Öffentlicher Dienst:Schade, wir haben recht

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Was muss die Lehrerin alles können? Und wie schnell kann man genügend neue ausbilden? Deutschunterricht für Flüchtlinge, hier in Potsdam. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Seit Langem beklagt der Beamtenbund, dass der öffentliche Dienst zu wenig Mitarbeiter habe. Jetzt, da all die Flüchtlinge kommen, sieht auch Innenminister Thomas de Maizière das so.

Von Detlef Esslinger, Köln

Zu den Metaphern, die manche Menschen bemühen, um das Flüchtlingsthema in den Griff zu bekommen, sprachlich zumindest, gehören auch die vom Wind. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) steht also vor den Repräsentanten der deutschen Beamtenschaft und erzählt von dem Sachbearbeiter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf); was der vor einem Jahr gesagt habe. Er fühle sich "wie im Zentrum eines Sturms, den keiner hat kommen sehen". Das war, als 200 000 Asylanträge zu bearbeiten waren. Vor Kurzem hat de Maizière nachgefragt, wie der Mann sich denn nun fühle, bei viermal so vielen Anträgen. Die Antwort: "Jetzt ist es wohl ein Orkan." Der Sachbearbeiter habe übrigens gelächelt dabei.

Jedes Jahr im Januar stehen drei Termine im Kalender der Politik. Zuerst das Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart und das Einkönigstreffen der CSU in Kreuth, sodann die Zusammenkunft des Beamtenbundes in Köln unter dem schön altmodischen Titel "Jahrestagung". Die Organisation vertritt 1,3 Millionen Beamte und Angestellte, überwiegend des öffentlichen Dienstes, und der Text des Liedes, der bei ihr zum Vortrag gebracht wird, geht Jahr für Jahr so: Wir haben zu wenig Stellen. Wir werden zu schlecht bezahlt. Trotzdem sind wir sehr, sehr gut. Sonst sagt das immer Klaus Dauderstädt, der Vorsitzende, der sich jedoch zurzeit von einer Operation erholen muss. Also spricht diesmal Willi Russ, sein Vize. Und so einen Text kann auch er. "Trotz der von der Politik verursachten und zu spät erkannten Versäumnisse", sagt Russ, "machen die Kolleginnen und Kollegen einen großartigen Job."

Es ist der übliche Interessenskonflikt zwischen einer Gewerkschaft und einem Arbeitgeber, der hier zum Vorschein kommt. Gewerkschaftern wird nie genug sein, was sie bekommen, und wenn sie deswegen immerzu fordern, hört mitunter keiner mehr richtig zu. Seit Monaten sagen Dauderstädt und Russ, dem öffentlichen Dienst fehlten mindestens 200 000 Stellen. Minister de Maizière hält dem entgegen, was das Flüchtlingsthema betrifft: "Es gibt Entwicklungen, auf die kann man sich nicht ,all inclusive' vorbereiten." Mit anderen Worten: Schimpft mich nicht für die Stellen, die wir bisher nicht brauchten. Freut euch, dass wir die jetzt schaffen.

Immerhin tut der Bund mehr, als bloß "Wir schaffen das" zu sagen. Fürs Bamf sind zusätzliche 1650 Stellen beschlossen; das ist eine Aufstockung um mehr als 50 Prozent. Die Behörde hat zwölf neue Außenstellen bekommen, 40 sind es nun. Es gibt im Bundesetat nun einen Pool für 500 Stellen, um ganz generell Nachwuchs einstellen zu können, noch bevor die Altgedienten in den Ruhestand gegangen sind. Das ist ein Anfang, mehr nicht - erstens, weil 1650 neue Leute fürs Bamf ja nicht eingestellt sind in dem Moment, da sie beschlossen sind; zweitens, weil vor der Schaffung weiterer Stellen erst einmal ein paar Debatten zu führen sind: zum Beispiel, ob es "für eine begrenzte Zeit nötig sein kann, manche Anforderung an die berufliche Qualifikation abzusenken". De Maizière sagt das, weil Lehrer für Flüchtlinge viel schneller benötigt werden, als sie nach den hergebrachten Grundsätzen des deutschen Staatsexamenswesens ausgebildet werden können. Außerdem fände er es gut, "dass wir nicht zuerst fragen, welche Vorschrift uns behindert", sondern dass man sich andersherum an die Arbeit mache: die Aufgabe lösen und die Mittel dazu finden, "unter Beachtung von wirklich gebotenen Standards natürlich".

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am Montag beim Beamtenbund in Köln: Er dachte laut darüber nach, "manche Anforderungen an die berufliche Qualifikation anzusenken". (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Was die Beamten davon halten, lässt sich in Köln allenfalls am Beifall ablesen. Der Beamtenbund ist zwar eine Gewerkschaft, aber mindestens zwei Dinge unterscheiden seine Jahrestagung zum Beispiel von einem Verdi-Kongress: Delegierte in ärmelloser Kunstlederjacke gibt es keine; es dominiert der gedeckte Anzug (respektive der Hosenanzug, bei den wenigen Frauen). Und gesprochen wird ausschließlich oben auf der Bühne; die Delegierten äußern ihre Meinung, indem sie viel klatschen, ein bisschen klatschen oder gar nicht klatschen. Bei de Maizières Satz mit Vorschriften, die behindern: ein bisschen. Bei Willi Russ' Satz, dass sie einen großartigen Job machen: stärker. Bei dessen Forderung, endlich wieder ein "einheitliches Besoldungsniveau" für die Beamten in allen Ländern zu schaffen: richtig stark.

Der Vize des Beamtenbunds sagt, es sei bitter, dass immer nach traurigen Ereignissen - er meint Silvester in Köln - die Forderungen nach mehr Personal laut würden. "Uns wäre es lieber, wir hätten mit unseren Befürchtungen nicht so oft recht." Und natürlich verlangt er, dass die künftigen Kollegen unbefristet eingestellt werden; wie solle der Staat denn andernfalls "die Besten" bekommen? De Maizière widerspricht. Er will keine unbefristeten Stellen schaffen "für die Abarbeitung von Asylanträgen, von denen wir wollen, dass sie nicht so hoch bleiben". So muss ein Dienstherr das sagen. Und ein Gewerkschafter darf ihm dabei niemals zustimmen.

© SZ vom 12.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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