Merkel in Griechenland:Freundschaft in Gefahr

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Das einst sehr enge Verhältnis zwischen Griechen und Deutschen ist zerrüttet. Doch nicht nur das Geld ist daran schuld, sondern auch Medien und Politiker. Merkel muss jetzt in Athen Mitgefühl für das Leid der Griechen zeigen - sonst könnte eine langbewährte Freundschaft an Missverständnissen und Vorurteilen zugrunde gehen.

Petros Markaris

Petros Markaris, geboren 1937 in Istanbul, lebt in Athen und ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten griechischen Schriftsteller. Sein Krimi "Faule Kredite" wurde als das Buch zur Griechenland-Krise gefeiert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt nun in ein Land, das seit den Sechzigerjahren eine sehr enge Freundschaft zu Deutschland gepflegt hat. Das war nicht nur auf Staatsebene so, sondern auch zwischen Deutschen und Griechen. Ich bin 1964 nach Athen gezogen und konnte ziemlich lange nicht begreifen, warum die Griechen sich mit ihren ehemaligen Besatzern besser verstanden haben als mit ihren ehemaligen Befreiern, den Engländern und den Amerikanern.

Dieses freundschaftliche Verhältnis ist aber seit dem Beginn der Krise, wenn nicht zerstört, so doch stark beschädigt. Es gibt dafür mehrere Gründe und es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken.

Der allererste Grund ist das Geld. Geld zerstört die Freundschaft. Das ist eine alte sowie traurige Wahrheit. So lange jedes Land seine eigene Währung hatte, konnte die Freundschaft gedeihen. Deutsche und Griechen interessierten sich nicht dafür, wie der andere mit seinem Geld, beziehungsweise mit seiner Währung, umging. Erst mit der gemeinsamen Währung sieht man, wie groß die Kluft zwischen den beiden Völkern ist.

Da gibt es vor allem einen Unterschied in der Denkweise. Griechenland war seit der Gründung des neugriechischen Staates bis kurz vor zwanzig Jahren ein armes Land. Die Griechen konnten aber mit ihrer Armut ganz gut leben. Sie waren bescheiden und sparsam. Erst seit dem Beitritt Griechenlands in die EWG, also seit Anfang der achtziger Jahre, hat man gemerkt, wie schlecht die Griechen die Verwaltung des Reichtums beherrschten. Seit dem Beitritt Griechenlands in die Europäische Währungsunion ist es noch schlimmer geworden.

Dagegen sind die Deutschen Spezialisten in der Verwaltung des Reichtums. Jetzt isst man aber aus demselben Topf, und die Deutschen können nicht zusehen, wie ein Mitglied der Familie das Geld einfach blind herumschmeißt. Irgendwann kommt dann der Bruch, wie in allen Familien.

Das zweite Problem ist ein Teil der Medien auf beiden Seiten. Ich kann einige deutsche Medien beim besten Willen nicht verstehen. Man kann die Griechen kritisieren, meistens zu Recht. Was erreicht man aber mit Hohn, Erniedrigung und Verachtung? Es ist wahr, die Griechen haben zum großen Teil sich selbst ruiniert. Es ist vor allem ihre eigene Schuld, dass sie in dieser trostlosen Lage gelandet sind. Man kann ihnen helfen, auch wenn man nicht anders kann, oder man kann sie ihrem Schicksal überlassen. Sie zu verhöhnen und zu erniedrigen, ist einfach billig.

Andererseits kann ich aber jene griechischen Medien nicht verstehen, die die Deutschen als Nazis beschimpfen. Wieso waren die Deutschen keine Nazis, als man sie mit offenen Armen empfangen hat, und sind sie erst heute, vierzig Jahre später, zu Nazis geworden?

