Nachruf auf "Bommi" Baumann:Lust und Ekstase und Revolution

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12. April 1968: Demonstranten am Tag nach dem Attentat auf Rudi Dutschke. Wie zuvor die Ermordung von Benno Ohnesorg politisierte dieses Ereignis die linke Szene in Westdeutschland. (Foto: AP)

Er war ein Straßenkämpfer, und wie: Zum Tode von "Bommi" Baumann, dem am Ende die Rückkehr in eine Gesellschaft gelang, die er immer bekämpft hatte.

Von Willi Winkler

Michael Baumann war von Anfang an dabei und gehörte doch nie dazu. Als der Rechtsanwalt Horst Mahler noch Abschreibungsmodelle für westdeutsche Anleger betreute und die Journalistin Ulrike Meinhof sich am Strand von Sylt umschwärmen ließ, hatte er längst abgeschlossen mit der Gesellschaft. Bereits am ersten Tag als Lehrling befürchtete er, diese Arbeit jetzt 50 Jahre machen zu müssen. "Ich habe immer eine Möglichkeit gesucht, dem zu entkommen." Er schaffte es, immer wieder.

Mit zwölf Jahren war er 1959 aus dem Osten in den Westteil Berlins umgezogen, lernte Betonbauer und rannte doch ständig gegen die Verhältnisse an, die ihm nur versteinert vorkommen konnten. Schnaps half (dem Bommerlunder verdankte er angeblich seinen Spitznamen "Bommi"), die eine oder andere Pille, am meisten die Musik, die vom amerikanischen Soldatensender AFN kam, eine "reine Körpergeschichte", auch eine von Gewalt. Als die Rolling Stones 1965 nach Berlin kamen, hatte Baumann die Botschaft von "Satisfaction" verstanden, dass es so schwer sei, sich mit den bestehenden Verhältnissen abzufinden. Mit ein paar Hundert anderen, die sich den Eintritt nicht leisten konnten, schlug er die Waldbühne kurz und klein.

Dieser jederzeit gewaltbereite, dieser waschechte Proletarier musste die Intellektuellen faszinieren, die sich 1967 zur Kommune 1 formierten. Baumann trug die Haare am längsten, er konnte Stoff besorgen und hatte keine Angst vor der Polizei. Dieter Kunzelmann und Rainer Langhans durchsuchten jeden Tag die Zeitungen nach dem Niederschlag ihrer politischen Aktionen, aber Baumann überbot sie ohne Mühe, als er wegen der hundert Autoreifen verhaftet wurde, die er angeblich aus Protest gegen die Gesellschaft zerstochen hatte, und ins Gefängnis ging.

Die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg durch die Berliner Polizei am 2. Juni 1967 radikalisierte Baumann genauso wie seine intellektuellen Freunde, und wie sie fiel er auf den anderen Proletarier herein, auf Peter Urbach, der im Auftrag des Berliner Verfassungsschutzes Brandbomben in die Szene brachte. Eine davon wurde am 9. November 1969 im Auftrag Kunzelmanns im Jüdischen Gemeindehaus platziert und sollte eine deutsche Guerilla befeuern (sie explodierte jedoch nicht). Als Mahler und Meinhof im Jahr darauf als Gegenprogramm die Rote Armee Fraktion (RAF) gründeten, wollte Baumann nichts damit zu tun haben. "Da steht rigides Studententum für mich dahinter, das ist die totale Lustfeindlichkeit. Da fehlt jede Ekstase, ohne die eine Revolution gar nicht laufen kann."

Die Revolution war nur eine kurze Illusion, Baumann kein Politiker, er wollte nur leben, wie es ihm gefiel. So fand er sich bei den "Freischweifenden Haschrebellen", aus denen die "Bewegung 2. Juni" hervorging, die schon im Namen an das Datum von Ohnesorgs Erschießung erinnerte. Auch das war eine terroristische Vereinigung, aber sie wollte proletarisch sein und nicht umständlich mit Marx und Mao gegen die Gesellschaft ankämpfen, sondern kaputt machen, was sie kaputt machte.

Nach etlichen Banküberfällen und Bombenanschlägen, bei denen es bald den ersten Toten gab, stieg Baumann zu seinem Glück aus. In einer Schießerei mit der Polizei war neben ihm Georg von Rauch gestorben. "Freunde, schmeißt die Knarre weg", forderte er 1974 im Spiegel und war fortan als Verräter markiert. Dabei wussten die Freunde noch gar nicht, dass er schon vorher der Stasi, die den westdeutschen Terrorismus zu der Zeit fürchtete wie der Teufel das Weihwasser, bereitwillig Auskunft über den militanten Untergrund gegeben hatte. Ulrike Meinhof vertrete einen "überspannten Antifaschismus", verriet er, Andreas Baader sei ein "Spinner mit völlig infantilem Verhalten", Gudrun Ensslin natürlich wieder "lustfeindlich", aber "sehr fleißig und ordentlich, alles in allem die treibende Kraft der RAF auch auf den illegalen Kurs hin". Da war die RAF nicht anders als ihr Zwilling vom 2. Juni bereits rettungslos in ihren absurden Kampf gegen den Staat verstrickt.

Er rief dazu auf, die Waffen niederzulegen - mit der Folge, dass sich die RAF im Wahn verlor

Dem Proletarier Baumann war das früher klar als vielen anderen. Sein Aufruf, die Waffen niederzulegen, war entscheidend dafür, dass sich die RAF tatsächlich im endlosen Wahn verlor. Seine Kapitulation bedeutete auch ein Sakrileg, aber Baumann verstand sich als Straßenkämpfer, nicht jedoch als Mörder. Deshalb wollte er seinen Freund Georg von Rauch auch nicht als Polizeiopfer dastehen lassen: "Er war genau der Typ, der gesagt hat, klar wir schießen."

Im Gespräch mit dem Filmemacher Harun Farocki entstand 1975 sein Bericht "Wie alles anfing". Das Buch erschien im Münchner Trikont-Verlag und wurde wegen angeblicher Gewaltverherrlichung immer wieder verboten. Schriftsteller und auch Verleger von Hans Magnus Enzensberger bis Alfred Neven DuMont setzten sich dafür ein, dass es doch über dem Ladentisch verkauft werden durfte. Das Buch wurde sofort raubgedruckt, in mehrere Sprachen übersetzt, und in New York kam ein darauf basierendes Theaterstück heraus, an dem die Schauspieler Val Kilmer und Linda Kozlowski ("Crocodile Dundee") mitwirkten.

Für Bommi Baumann ging die Revolution in der Drogenwelt weiter. Wahrscheinlich hat sein Körper ähnlich viele Suchtstoffe verarbeiten müssen wie der von Keith Richards, aber zuletzt gelang ihm ausgerechnet als Bauunternehmer die Rückkehr in die Gesellschaft, die er nur immer bekämpft hatte. Vor fünf Jahren beim Prozess gegen Verena Becker in Stuttgart kam es dann zu einer der seltsamsten Begegnungen in dieser unseligen Gewaltgeschichte. Michael Buback, der Sohn des von der RAF ermordeten Generalbundesanwalts, traf mit Baumann zusammen: der würdige Herr, der Verena Becker für die Mörderin seines Vaters hält, besprach sich mit einem unverbesserlichen Hippie mit edwardinischem Backenbart und Fedora, der Verena Becker einst für die "Bewegung 2. Juni" angeworben hatte. Am Dienstag ist der lebenslange Freischärler Michael Baumann im Alter von 68 Jahren in Berlin gestorben.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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