Mittelmeer:Das Drama der Flüchtlinge verstehen

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Besuch im Mittelmeer: Matteo Renzi, Federica Mogherini und Ban Ki Moon (v.l.n.r.) (Foto: REUTERS)

Italien macht Ban Ki Moon mit der Not der Flüchtlinge bekannt - und nimmt ihn mit auf eine Reise ins Mittelmeer. Doch dem UN-Generalsekretär missfällt der Ansatz des italienischen Premiers Matteo Renzi.

Von Oliver Meiler, Rom

Italien liegt viel daran, dass die Welt weiß, was es für die Flüchtlinge im Mittelmeer tut, wie es Verzweifelten hilft, sie aus Seenot rettet, sie aufnimmt. Und so dachte sich der italienische Premier Matteo Renzi, dass ein Besuch vor Ort mehr bringen würde als viele Worte und Klagen.

Renzi lud den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, am Montag zu einer Reise zur Straße von Sizilien ein, zur Kreuzung zwischen Nordafrika und dem südlichen Europa. Damit Ban das "Drama im Mittelmeer", wie Renzi es nannte, auch in der ganzen Breite verstehe. Sie überflogen die Gewässer und landeten dann auf dem Helikopterträger San Giusto, der früher in vielen Militäroperationen erprobt wurde und nun vor allem für humanitäre Zwecke eingesetzt wird. Eingeladen war auch Federica Mogherini, die Chefin der europäischen Diplomatie. Mogherini ist Italienerin, sie musste nicht sensibilisiert werden.

Ban missfällt der militärische Ansatz

Auch Ban Ki Moon anerkennt die Verdienste Italiens im Umgang mit dem Notstand - grundsätzlich wenigstens. Unterschiedlicher Meinung ist man aber bei den konkreten Fragen, vor allem bei jenen zum Kampf gegen die Schlepperbanden. Italien drängt die internationale Gemeinschaft dazu, eine Mission zu billigen, wenn möglich eingerahmt von einer UN-Resolution, dank der man juristisch einwandfrei die leeren Boote der Schlepper an Libyens unkontrollierten Küsten bombardieren und zerstören könnte.

Renzi warb schon in London, Berlin und Madrid für die Idee einer "internationalen Polizeioperation". Er nennt sie so, obschon dafür militärische Mittel eingesetzt würden, und erinnert dabei gerne an die EU-Operation " Atalanta" im Indischen Ozean gegen die somalischen Piraten.

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Ban Ki Moon missfällt der militärische Ansatz: "Es gibt keine militärische Lösung für die Tragödien im Mittelmeer", sagte der Südkoreaner in einem Interview der Zeitung La Stampa. Er plädierte stattdessen für eine umfassende Herangehensweise. In erster Linie gehe es darum, sagte Ban, Leben zu retten, die Rechte der Flüchtlinge zu schützen und Kanäle für die legale Einwanderung zu schaffen. Den Italienern geht das alles zu langsam, zumal der Strom nicht abreißt und die Auffanglager auf Lampedusa und Sizilien, in Apulien, Kalabrien und Latium voll sind.

In der italienischen Öffentlichkeit wird vor allem die zögerliche und angeblich unsolidarische Haltung der EU-Partnerstaaten kritisiert. Die jüngsten Beschlüsse Brüssels zur Aufstockung von Budget und Flotte der europäischen Grenzschutzmission Triton hält man gemeinhin für unzureichend: "Liebe Herrschaften", schrieb etwa der Corriere della Sera nach dem Gipfel enttäuscht und verärgert an die Adresse der Staats- und Regierungschefs, "Italien ist nicht bereit, untätig zuzuschauen, wie Aberhunderte Menschen im Meer ertrinken. Wir werden also alles unternehmen, um sie zu retten. Aber das kostet viel Geld. Und unsere Mittel sind begrenzt. Wenn Ihr nicht bald mehr unternehmt, als Ihr bisher zu unternehmen bereit wart, dann wird Italien künftig alle Beitragszahlungen an die Union einstellen - auch die ordentlichen."

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Die Zeitung La Repubblica hat gerechnet und kam auf eine Milliarde Euro: So viel muss Italien offenbar allein 2015 aufbringen für Verwaltung des Zustroms und Unterhalt der Flüchtlinge. Die Kosten sind auch hoch, weil die Behörden die große Anzahl von Asylanträgen nicht in vorgesehener Frist behandeln können. So warten viele Flüchtlinge statt maximal 90 Tage neun Monate oder länger auf einen Bescheid.

Unterdessen gelangten am Montag erneut 267 Flüchtlinge nach Italien. Sie waren nahe Libyens Küste in Seenot geraten, von der italienischen Marine gerettet und in die apulische Hafenstadt Taranto gebracht worden. Unter ihnen befanden sich 65 Minderjährige, die Hälfte war ohne Eltern an Bord. Dieses relativ neue Phänomen stellt Italiens Behörden vor weitere Probleme bei Unterbringung und Schutz. An Bord des übervollen Schiffs in Not fand die Marine vier Babys. Eines ist weniger als einen Monat alt.

© SZ vom 28.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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