Die Politiker sind nicht besser, und das ist das dritte Problem. Es hilft kaum, wenn deutsche Politiker fast jeden zweiten Tag eine Aussage über Griechenland zum Besten geben. Es hilft nicht, wenn Herr Schäuble bei jedem Anlass die Griechen belehrt. Aber es ist nicht Herr Schäuble allein. Herr Rösler, Herr Söder und Herr Dobrindt melden sich immer wieder zu Wort. Die Bundeskanzlerin ist vielleicht die einzige Politikerin der deutschen Koalition, die mit Aussagen über Griechenland sparsam umgeht - und wenn sie sich überhaupt äußert, dann in gemäßigtem Ton.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet in Athen kein freundlicher Empfang. (Foto: Bloomberg)

Es hat wenig Sinn, wenn man ununterbrochen davon redet, dass die Griechen zu ihrer Nationalwährung zurückkehren müssen. Solche Entscheidungen setzt man einfach um, wenn es soweit ist. Reden ohne handeln bringt Verunsicherung, nicht nur in Griechenland, sondern in der ganzen Euro-Zone. Es ist ja so, dass mit jedem neuen Sparpaket der Abstand zwischen einer Armut in der Euro-Zone und einer Armut mit der Drachme für die Griechen immer kleiner wird. Die griechischen Politiker reagieren wütend auf diese Aussagen, manchmal sogar hysterisch. Sie minimalisieren ihre eigene Verantwortung und schieben sie lieber den anderen in die Schuhe.

Das führt zu einer weiteren Diskrepanz, die die deutsch-griechische Freundschaft gefährdet. Die Griechen betrachten sich immer als unschuldig und als Opfer. Das ist kein speziell griechisches Charakteristikum, es ist weit verbreitet auf dem ganzen Balkan. Fast alle Balkan-Völker sehen sich als unschuldige Opfer. Es gilt der Satz von Jean-Paul Sartre: "Die Hölle, das sind die anderen."

Die Deutschen ihrerseits sind stolz auf ihre Errungenschaften und wollen, dass die übrigen Europäer, vor allem die Südländer, es ihnen nachmachen. Sie verstehen sich als Vorbild und ignorieren dabei, dass der Süden eine ganz andere Kultur hat. Wir haben das Verständnis für die Kulturdiversität in Europa zu lange vernachlässigt und sehen uns heute damit konfrontiert.

Die Deutschen werden deswegen, und nicht nur in Griechenland, als Schulmeister gesehen, die die anderen als Schüler behandeln. Ich kenne nicht viele Schüler, die Sympathien für ihre Schulmeister hätten. Dazu kommt noch, dass Schulmeister für die Bildung, manchmal auch für die Erziehung gut sind, aber eine schulmeisterhafte Politik funktioniert eben nicht.

Es besteht kein Zweifel, hoffentlich auch für die Deutschen, dass die Griechen sehr stark leiden. Die Arbeitslosigkeit beträgt knapp 23 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit liegt höher als 50 Prozent. Die Selbstmordquote hat um 33 Prozent zugenommen. Es wird trotzdem an Renten und Gehältern weiter gekürzt und es kommen immer neue Steuern dazu. Die Griechen erleben eine sehr harte Zeit. Das Leid ist eine Sache des Gefühls. Mutlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Depression - das alles betrifft die Gefühle der Menschen.

Die deutschen Politiker und Wirtschaftsexperten versuchen, den Griechen die Ursachen ihres Elends zu erklären und ihnen zu sagen, was sie alles falsch gemacht haben. Nun sind aber Erklärungen eine Sache der Vernunft. Man kann aber den Griechen ihr Leid schlecht mit der Vernunft erklären. Das versuchen auch die griechischen Politiker immer, wenn sie neue Sparmaßnahmen durchsetzen, ihre Argumente kommen aber bei der Bevölkerung sehr schlecht an.

Es wäre beiden Seiten sehr geholfen, wenn man den Griechen in ihren Gefühlen ein bisschen Vernunft einflößen würde und den Deutschen in ihrer Vernunft ein bisschen Mitgefühl.

Die Bundeskanzlerin könnte während ihres Besuchs in Athen einen Beitrag dazu leisten. Es wäre doch schade, wenn diese langbewährte Freundschaft an Missverständnissen und Vorurteilen zugrunde ginge.

© SZ vom 09.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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