Madrid:Wenn Merkel auf Orbán trifft

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Ein Kreis, in dem viele sie mit Misstrauen sehen: Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel am Donnerstag beim Kongress der Europäischen Volkspartei in Madrid. (Foto: Francisco Seco/AP)
  • Die Europäische Volkspartei ringt um eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingspolitik.
  • Auf ihrem Kongress am Donnerstag in Madrid zeigt sich: Die ist in weiter Ferne.
  • Für Merkel gibt es Zuspruch - aber auch für den Rechtsaußen Viktor Orbán.

Von Daniel Brössler, Madrid

Jean-Claude Juncker ist es in dem Augenblick vermutlich nicht bewusst, aber neben ihm steht ein Problem. Juncker lächelt freundlich, der junge Mann an seiner Seite ebenso. Juncker hat während des Parteitages der Europäischen Volkspartei (EVP) in Madrid gerade ein bisschen Zeit, was Delegierte dazu nutzen, um Fotos von sich und dem Präsidenten der EU-Kommission schießen zu lassen.

Die EVP ist Europas Machtmaschine - aber durch sie verläuft ein Riss

Gerade also ist Tomáš Zdechovský an der Reihe, 35 Jahre alt, Europaabgeordneter, Christdemokrat und Tscheche. Er halte die europäischen Werte hoch, steht auf seiner Webseite, "Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit". Und so einträchtig beide in die Kamera blicken, zwischen beiden verläuft genau jener Riss, den Europas Christdemokraten auf ihrem Madrider Parteitag zu kaschieren suchen.

Die EVP ist Europas Machtmaschine. Ihr gehören 75 christdemokratische und konservative Parteien aus 40 Ländern an. Sie stellt in der EU sowohl den Rats- als auch den Kommissionspräsidenten. Im EU-Parlament ist ihre Fraktion die größte, 14 der 28 EU-Kommissare gehören ihr an. Es ist ein Verein, der so verschiedene Parteien vereint wie die CDU der Angela Merkel und die Fidesz des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Vielleicht gerade deshalb prangt überall im Madrider Kongresszentrum das Wort "gemeinsam". Doch eine wirklich gemeinsame Linie im Flüchtlingsdrama, der wohl größten Krise der EU, ist das, was die EVP gerade nicht hat.

"Wir müssen gemeinsam diese Industrie stoppen", sagt der tschechische Christdemokrat Zdechovský. Er meint das Schleppergeschäft, und er meint den langen Treck nach Europa. In Tschechien verstehe wirklich niemand, was die EU, aber vor allem was die Merkel da tue. "Ich bin wirklich pro-deutsch eingestellt", versichert Zdechovský. Zum Beweis zeigt er seine neueste Studie. Titel: "Was kann Tschechien in der Wirtschaftspolitik von Deutschland lernen?" Aber für seine Nähe zu Deutschland müsse er sich zu Hause mittlerweile rechtfertigen, das Ansehen Merkels sei im Keller. Und auch er müsse sagen: "Ich verstehe sie nicht."

Nach ihrer Rede zeigt der stehende Applaus, wie stark Merkel trotz allem ist

Merkel trifft am Donnerstagmittag in der Kongresshalle ein und kommt erst einmal ihren Pflichten als Parteitagsdelegierte nach. In einer Wahlkabine macht die CDU-Vorsitzende ihre Kreuze für Vizechefs der EVP und des Schatzmeisters. "Ich bedanke mich für die Stimmabgabe", sagt im Anschluss der zum Schatzmeister ausersehene CSU-Mann Christian Schmidt.

Auch Niedersachsens Ex-Ministerpräsident David McAllister ist da, der neue CDU-Vertreter für den Vizevorsitz. Danach zieht sich Merkel zurück zum Gespräch mit den anderen Regierungschefs. Es geht, natürlich, um die Flüchtlingsfrage. Gesprochen wird über die explosive Lage entlang der Westbalkanroute. Groß ist die Sorge, dass die Lage außer Kontrolle gerät. Nicht zuletzt auf Merkels Initiative hin findet am Sonntag in Brüssel ein Mini-Gipfel statt, der dem kleinen Slowenien helfen soll, dem Chaos Herr zu werden. Wenn an Grenzen in der kriegsgeplagten Region Soldaten aufziehen, dann schrillen in den EU-Hauptstädten die Alarmglocken.

