womöglich dann doch für eine Konstellation entscheiden.

Ich finde nicht, dass wir sofort Koalitionsbündnisse eingehen müssen. Die Piraten sollten versuchen, themenorientiert zu arbeiten. Die besten Ideen sollen entscheiden, nicht der Parteiproporz.

Das heißt, sie verzichten auf einen Politikwechsel?

Wenn Sie Politikwechsel verbinden mit dem Eingehen von Koalitionen, dann ja.

Für den Bundesvorstand der Piraten, also auch für sich, haben Sie kürzlich deutlich einen politischen Führungsanspruch reklamiert. Gilt das noch?

Ja, klar. Ich möchte, dass wir im spätestens im April ein Team präsentieren mit Frauen, Männern, neuen Talenten und Herausforderern. Diese Kandidaten für den Bundestag sollen die Möglichkeit haben, auch eigenverantwortlich Position beziehen zu können. Ohne die notwendige Rückkoppelung mit den Mitgliedern zu vergessen.

Das ist ein Bruch mit einem Grundprinzip der Piraten: Die Basis entscheidet alles!

Das ist wahr. Aber als Vorsitzender muss ich die Weiterentwicklung der Partei anregen. Die Diskussion tut der Partei gut.

Glauben Sie tatsächlich, dass Sie damit durchkommen?

Es gibt Gruppen in der Partei, die Kritik äußern, aber ich weiß die Mehrheit der Mitglieder hinter mir. Ich bekomme mehrheitlich stilles Lob.

Was ist eigentlich, wenn Sie die Bundestagswahl verlieren?

Dann machen wir natürlich weiter. Mich ärgert manchmal, dass manche Piraten die Sache sehr verbissen sehen. Uns soll Politik Spaß machen, auch wenn wir mal verlieren. Das sollte man nach außen zeigen. Ich glaube, damit gewinnt man Sympathie.

Sie sagten einmal, Sie seien kein Politiker. Was sind Sie denn dann?

Anders als die Vollerwerbspolitiker in den Konkurrenzparteien verdiene ich kein Geld mit der Politik. Aber ich kann mittlerweile selbstbewusst genug sagen: Ja, ich bin auch ein Politiker. Ich kann damit umgehen. Es bringt mich nicht um.

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