Machtwechsel in China:Was Xi Jinping jetzt stemmen muss

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China tauscht seine Führungselite aus, eine neue Funktionärsriege wird die aufstrebende Wirtschaftsmacht regieren. Der designierte Präsident Xi Jinping und seine Parteigenossen übernehmen die Macht zu einer Zeit, in der das Land in tiefen Problemen steckt - von Umweltverschmutzung bis zur grassierenden Korruption.

Sebastian Gierke und Johannes Kuhn

Keine Festtage der Demokratie, sondern wie stets ein Abnick-Kongress: Die Kommunistische Partei Chinas hat ihr neues Zentralkomitee bestimmt - und damit einen Generationswechsel eingeleitet, dem der scheidende Präsident Hu Jintao "weitreichende historische Bedeutung zumisst".

Am Donnerstag entscheidet das Zentralkomitee dann über die Besetzung des Ständigen Ausschusses des Politbüros, das Zentrum der Macht. Blass, unbekannt, ohne große eigene Ideen. Diese Eigenschaften haben hochrangigen KP-Mitgliedern noch nie geschadet, wenn es darum geht, nach oben zu gelangen. Doch genügt es auch dieses Mal?

Der Führung um den Parteichef und künftigen Präsidenten Xi Jinping stehen fünf, wahrscheinlich sogar zehn kräftezehrende Jahre bevor - die Probleme des Mischsystems aus Kapitalismus und Kommunismus bedrohen längst die Stabilität des Landes, die stets als höchstes Ziel der KP-Führung galt.

Welche Probleme Chinas neue Mächtige lösen müssen: Ein Überblick.

[] Sinkendes Wirtschaftswachstum

Auch wenn westliche Nationen weiterhin neidisch auf die chinesischen Wachstumsraten blicken: Die Jahre des Booms sind definitiv vorbei. "Nach 30 Jahren starken Wachstums sind wir nun in einer Zeit der Veränderung", gab sogar jüngst ein Regierungssprecher zu.

Mit hohen Staatsinvestitionen und niedrigen Zinsen konnte die Führung einen Absturz in der Weltfinanzkrise verhindern, doch die daraus resultierende hohe Inflationsrate hat die Behörden dazu gebracht, das Wachstum nun kontrolliert zu verlangsamen. Das soll auch der Umwelt helfen, die unter dem rücksichtslosen Expansionskurs am meisten litt.

Die neue Strategie birgt allerdings Risiken, da so die für die 250 Millionen Wanderarbeiter nötigen Arbeitsplätze gefährdet werden. Weiterhin ist der Binnenkonsum nicht groß genug, um China zumindest teilweise eine Abkopplung von der schwächelnden Wirtschaft des Westens zu erlauben.

[] Soziale Ungleichheit und die aufstrebende Mittelschicht

Während in Großstädten wie Shanghai oder Tianjin die Durchschnittsgehälter mit mehr als 10.000 Dollar in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen sind, leben einer Statistik der Weltbank zufolge 500 Millionen Chinesen weiterhin von weniger als zwei Dollar pro Tag.

Laut einer Studie der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften verdienen Chinesen, die in der Stadt leben, inzwischen durchschnittlich fünf Mal so viel wie die Landbevölkerung. Die Ungleichheit sorgte lange Jahre dafür, dass die Landbevölkerung in die Städte zog, um dort ihr Geld zu verdienen. Inzwischen werden selbst in Staatsmedien Forderungen nach einem nachhaltigen Sozial- und Gesundheitssystem laut. Die sich formierende Mittelschicht sollte eigentlich den Konsum ankurbeln, um die Exportabhängigkeit zu verringern, doch sie spart lieber. Und sie fordert Mitsprache, wenn es zum Beispiel um die grassierende Umweltverschmutzung geht. Auch die Landbevölkerung ist häufig unzufrieden und demonstriert in den Provinzen.

[] Chinas demografischer Wandel

Mehr als 160 Millionen chinesische Familien haben nur ein Kind - die Folgen der staatlich verordneten Ein-Kind-Politik begünstigten den Aufschwung, nun zeigen sich die negativen Folgen: Noch 1980 war die Hälfte der Chinesen 22 Jahre oder jünger; Prognosen zufolge wird der Altersdurchschnitt 2020 den der USA, im Jahr 2030 den Europas übertreffen. Die Zahl der über 60-Jährigen wird von 2015 bis 2030 um 100 Millionen auf 300 Millionen steigen.

