Neue Snowden-Dokumente:NSA speichert intime Details normaler US-Bürger

NSA

Dokumente von Whistleblower Edward Snowden zeigen: Die NSA speicherte auch intime Details aus dem Privatleben ganz normaler Amerikaner.

(Foto: dpa)

Neun von zehn Menschen, die von der NSA ausgespäht wurden, waren gewöhnliche Menschen. Laut Dokumenten von Edward Snowden speicherte der Geheimdienst dennoch Bewerbungsschreiben, Babyfotos und pikante Liebes-Chats.

Von Tobias Dorfer

Sie war 29 Jahre alt, frisch geschieden und gerade zum Islam konvertiert. Er war drei Jahre jünger, aufgewachsen in Australien und träumte von einer Rückkehr nach Afghanistan, dem Land seiner Eltern. Sie verliebten sich. Eines Tages stieg er, ohne sie zu informieren, in ein Flugzeug nach Kandahar. Sie schrieb ihm Liebesnachrichten auf Facebook. Er blieb cool. Er sagte, er wolle sie heiraten, sie solle ihm die Zugangsdaten ihres Facebook-Accounts geben. Sie verneinte: "Ich mag es nicht, wenn andere Menschen über mein Privatleben Bescheid wissen."

Im Rückblick erscheinen diese Bedenken aus dem Jahr 2012 wie Ironie. Denn was die junge Frau vor zwei Jahren nicht ahnen konnte, war, dass viele Menschen Einblick in ihr Privatleben bekamen. Der amerikanische Geheimdienst NSA schnitt die gesamte Konversation zwischen ihr und ihrem damaligen Bekannten mit. Alleine 800 Seiten Belege für diese eine unglückliche Liebesgeschichte finden sich in einem Datensatz, in den Whistleblower Edward Snowden der Washington Post nun Einblick gewährt hat.

Monatelang hat die Washington Post 160.000 E-Mails und Kurznachrichten sowie mehrere tausend weitere elektronische Dokumente, die von der NSA während der ersten Amtszeit von US-Präsident Barack Obama gesammelt worden waren, ausgewertet. Das Ergebnis: Massenhaft gewöhnliche amerikanische Internetnutzer wurden von der NSA ausgespäht. Nicht nur Metadaten, etwa über Chats oder E-Mails, wurden gesammelt - sondern konkrete Inhalte, intime Details aus dem Privatleben unbescholtener Bürger. Neun von zehn der erfassten Internetnutzer waren "nicht die erwünschten Überwachungsziele, aber in einem Netz gefangen, das für jemand anderen ausgeworfen wurde", schreibt die Zeitung.

Die neuesten Enthüllungen zeigen deutlich: Die Mechanismen, die Staatsbürger der USA vor ungerechtfertigter Überwachung schützen sollen, funktionieren nicht so, wie sie eigentlich (selbst den Vorgaben der US-Geheimdienste zufolge) sollten.

Denn eigentlich darf die NSA ausschließlich Ausländer überwachen, die sich nicht in den USA befinden. Will der Geheimdienst dennoch eigene Staatsbürger observieren, muss ein hinreichender Verdacht bestehen, dass der zu Überwachende beispielsweise Kontakt zu einer terroristischen Vereinigung hat. Dann muss der Plan vom United States Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC) genehmigt werden. Daten von nicht verdächtigen amerikanischen Staatsbürgern, die zufällig erhoben werden, müssen "maskiert", also unkenntlich gemacht werden.

Zufällig im Visier des Geheimdiensts

Wie dies in der Praxis funktioniert, zeigen die aktuellen Enthüllungen der Washington Post. Mehr als 65.000 Referenzen hätten die Geheimdienst-Schnüffler demnach unkenntlich gemacht, um die Privatsphäre von US-Bürgern zu schützen. Allerdings fänden sich in den Daten auch 900 E-Mail-Adressen, die zu identifizieren waren. Offensichtlich grundlos wurden die Privatleben von mehr als 10.000 Amerikanern mitverfolgt und katalogisiert. Neben Liebesbriefen und Bewerbungsschreiben tauchen in den Snowden-Dokumenten auch Fotos von Kleinkindern in der Badewanne auf oder von Frauen, die im Bikini vor der Kamera posieren. Gekennzeichnet sind derartige Dokumente häufig mit "nutzlos".

Dass diese Daten von NSA-Schnüfflern abgegriffen wurden, war nicht selten einem Zufall zu verdanken. Es reichte schon, wenn sich Menschen im selben Chatroom wie ein Verdächtiger aufhielten. Selbst Nutzer, die in diesen Chatrooms nicht selbst schrieben, sondern nur beobachteten, wurden demnach observiert. In anderen Fällen reichte die IP-Adresse eines Computerservers aus, der von hunderten Internetsurfern genutzt wurde, um alle zu überwachen - auch, wenn darunter nur ein Verdächtiger war.

Mitunter schlugen die Alarmsysteme der Geheimdienstler schon dann an, wenn ein Internetnutzer nicht auf Englisch kommunizierte oder wenn er mit einer IP-Adresse im Netz unterwegs war, die einem ausländischen Standort zugeordnet werden konnte. Dabei gibt es Millionen Internetnutzer, die mit sogenanten Proxy-Servern ausländische Internet-Adressen vortäuschen.

Snowden sagte, diese Art der Überwachung würde die "Linie der Verhältnismäßigkeit überschreiten". Wenn der Staat Liebesbriefe und Babybilder speichere, sei dies höchst gefährlich. "Wer weiß, wie diese Informationen in der Zukunft genutzt werden?"

In den Dokumenten findet sich allerdings nicht nur Intimes aus dem Privatleben gewöhnlicher Amerikaner. Die Washington Post berichtet auch, allerdings ohne konkrete Details zu nennen, über ein geheimes Atomprojekt im Ausland, das doppelte Spiel eines vermeintlich Verbündeten sowie die Identitäten von Hackern, die US-Netzwerke angriffen. Außerdem führten die Ermittlungen zu der Ergreifung von mehreren gesuchten Terrorverdächtigen - unter ihnen Umar Patek, der im Januar 2011 im pakistanischen Abbottabad festgenommen wurde. Er war 2002 an den Bombenanschlägen auf Bali beteiligt.

Mit Material von AFP.

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