André E. macht sich Sorgen. Im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München gibt sich der 38-jährige Angeklagte seit Jahren betont unbeeindruckt. Er schweigt und grinst. Doch ein Vorgang hinter den Kulissen offenbart nun, dass auch dem mutmaßlichen NSU-Helfer langsam schwant, dass ihm wegen Beihilfe zum versuchten Mord viele Jahre Gefängnis drohen.
Nach mehr als 410 Verhandlungstagen und fast fünf Jahren Prozess will André E. einen neuen, einen dritten Verteidiger: Björn Clemens aus Düsseldorf. Clemens kennt sich aus in der rechten Szene. Er war stellvertretender Bundesvorsitzender der "Republikaner" und verließ die Partei, als er mit seinem Kurs der Annäherung an die NPD scheiterte. Clemens hat auch in einem Koblenzer Neonazi-Prozess verteidigt, der nach fast fünf Jahren und unzähligen Beweis- und Befangenheitsanträgen platzte, weil der Vorsitzende Richter die Pensionsgrenze erreichte und es keinen Ergänzungsrichter mehr gab. Diesen Verteidiger hätte André E. gern an seiner Seite. Richter Manfred Götzl hat ihm jetzt eine Abfuhr erteilt.
Die Untersuchungshaft hat André E. kalt erwischt
Der Vorgang zeigt auch: Offenbar ist André E. mit der Arbeit seiner Berliner Anwälte, Herbert Hedrich und Michael Kaiser, nicht mehr zufrieden. Die beiden Verteidiger halten es im Prozess zumeist wie ihr Mandant: Sie schweigen. André E. scheint das nicht mehr zu reichen.
Die Untersuchungshaft, in der André E. seit sechs Monaten wegen Fluchtgefahr sitzt, hat ihn kalt erwischt. Das geht aus dem Schreiben hervor, mit dem der Düsseldorfer Anwalt Clemens vergangene Woche seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt hat. André E. sei durch die Inhaftierung "unerwartet" zu einer "zentralen Figur" im Prozess geworden, während er zuvor als "Randfigur" auf einem Freispruch habe hoffen dürfen, schreibt Clemens.
Clemens begründet seinen Antrag auf Beiordnung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz. André E. sitzt nun wie Beate Zschäpe und der Mitangeklagte Ralf Wohlleben in Untersuchungshaft. Und da Zschäpe vier Pflichtverteidiger hat und Wohlleben drei, stünden auch André E. drei Pflichtverteidiger zu. Clemens führt auch einen gesteigerten Arbeitsaufwand an, der durch die Betreuung eines Untersuchungshäftlings entstünde - nicht ohne zu erwähnen, dass er selbst im April kaum Zeit habe und erst ab Mai häufiger am NSU-Prozess teilnehmen könne.
E. soll dem NSU unter anderem das Wohnmobil gemietet haben
Richter Götzl überzeugt das nicht. Die Bundesanwaltschaft hat längst plädiert, die Nebenklagevertreter und Nebenkläger auch, die Plädoyers der Verteidiger "stehen unmittelbar bevor" und konnten nur wegen Zschäpes Erkrankung noch nicht beginnen, heißt es in Götzls Verfügung von Donnerstag. Wozu E. nun noch einen dritten Verteidiger braucht, zumal einen, der die gesamte Beweisaufnahme und fünf Jahre Prozess verpasst hat, erschließt sich Götzl nicht. Antrag abgelehnt.
André E. war enger Vertrauter von Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Er ging in ihrem Versteck im Untergrund ein und aus. Nicht André E., sondern Zschäpe hat verraten, dass er von den Raubüberfällen wusste. Dass ihm auch die Morde und Bombenanschläge des NSU bekannt waren, davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt. E. soll den Rechtsterroristen unter anderem das Wohnmobil gemietet haben, mit dem sie nach Köln fuhren, um den Bombenanschlag in der Probsteigasse zu verüben. Den toten Serienmördern Mundlos und Böhnhardt richtete E. in seinem Wohnzimmer eine Art Altar ein - mit selbst gemalten Porträts und dem Schriftzug "Unvergessen". Die Bundesanwaltschaft nennt es "eine geständnisgleiche Wohnzimmergestaltung".
Am 10. April soll der NSU-Prozess nach einer zweiwöchigen Osterpause fortgesetzt werden.