Damit fehlt nicht nur der Nachwuchs für den Niedriglohnsektor, auf dem über Jahrzehnte die Wachstumsstrategie beruhte. Auch Akademiker für die entstehenden höherwertigen Jobs werden zur Mangelware. Hinzu kommt eine gigantische Lücke bei der Rentenfinanzierung für die derzeit arbeitende Generation und die fehlende soziale Absicherung von Älteren durch die Familie.

Weil in China Überbevölkerung weiterhin als Grund allen Übels identifiziert wurde, hält das Land an der Ein-Kind-Politik bis mindestens 2015 offiziell fest. Was danach geschieht, ist unklar. Verschärft wird die demografische Lage durch im Land herrschenden Frauenmangel, weil weibliche Föten häufig abgetrieben wurden.

Führungswechsel
:Chinas neue Mächtige

Nur Insider kennen die Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas, die derzeit als Kandidaten für den Ständigen Ausschuss des Politbüros gehandelt werden. Ob Reformer oder Blockierer in Chinas Machtzentrum einziehen, entscheidet über die künftige Strategie der Weltmacht.

im Überblick.

[] Korruption

Korruption hat in China viele Facetten. Dabei geht es nicht um die alltägliche Bestechung von Behörden, sondern um ein Netzwerk der Elite, dessen Mitglieder sich gegenseitig Vorteile verschaffen, wenn es um Investitionsgenehmigungen, Regierungsaufträge oder die Vergabe lukrativer Lizenzen geht.

Immer wieder machten in den vergangenen Jahren Beamte Schlagzeilen, die Gelder aus öffentlichen Mitteln ins Ausland transferierten, um sich dann später mit ihren Familien abzusetzen. Einer Statistik der Zentralbank zufolge sollen auf diese Weise zwischen Mitte der neunziger Jahre und 2008 insgesamt 120 Milliarden US-Dollar veruntreut worden sein. Mit "Luo guan", "nackte Kader", gibt es inzwischen sogar ein geflügeltes Wort dafür.

Zwar betonen Chinas hohe Funktionäre immer wieder, dass Korruption die größte Gefahr für das Land darstellt. Doch ihr eigenes Gebahren ist umstritten: Jüngst fand die New York Times heraus, dass die Familie des scheidenden Ministerpräsidenten Wen Jiabao Vermögenswerte in Höhe von umgerechnet 2,7 Milliarden Dollar angehäuft haben soll (Wen dementiert dies). Bloomberg zufolge soll die Familie des designierten Präsidenten Xi Jinping midestens 136 Millionen Dollar besitzen.

[] Vormachtstellung im Pazifik

Peking modernisiert seit Jahren mit ungeheurem finanziellem Aufwand seine Streitkräfte. Auch deshalb hat Barack Obama Ende 2011 einen Strategiewechsel angekündigt. In Australien ließ er die Welt wissen, dass die USA ihre militärischen Bündnisse im Asien-Pazifik-Raum ausbauen wollen. Er hat das pazifische Zeitalter eingeläutet. Konkret heißt das auch: Mehr Soldaten, mehr Kriegsschiffe, mehr Kampfflugzeuge. Die USA wollen so ihren Einfluss in der strategisch wichtigen Handelsregion verstärken - und sie vor allem nicht China überlassen.

China betrachtet vor allem das Südchinesische Meer als sein Territorium. Dort werden große Mengen an Erdöl und Erdgas vermutet, zudem entstehen dort neue Produktions- und Absatzmärkte. Inzwischen haben auch die USA Interesse an der Region entdeckt und umwerben die Länder Südostasiens. China hingegen pflegt nicht nur intensive wirtschaftliche Beziehungen zu Anrainerstaaten wie Malaysia oder Vietnam, sondern auch ein durchaus gespanntes Verhältnis zu Nationen wie Taiwan und Japan. In den vergangenen Monaten zeigte sich bei den Anti-Japan-Protesten, wie schnell nationalistische Untertöne zu einer Eskalation der Situation führen können.

[] Der Raubbau an der Umwelt

Das rasante aber oft unregulierte Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte hatte für die Umwelt Chinas dramatische Konsequenzen. Noch vor den USA ist das Land weltweit der größte Emittent von Treibhausgasen. Von den 20 meistverschmutzten Städten der Welt liegen 16 in China. Immer häufiger gehen deshalb Chinesen auf die Straße, um gegen die Umweltzerstörung zu protestieren.

