Premier gewinnt Parlamentswahlen in Polen:Tusk schlägt Kaczynski

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Polens Premier Tusk sichert sich eine zweite Amtszeit: Bei den Parlamentswahlen erhält seine proeuropäische Bürgerplattform 37,5 Prozent der Stimmen - und setzt sich überraschend deutlich gegen den konservativen Jaroslaw Kaczynski durch. Allerdings wird auch deutlich, dass Polen gesellschaftlich und politisch zweigeteilt ist.

Thomas Urban, Warschau

Mit deutlich größerem Vorsprung als vorausgesagt ist die proeuropäische und konservative Bürgerplattform (PO) unter Premierminister Donald Tusk als stärkste Partei aus den polnischen Parlamentswahlen am Sonntag hervorgegangen.

Auf die PO entfielen 37,5 Prozent der Stimmen, wie die polnische Wahlkommission am Montagmorgen nach der Auszählung von fast zwei Dritteln der Stimmen mitteilte. Die linksnationale Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), an deren Spitze Tusks Vorgänger Jaroslaw Kaczynski steht, brachte demnach 30,6 Prozent der Wähler hinter sich.

Drei weitere Parteien haben den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft: die antiklerikale und ultraliberale Bewegung zur Unterstützung Janusz Palikots (RPP) mit 9,8 Prozent, die nationalkonservative Bauernpartei (PSL), bislang Juniorpartner in der Koalition mit der PO, mit 9,5 Prozent und das Demokratische Linksbündnis (SLD) mit 8,2 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 48 Prozent, fünf Punkte weniger als bei der Parlamentswahl 2007.

Kommentatoren gingen am Wahlabend von einer Fortsetzung der Koalition von PO und der Bauernpartei PSL aus. Die Zahl der Abgeordnetenmandate beider Parteien reicht den Berechnungen zufolge für die Mehrheit im Parlament mit seinen 360 Abgeordneten aus. Fest steht, dass Tusk der erste polnische Regierungschef seit der Wende von 1989 ist, der für eine zweite Amtszeit gewählt worden ist. Angesichts des überraschend deutlichen Erfolgs der Palikot-Bewegung wurde die Mitwirkung der Protestpartei in der künftigen Regierung ebenfalls nicht ausgeschlossen.

RPP - Partei der sekularen Jugend

Palikot gab allerdings zu verstehen, dass er für eine Beteiligung an einer Koalition einen hohen Preis fordern werde. Er warf seinem früheren Parteichef Tusk vor, von seinen früheren liberalen Positionen abgerückt und aus wahltaktischen Gründen immer mehr ins Konservative abgedriftet zu sein. Auch habe er sein Versprechen nicht gehalten, die Staatsbürokratie abzubauen.

Palikot verlangt eine strenge Trennung von Kirche und Staat, er möchte die finanziellen Mittel für die Bistümer streichen, die Benotung des freiwilligen Religionsunterrichtes in der Schule abschaffen. Auch will er das Abtreibungsverbot lockern sowie künstliche Befruchtung im Reagenzglas, die von den katholischen Bischöfen abgelehnt wird, zulassen. Nach den Umfragen vor der Wahl konnte sich Palikot vor allem auf Wähler unter 30 Jahren stützen. Tusk dagegen hat in dieser Altersgruppe deutlich verloren.

Der Premier hatte auf eine sehr zurückgenommene Wahlkampagne gesetzt, in der er im Gegensatz zu 2007 keine großen Versprechungen machte. Damals hatte seine Parole gelautet, Polen solle ein "zweites Irland" werden. Er verwies nun darauf, dass das Land unter seiner Führung besser als die europäischen Nachbarn durch die internationale Finanzkrise gekommen sei. Allerdings ist in seiner Amtszeit das Haushaltsdefizit von 3,5 auf fast acht Prozent gestiegen.

Der frühere Finanzminister und Präsident der Nationalbank Leszek Balcerowicz, der als "Vater des polnischen Wirtschaftswunders" der neunziger Jahre gilt, hat Tusk deshalb wiederholt öffentlich scharf kritisiert. Noch 2007 hatte sich Balcerowicz im Wahlkampf hinter Tusk gestellt. Nun sagte er diesem einen wirtschaftlichen Einbruch wegen der hohen Staatsverschuldung voraus, die besonders schwer wiege, da der Premier die Privatisierung von Industriekonzernen, Banken, Post, Bahn und der Fluggesellschaft LOT verschleppt habe.

Der Sieg Tusks nimmt ihm auch die Sorge, wegen der Verantwortung der Regierung für das Flugzeugunglück von Smolensk im April 2010 vor den Staatsgerichtshof gestellt zu werden. Genau dies hatte Kaczynski für den Fall angekündigt, dass er wieder eine Regierung werde bilden können. Bei dem Absturz der Regierungsmaschine war sein Zwillingsbruder Lech, der damalige Staatspräsident, an der Spitze einer großen Delegation aus Abgeordneten, Generälen und Geistlichen umgekommen. Kaczynski hatte eine "selbstbewusste Politik" gegenüber der Bundesrepublik und Russland in Aussicht gestellt. Er hatte in der Schlussphase Premier Tusk vorgeworfen, vor den beiden Nachbarstaaten einzuknicken und somit polnische Interessen zu verraten.

Die Wahlen bestätigten erneut die politische Zweiteilung Polens. Während der Norden und der Westen proeuropäisch wählte, somit also Tusk den Rücken stärkte, kann Kaczynski auf die Regionen im Osten und Südosten Polens setzen. Hinter diesem steht auch die Mehrheit der Landbevölkerung, während die Einwohner der Großstädte fast überall der PO am meisten Stimmen gaben.

© SZ vom 10.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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