NSU-Prozess:Erfundenes NSU-Opfer: Anwalt wegen Betrugs angeklagt

Nagelbombenanschlag 2004 in Köln: Bei dem Anschlag der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) wurden 22 Menschen verletzt.

22 Menschen waren 2004 beim Nagelbombenanschlag in Köln verletzt worden.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)
  • 211 000 Euro hat der Anwalt eines Phantomopfers vom Oberlandesgericht München für seine Teilnahme am NSU-Prozess erhalten.
  • Die Staatsanwaltschaft Aachen hat gegen den Anwalt nun Anklage wegen Betrugs in einem besonders schweren Fall und Urkundenfälschung erhoben.
  • Vorwürfe gegen W. gibt es auch im Zusammenhang mit dem Loveparade-Prozess.

Von Wiebke Ramm

Im Skandal um ein erfundenes Opfer im NSU-Prozess hat die Staatsanwaltschaft Aachen Anklage gegen einen Anwalt aus Eschweiler erhoben. Der Anwalt, Ralph W., vertrat im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München zweieinhalb Jahre lang ein angebliches Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße, das es tatsächlich nie gegeben hat. Im Herbst 2015 flog der Schwindel auf. Die Staatsanwaltschaft erhebt am 17. März nun Anklage wegen Betrugs in einem besonders schweren Fall und Urkundenfälschung gegen Anwalt W., wie ein Sprecher des Landgerichts Aachen bestätigte.

Anwalt W. hat vom Oberlandesgericht München gut 211 000 Euro für Reisekosten und Vorschüsse auf Sitzungsgebühren für seine Teilnahme am NSU-Prozess erhalten. Wegen der Höhe der Summe lautet der Vorwurf Betrug in einem besonders schweren Fall. Da W. zudem einen Arztbericht gefälscht haben soll, um die Existenz des angeblichen Opfers zu belegen, ist er wegen Urkundenfälschung angeklagt. Ralph W. bestreitet alle Vorwürfe. Nun muss die 9. Große Strafkammer des Landgerichts Aachen über die Zulassung der Anklage entscheiden. Besonders schwerer Betrug wird mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren bestraft.

In der Anklageschrift wird W. noch ein weiterer Vorwurf gemacht, nicht im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess, sondern mit dem Loveparade-Prozess vor dem Landgericht Duisburg. Ralph W. soll der Mutter und Schwester eines vermeintlichen Opfers eine falsche eidesstattliche Versicherung zur Unterschrift vorgelegt haben, in der massive Schlafstörungen seines Mandanten behauptet werden. Nach Angaben des Aachener Gerichtssprechers haben die beiden Frauen das Dokument unterschrieben, weswegen auch ihnen ein Verfahren droht.

W. habe den Antrag auf Zulassung der Nebenklage im Loveparade-Prozess wieder zurückgenommen, nachdem die Staatsanwaltschaft auf Widersprüche hingewiesen hatte, sagte der Gerichtssprecher. Dennoch ist W. nun auch wegen falscher Versicherung an Eides statt angeklagt.

Darüber hinaus soll W. ein weiteres Opfer der Loveparade-Katastrophe zu einer Blankovollmacht überredet haben, die er ohne Wissen der Frau an einen Kollegen weitergegeben habe. Auch in diesem Fall sei der Antrag auf Zulassung zur Nebenklage von dem Anwalt selbst zurückgezogen worden, nachdem Unstimmigkeiten aufgefallen seien.

"Der Anklage werden wir gänzlich entgegentreten", teilte Ralph W.s Verteidiger, Peter Nickel, am Donnerstag gegenüber der Süddeutschen Zeitung mit. Bereits Ende 2017 hatte Nickel gegenüber der SZ gesagt, Ralph W. habe nicht gewusst, dass es seine Mandantin im NSU-Prozess gar nicht gibt. Ihm sei das Mandat vermittelt worden und er habe sich darauf verlassen, dass die Frau namens Meral Keskin existiert.

Der mittlerweile verstorbene angebliche Vermittler, Atilla Ö., wurde bei dem Kölner Bombenanschlag tatsächlich verletzt. Gegenüber den Ermittlern hatte Ö. ausgesagt, W. habe sehr wohl gewusst, dass es Meral Keskin nicht gibt. Ö. hat nach SZ-Informationen auch bestritten, von W. die 5000 Euro erhalten zu haben, die die Bundesrepublik an mehrere NSU-Opfer und auch an das Phantom Meral Keskin als sogenannte Härteleistung gezahlt hat. Verteidiger Nickel sagte hingegen, W. habe das Geld "an Herrn Ö. zur Weiterleitung an Frau Meral Keskin übergeben". Anwalt W. will Ö. auch eine Provision für die Vermittlung des Mandats gezahlt haben.

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