Merkel und Hollande:Zum Erfolg verdammt

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Wenn an diesem Mittwoch der deutsch-französische Ministerrat tagt, werden Angela Merkel und François Hollande wieder die großen Europäer geben. Nur heiße Luft? Nein, solche Gespräche sind wichtig. Denn ohne Vertrauen zwischen Spree und Seine geht in Brüssel gar nichts.

Ein Kommentar von Christian Wernicke, Paris

Die deutsch-französische Freundschaft wurde über Gräbern begründet. Ikone dieser Erbfreundschaft ist das Foto von 1984: François Mitterrand und Helmut Kohl, Hand in Hand in Verdun. Doch das Bild ist längst angegilbt, in den Augen zu vieler Bürger - Deutscher wie Franzosen - sind die Beziehungen zwischen beiden Nationen so selbstverständlich geworden, dass man die amtlichen Treueschwüre als sterbenslangweilige, ja tote Rituale empfindet.

Und doch, die Freundschaft lebt! Sie muss leben - und sie muss regelmäßig durch Taten am Leben gehalten werden. Denn sonst stürbe auch sehr schnell Europa ab. Zwar sind die Zeiten vorbei, da ein Kompromiss zwischen Paris und Berlin gleichsam automatisch von allen übrigen EU-Partnern huldvoll begrüßt und wortlos abgenickt wurde. Die deutsch-französische Verständigung ist, in der Sprache der Mathematik formuliert, nicht mehr hinreichende, gleichwohl aber noch immer notwendige Bedingung jedweden europäischen Fortschritts. Anders gesagt: Ohne Vertrauen zwischen Spree und Seine geht in Brüssel rein gar nichts.

Deutsche und Franzosen, die historischen Gründer, als Dienstleister für Europas Zukunft - an dieser Rolle mühen sich die Regierungen an diesem Mittwoch erneut ab. In Paris tagt zum 16. Mal der "deutsch-französische Ministerrat". Auf den ersten Blick ist das wieder so ein politbürokratisches Monstrum, das beim Bürger im Verdacht steht, nur heiße Luft zu produzieren. Insgesamt 42 Minister sitzen im Élysée-Palast, um mit Präsident François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel das hohe Lied von der unverbrüchlichen Freundschaft anzustimmen.

Alles nur Singsang? Mitnichten! Zwar werden Merkel und Hollande an diesem 19. Februar 2014 keine Geschichte schreiben. Und viele ihrer Ideen zu Steuerharmonisierung und mehr Forschungskooperation, zu Klima- oder Grenzschutz muten vage und kleinteilig an. Und doch, da wächst und gedeiht etwas. Mit dem Einzug der großen Koalition in die Berliner Ministerien hat eine neue Periode engerer Zusammenarbeit begonnen. Merkel und Hollande wollen und müssen nun mehr als drei Jahre lang miteinander auskommen, sie sind - historisch wie persönlich - zum Erfolg verdammt.

Und tatsächlich, die beiden kommen sich näher. Dass in Berlin nun die SPD mitmischt, macht es für die in Paris regierenden Sozialisten leichter, sich mit den wirtschaftlich übermächtigen Deutschen zu arrangieren. Bisher war das "deutsche Modell" eine Peitsche, mit der in Frankreich die konservative Opposition auf die Regierung eindrosch. Inzwischen kann Hollande darauf verweisen, dass die Bundesrepublik auch vom Nachbarn abguckt, etwa bei der Einführung eines Mindestlohns. Das half ihm, selbst eine Wende zu vollziehen. Hollandes jüngster Kurswechsel hin zu einer Wirtschaftspolitik, die den Spuren von Gerhard Schröders Agenda 2010 folgt, beweist das. Nun regieren in Paris und Berlin zwei "Sozialdemokraten": Der eine hat sich endlich geoutet, die andere bleibt es stillschweigend.

Frankreich und Deutschland können noch mehr voneinander lernen. Im Kleinen, zum Beispiel bei der Berufsausbildung, wie im Größeren, also etwa bei der Idee, gemeinsam ein von USA und NSA weniger abhängiges, "europäisches Internet" aufzubauen. Und sogar ganz Großes könnten diese beiden Nationen zusammen vollbringen: Sie könnten - und sollten - einander beistehen, ihren jeweiligen Platz in der Welt zu finden.

Die Franzosen brauchen noch immer Nachhilfe dabei, sich endlich mit der globalisierten Wirtschaft zu arrangieren. Die Angst vor der "Mondialisation" schüren Linke wie Rechte, die vorgaukeln, die einst Große Nation könne sich auf sich selbst zurückziehen. Frankreich fällt zurück - im Welthandel, bei Investitionen, bei neuen Jobs. Zwar lässt sich das deutsche Exportmodell nicht einfach kopieren, aber es birgt viele Lektionen, wie Frankreich in der Globalisierung gewinnen kann. Und nur über ein geeintes Europa hat man eine Chance, die gefürchtete "Mondialisation" mitzugestalten.

Die Deutschen wiederum brauchen Frankreichs Beistand, um zu lernen, mehr Verantwortung in der Welt zu (er)tragen - sei es im Kampf gegen Terroristen in Nordafrika oder einen drohenden Völkermord nahe des Äquators. Nicht nur der Bundespräsident bemängelt, die eigene Nation würde sich da zu oft wegducken. Auch Paris ist eine Arbeitsteilung leid, in der die Deutschen sich hinter ihrer schrecklichen Geschichte verstecken, derweil Franzosen - auch für europäische und deutsche Interessen - sterben. Dass nun bis zu 250 Bundeswehrsoldaten nach Mali ziehen, ist ein erster Schritt. Mehr müssen folgen.

© SZ vom 19.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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