Merkel, Sarkozy und die Eurokrise:Zwei, die eins sein wollen

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Ein Notfalltreffen jagt das andere, der Euro-Krisengipfel in Brüssel war nur der vorläufige Höhepunkt. Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Sarkozy bemühten sich, Einigkeit zu demonstrieren. Wie einig sie sich wirklich sind, wird sich schon bald zeigen. Der Härtetest naht.

Martin Winter, Brüssel

Der Gipfel lief noch, entschieden war nichts und der Sonntagabend begann sich über Brüssel zu senken, da sorgte das deutsch-französische Paar zumindest kurzzeitig für Entspannung. Seite an Seite traten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy vor die Presse. Verwerfungen zwischen Berlin und Paris? Ach was. Man verstehe sich und ziehe an einem Strang.

"Hallo, Carla": Kanzlerin Merkel telefoniert mit Carla Bruni - und übergibt deren Mann, dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, einen deutschen Markenteddy als Geschenk für deren gemeinsames Kind. (Foto: AP)

Zu bestimmten Einlassungen des Franzosen, etwa als es um die Rekapitalisierung der Banken geht, schwieg Merkel. Es sollte kein Fleck auf das schöne Bild kommen, mit dem die beiden all jene Lügen strafen wollen, die von schweren Auseinandersetzungen zwischen ihnen berichtet und katastrophale Folgen für die EU vorhergesagt hatten.

Und als sei die Demonstration politischer Gemeinsamkeit nicht genug, zeigten sich die beiden auch einmal so ganz privat. Sarkozy berichtet, dass er "Angela" im Aufzug etwas erzählt habe - im Saal denken alle, er habe von seiner gerade geborenen Tochter Giulia gesprochen; oder der Deutschen zumindest ein Bild seines Babys gezeigt.

Aber nein, Sarkozy hat Merkel von dem heldenhaften Kampf der französischen Rugby-Mannschaft berichtet, die an diesem Nachmittag den Neuseeländern im Endspiel der Weltmeisterschaft nur sehr knapp unterlegen war. Sie habe "mitgelitten" gestand Merkel. Aber Zweiter zu werden "in einem Endspiel" sei doch auch ein Anlass zu gratulieren.

Das europäische Endspiel hatte am Samstagabend begonnen und auch die Zahl Zwei spielt dabei eine wichtige Rolle. An diesem Abend versammeln sich um den Tisch des Präsidenten des Europäischen Rates Herman Van Rompuy die deutsche Kanzlerin, der französische Präsident, die Chefs der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds und der Präsident der EU-Kommission.

Es ist die schiere Not, die sie so spät noch zusammenbringt. Wenige Stunden vor dem europäischen Doppelgipfel, der schon seit Tagen mit großen Erwartungen befrachtet wird, müssen die sechs einen Weg finden, Griechenland vor der finalen Katastrophe zu retten, endlich die Finanzmärkte zu beruhigen und den Vertrauensverlust in die Europäische Union zu stoppen. Vor allem aber müssen sie sich untereinander einig werden, wer welches Geld wie und wofür ausgeben darf.

Die Furcht sitzt tief

Nach dem politischen Chaos der vergangenen Tage hatte sich unter den europäischen Regierungen das Gefühl breitgemacht, dass nun etwas geschehen muss. Und dass Frankreich und Deutschland sich endlich einigen müssen. Denn wer, wenn nicht die beiden, könnte die EU retten?

Wie tief die Furcht vor der griechischen Katastrophe und einem möglichen Überschwappen nach Italien, Spanien und vielleicht sogar Frankreich mittlerweile sitzt, ließ sich in diesen Gipfeltagen an der Intensität des Schweigens der Politiker ablesen. Seit Freitag tagen die Finanzminister - mal die 17 der Euro-Gruppe, mal alle 27 zusammen - und allen scheint es die Sprache verschlagen zu haben. Keine Pressekonferenzen, keine Stellungnahmen, nichts. Als ob alle nur darauf warteten, dass der Knoten platzt, dass nun von ganz oben etwas kommt. Und ganz oben ist in diesen Tagen da, wo Merkel und Sarkozy sitzen - jene, die das Geld und die Macht haben, Europa vor dem Abgrund zu retten.

Mit den Schuldensündern Irland und Portugal sind sie ganz zufrieden. Aber Italien! Merkel und Sarkozy rügen gemeinsam Silvio Berlusconi. Mehr müsse er tun, und entschiedener. Wie sich Frankreich und Deutschland das dritte große Gründungsland der EU vornehmen, das ist ein Bild von hoher Symbolkraft. Das gefällt nicht jedem. Das befeuert die Furcht jener, die nicht zu den ganz Wichtigen in der EU gehören, immer unbedeutender zu werden.

Aber gegen diese Furcht lässt sich nun mal kaum etwas machen. In der Krise driftet die EU in Kreise unterschiedlichen Gewichts auseinander: "Die Zwei". "Die Siebzehn". Und "die Siebenundzwanzig". Oder um es in Ländergruppen zu sagen: Frankreich und Deutschland; die 17 Mitglieder der Euro-Zone und die 27 der Gesamt-EU.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk, der gegenwärtig der EU vorsitzt, hat die Zwei und die Siebzehn schon mehrmals gedrängt, die Einheit der EU nicht aus den Augen zu verlieren. Darüber, wie man sich diesem Zerfall der EU in der Krise entgegenstellen könnte, debattierten die europäischen Außenminister, die am Samstag ebenfalls nach Brüssel geeilt waren. Aber das deutsche Drängen, durch eine gezielte Überarbeitung des Lissabon-Vertrags die EU zu stabilisieren, trifft noch nicht auf allzu große Begeisterung. Man will es jetzt prüfen. Das machen aber nicht die 27, sondern die 17.

Und Vertragsänderungen wirken ja bestenfalls mittelfristig. An diesem Sonntag geht es um die Rettung - jetzt. Die Finanzminister der Euro-Gruppe, die seit Tagen fast ununterbrochen miteinander reden, sollen nun bis zum Mittwoch ihre Arbeiten zur Bankenrettung abschließen. Dann werden auch die Regierungschefs der Euro-Zone wieder nach Brüssel reisen, um den Gipfel der 17, der am Sonntagnachmittag auf den Gipfel der 27 folgte, abzuschließen. Und ja, die 27 sind auch eingeladen, sie sollen nicht zu offensichtlich ins Seitenaus gestellt werden.

Bevor sie zu ihren Beratungen verschwinden, die bis tief in die Sonntagnacht dauern, lassen Franzosen und Deutsche durchsickern, dass man schon weit gekommen sei und dass es nun noch um Details gehe. Das brauche eben noch ein paar Tage. Und weil die Finanzmärkte irrational sind und den Gipfel als ein weiteres, schlechtes Zeichen für die Entschlossenheit der Europäer verstehen könnten, wirkt der Auftritt von Merkel und Sarkozy dem Verdacht entgegen, "die Zwei" könnten nicht eins sein. Das zumindest hoffen die beiden.

© SZ vom 24.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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