Aufgrund der fortschreitenden Umweltzerstörung bekommt China auch ein immer größer werdendes Ressourcenproblem. Sauberes Trinkwasser wird knapp, genau wie Holz und fruchtbarer Boden. Vom Öldurst des Landes ganz zu schweigen. Im Jahr 2011 betrug der Anteil Chinas an der weltweiten Ölförderung 5,1 Prozent. Verbraucht hat das Land dagegen zehn Prozent der weltweiten Fördermenge. Tendenz stark steigend. Um für Rohstoff-Nachschub zu sorgen, kauft sich das Reich der Mitte in Afrika deshalb bereits in ganze Länder ein.

[] Umgang mit Minderheiten

Dass die neue Führung komplett aus der Bevölkerungsgruppe der Han-Chinesen kommt, spricht Bände: Minderheiten haben in China weiterhin einen schweren Stand, obwohl das Land insgesamt aus 56 offiziell anerkannten "Nationalitäten" besteht. Wer kein Han-Chinese ist, verdient in der Regel weniger und hat schlechtere Aufstiegsmöglichkeiten. Bestrebungen von Minderheiten wie den Uiguren oder den Tibetern, größere Autonomie zu erlangen, werden gewaltsam unterdrückt. Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen oder Selbstverbrennungen.

[] Kontrollverlust der Kommunikation

Die geografische Größe des Landes machte es für Chinesen über Jahrtausende hinweg schwierig, mit Menschen aus anderen Regionen des Landes in Kontakt zu kommen. Das Internet hat das geändert - und der angeschlossene Teil des Volks macht inzwischen vermehrt Gebrauch davon: Alleine der Mikrobloggingdienst Weibo hat 300 Millionen Nutzer, die dort plötzlich erkennen, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine dastehen.

Um die Kommunikation zu sensiblen politischen Themen zu verhindern, zensieren, filtern und blockieren die Behörden das Netz. Dennoch gelingt es den Netzbürgern immer wieder, Chinas große Firewall zu durchlöchern, inzwischen wurden schon einige lokale Skandale durch die Verbreitung im Netz zum Problem für die Partei. Dass China von seiner Zensurlinie abrücken wird, ist nicht abzusehen, zumal die Polizei schnell vor der Tür steht, sobald sich die Netzbürger in der physischen Welt organisieren wollen.

[] Die drohende Immobilienblase

Die Bau- und Immobilienbranche beschäftigte 2011 jeden zehnten Arbeitnehmer in China und ist inzwischen für die Hälfte des Wirtschaftswachstums im Land verantwortlich. Kein Wunder, dass sie im Fokus der chinesischen Führung steht: Mit strengeren Kreditrichtlinien, Festsetzung höherer Anzahlungssummen und Kaufbeschränkungen für Investoren versuchte man in den vergangenen zwei Jahren, eine Immobilienblase zu verhindern. Gleichzeitig investiert der Staat nun in den sozialen Wohnungsbau, um das Leben in den Städten bezahlbar zu halten.

Nur: Einer Schätzung der Analysefirma CK Dragonomics zufolge gehen 80 Prozent solcher Immobilien an gut vernetzte Beamte und Manager staatlicher Unternehmen. Die Wohnungspreise sinken derzeit tatsächlich leicht; weil viele Provinzregierungen allerdings die Steuereinnahmen aus solchen Geschäften dringend benötigen, drängen sie auf eine Rücknahmen der Anti-Blasen-Maßnahmen.

[] Chinas neue Rolle in der Welt

Das Zeitalter des amerikanischen Weltpolizisten ist vorbei, doch Peking wird diese Rolle nicht ausfüllen: Bislang richtet die Führung den Blick meist nach innen und handelt nach rein wirtschaftlichen Interessen. Im UN-Sicherheitsrat gilt China als Blockierer; Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützt es aufgrund der eigenen Zusammensetzung des Landes in der Regel nicht.

Allerdings ändert sich mit dem wirtschaftlichen Einfluss zwangsläufig die Perspektive: Die Industrie des Landes ist abhängig von Rohstoffen, vor allem von Öl - weshalb Peking ein geopolitisches Interesse an der Stabilität im Nahen Osten und der arabischen Welt hat. Zudem schützt das Land seine Handelsrouten, die inzwischen weitverzweigt durch die ganze Welt führen.

Wie China seine Rolle künftig definiert, liegt in der Hand der neuen Führung. Der Rest der Welt beobachtet die Entwicklung mit Spannung. Die Frage lautet: Wie verändert sich unsere Welt, sollte China wirklich beginnen, außen- und sicherheitspolitisch mehr Einfluss jenseits des pazifischen Raums entwickeln wollen.

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