Parteitag der Linken:Wie sich eine Partei selbst ins Abseits stellt

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Morgen kommt die Linke zusammen, um sich ein neues Programm zu geben. Es werden sich darin viele Deutungen finden für die Krisen in der Welt. Am Ende wird es aber vor allem eine Krise erklären: die der Linken. Damit erübrigt sich das Streben der Sozialdemokraten, die linke Konkurrenz ins Abseits zu drängen. Die Linke stellt sich bereitwillig selbst hinein.

Daniel Brössler

Gewohnt, an Widersprüchen zu leiden, haben die Linken in den vergangenen Jahren erleben müssen, dass zweierlei prächtig zusammengeht: die Krise des Kapitalismus und die Krise ihrer Partei. Empörte ziehen vor die Frankfurter Börse, die Linke trottet hinterher. Unzufriedene sammeln sich unter einer neuen Fahne. Es ist jene der Piraten. Das ist so gekommen, obwohl das Siechtum von Euro, Banken und FDP alles zu bestätigen scheint, wovor Gregor Gysi und Oskar Lafontaine schon immer gewarnt haben.

Obwohl die Krise von Euro, Banken und FDP alles zu bestätigen scheint, wovor Gregor Gysi schon immer gewarnt hat, wird die Wirtschaftslage nicht zur Chance, sondern zur Falle für die Linke. (Foto: dapd)

Ihren eigenen Niedergang in Umfragen und Wahlen deuten die Linken so, dass ihre guten "Inhalte" einfach nicht richtig ankommen beim Bürger - sei es verschuldet von der stumpfen Parteispitze aus Gesine Lötzsch und Klaus Ernst oder, noch einfacher, wegen der Missgunst der Medien. Nun wollen sie gegensteuern: An diesem Freitag kommt die Linke zusammen, um sich ein neues Programm zu geben. Es werden sich darin viele Deutungen finden für die Krisen in der Welt. Am Ende wird es aber vor allem eine Krise erklären: jene der Linken.

Fast alle in der Partei wissen, dass die Linke eine neue Führung braucht. Doch darum wird es diesmal nicht gehen. Dieser Parteitag führt durch Querelen zu den Quellen. Die Linke präsentiert ihren Wesenskern. Zum Geburtsort ihres ersten richtigen Programms hat sie Erfurt bestimmt. 120 Jahre nachdem die SPD dort die Befreiung des Proletariats postuliert hat, will auch die Linke ein "Erfurter Programm". Vom Proletariat wird darin keine Rede sein, wohl aber von der Überwindung des Kapitalismus. Die Linke strebt eine "andere, demokratische Wirtschaftsordnung" an sowie eine Vergesellschaftung von vielem, was groß und wichtig ist in der Wirtschaft. Deutschland soll es, das wird die Botschaft von Erfurt sein, noch einmal versuchen mit dem Sozialismus.

Eben jenem Sozialismus also, den sie seit dem Zusammenschluss von SED-Erben (Ost) und SPD-Flüchtigen (West) nicht mehr im Namen führen will. Als "die Linke" besetzte sie bewusst vage und geschickt jenen politischen Ort, den Lafontaine zuvor als vakant ausgemacht hatte. Ihre Wahlerfolge 2005 und 2009 feierte sie auch als Sprachrohr der Es-war-nicht-alles-schlecht-Klientel im Osten und der Uns-ging-es-nie-schlechter-Kläger im Westen. Von der Wiedereinführung des Sozialismus war zumindest auf Wahlplakaten keine Rede. Es trifft zu, dass Oskar Lafontaine den Linkssozialisten in sich entdeckt hat. Die Wähler aber stimmten überwiegend für den Mann, der einmal saarländischer Ministerpräsident war und SPD-Chef und Finanzminister. Nicht für einen Radikalen.

Das System ist der Fehler

Den Wählern der Piratenpartei wird heute nachgesagt, sie wüssten gar nicht genau, wem sie ihre Stimme gegeben haben. Bis zu einem gewissen Grad trifft das auch auf die früheren Wähler der Linken zu. Ostdeutsche waren sich nicht unbedingt im Klaren darüber, wie sehr die Fusion ihre alte Partei verändern würde. Und Anhänger im Westen glaubten womöglich, eine linkere SPD zu wählen. Es war dies ein Irrtum, auf den Gregor Gysi auf seine Weise aufmerksam machte - mit der notorischen Mahnung, die SPD müsse wieder sozialdemokratisch werden. Die Linken wollten Sozialdemokraten stets vor sich hertreiben, aber nicht selber welche sein. Mit der Rückkehr der SPD in die Opposition und der Verschärfung der Finanzkrise ist diese Strategie des Treibens an ihre Grenzen gestoßen. Die Linken müssen nun ihre eigenen Karten auf den Tisch legen.

Das Wanken der kapitalistischen Volkswirtschaften hat dabei als Katalysator gewirkt. Schneller und konsequenter als sie es vielleicht sonst gewagt hätte, präsentiert die Linke der Öffentlichkeit eine kompromisslos sozialistische Weltdeutung. Die gegenwärtige Krise wird im geschichtlichen Teil des Programmentwurfs zum geradezu zwangsläufigen Ergebnis der kapitalistischen Entwicklung erklärt. Es gibt demnach keine Fehler im System, das System ist der Fehler. Die Linke attackiert den Kapitalismus, aber sie meint auch die Marktwirtschaft. Sie empfiehlt, verkürzt formuliert, einen Sozialismus plus Mittelstand minus Stasi. Die Neuauflage soll natürlich demokratisch funktionieren und ohne die Auswüchse sturer Planwirtschaft. So werden das die Linken in ihrem Erfurter Programm beschließen. Danach müssen sie nur noch Wähler finden, die daran glauben.

So entpuppt sich die Krise, die für eine linke Partei eine Chance sein könnte, als Falle. Sie zwingt die Linke zu grundsätzlichen Bekenntnissen, verleitet sie zu radikalen Antworten und bestärkt sie im Selbstbild als Hüterin der einzigen Wahrheit. Die Abgrenzung von SPD und Grünen wird sie in Erfurt weiter zementieren. Die Linke hat sich für ihr Programm "Haltelinien" ausgedacht, die ihr eine Beteiligung an Regierungen nur unter strengen Voraussetzungen erlauben würden. Dabei wäre das - zumindest in der Bundespolitik - gar nicht nötig gewesen. Für ein Bündnis mit Sozialdemokraten und Grünen steht die Partei nach dem Erfurter Parteitag nicht mehr ernsthaft zur Verfügung. Es ist stets das natürliche Bestreben der Sozialdemokraten gewesen, die neue Konkurrenz ins Abseits zu drängen. Das erübrigt sich. Die Linke stellt sich bereitwillig selbst hinein.

© SZ vom 20.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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