Nun geht es darum, die Regierungschefs des westlichen Balkan an einen Tisch zu bekommen. Gelöst werden sollen ganz praktische Fragen, etwa ein vernünftiger Informationsaustausch. Viel wäre schon gewonnen, wenn der Flüchtlingsstrom so reguliert werden könnte, dass ein kleines Land wie Slowenien nicht überfordert wird. Auch humanitäre Hilfe muss organisiert werden. Merkel wollte das Treffen eigentlich in Berlin abhalten, schließlich aber bot sich Kommissionspräsident Juncker als Ausrichter an.

Die Staaten der Balkanroute, Deutschland und Österreich sind dabei. Nicht aber zum Beispiel Italien - weshalb Premierminister Matteo Renzi sauer sein soll. Das freilich muss Merkel für den Moment nicht kümmern, denn sie befindet sich ja im Kreis der Ihren. Ein Kreis ist das allerdings, in dem viele - um es vorsichtig zu sagen - ihre als Politik der offenen Tür empfundene Politik mit Misstrauen sehen.

Einen verbindlichen Verteilungsmechanismus kann Merkel nicht durchsetzen

Die Folge ist eine Entschließung des Parteitags zur Migrationspolitik, in der für alle Seiten etwas drin ist. "Wir haben die Verpflichtung, denen zu helfen, die des Schutzes bedürfen, aber müssen auch jene zügig zurückschicken, die keinen Anspruch auf internationalen Schutz genießen", heißt es da. Von einem Verteilungsmechanismus, wie Merkel und Juncker ihn forcieren, ist in dem Papier zwar die Rede. Das wichtige Wörtchen "verbindlich" aber konnten die Deutschen nicht durchsetzen.

Den, wie es viele sehen, wichtigsten Punkt nennt der CSU-Delegierte, Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich, noch einmal ganz ausdrücklich: "Wir müssen die europäischen Außengrenzen schützen." Verteilung und Grenzsicherung - das sind die beiden Pole der Diskussion. Die EVP bringe, wendet Manfred Weber, Fraktionschef im Europäischen Parlament und ebenfalls CSU-Politiker, es geschickt ins Positive, "das Spannungsfeld gut zum Ausdruck".

Orbán erntet Applaus, Merkel klatscht nur halbherzig

In anderen Parteienfamilien werde das gar nicht diskutiert. Am Ende ist es dann doch mehr Diskussion, als der Parteitagsregie lieb sein kann. "Europa ist reich und schwach zugleich", sagt der Ungar Orbán, "das ist die gefährlichste mögliche Mischung". Es gebe kein Recht auf ein Leben in Europa für Migranten. Nur, weil man sie nicht als Feinde sehe, heiße das nicht, dass sie nicht zurückgeschickt werden dürften.

Nach der Rede gibt es Applaus, auch aus den Reihen von CDU und CSU. Gequält bewegt auch Merkel die Hände - sechs Mal. Als sie selbst an der Reihe ist, spricht die Kanzlerin den Ungarn zwar nicht direkt an - aber irgendwie doch. Grenzen müssten geschützt werden, Unberechtigte zurückgeschickt werden, sagt sie. Aber: "Jeder, der Europa betritt, hat das Recht, menschlich behandelt zu werden." Europa müsse die Lasten teilen, wie es das in Krisen immer getan habe. Nur gemeinsam werde Europa das schaffen. "Ich bin überzeugt, dass wir die Kraft dazu haben", sagt die Kanzlerin. Als sie geendet hat, zeigt sich, wie stark die Deutsche trotz allem noch ist in der EVP. Sie erhält stehenden Applaus - und länger als der für Orbán ist er auch.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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