Libyen:Milizen rächen sich an Gaddafi-Anhängern

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Die Nato beendet heute ihren Einsatz in Libyen, doch jetzt kommt es zu brutalen Vergeltungsaktionen der neuen Machthaber. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch terrorisieren Milizen aus Misrata eine Nachbarstadt. Menschen würden geschlagen, willkürlich festgenommen und vertrieben.

Genau sieben Monate hat er gedauert, heute nun beendet die Nato offiziell ihren Luftwaffen-Einsatz in Libyen, doch es wird lange dauern, bis das Land zur Ruhe kommt. Die US-Außenministerin Hillary Clinton sieht das Land vor großen Herausforderungen.

Ein Schild, das den Weg in die Stadt Tawargha weist. Dort sollen libysche Milizen die Einwohner terrorisieren. (Foto: AP)

Kampfflugzeuge von zwölf Nato-Staaten und vier anderen Ländern hatten seit Ende März rund 9600 Kampfeinsätze gegen das Militär des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi geflogen. Kriegsschiffe kontrollierten mehr als 3100 Schiffe vor der libyschen Mittelmeerküste, um Waffeneinfuhren zu verhindern.

Zum offiziellen Ende der Mission besuchte Anders Fogh Rasmussen, Generalsekretär des Militärbündnisses, Libyen. Dort wollte er mit Vertretern der Übergangsregierung zusammentreffen. Es war Rasmussens erster Besuch in Libyen seit Beginn des Aufstands gegen das Regime Gaddafis im Februar. Schon vor seinem Besucht hatte Rasmussen gesagt, die Mission sei "eine der erfolgreichsten der Geschichte der Nato". Der monatelange bewaffnete Konflikt in dem nordafrikanischen Land war mit der Tötung Gaddafi am 20. Oktober zu Ende gegangen.

Die Probleme des Landes sind allerdings damit noch lange nicht gelöst: Milizen in der libyschen Stadt Misrata üben nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten Rache an Anhängern Gaddafis. Die Organisation Human Rights Watch (HRW) berichtete unter Berufung auf Dutzende Augenzeugen im ganzen Land, Bewaffnete aus Misrata würden aus der Nachbarstadt Tawargha vertriebene Einwohner "terrorisieren".

Es lägen glaubhafte Berichte vor, dass auf unbewaffnete Menschen aus Tawargha geschossen werde, zudem gebe es willkürliche Festnahmen und Gefangene würden brutal geschlagen. Die Milizen werfen den ehemaligen Einwohnern Tawarghas vor, an der Seite von Gaddafis Truppen in Misrata Gräueltaten wie Vergewaltigungen und Morde verübt zu haben.

HRW zitierte einen Milizenvertreter mit den Worten, den Vertriebenen dürfe deswegen "niemals die Rückkehr" nach Tawargha erlaubt werden. Die Stadt galt als Hochburg von Gaddafi-Anhängern und diente seinen Truppen auch als Basis für Angriffe auf Rebellen in Misrata. Als die Aufständischen Mitte August ihre Offensive in Richtung Tripolis ausweiteten, wurden die meisten der rund 30.000 Einwohner vertrieben. Die Organisation erklärte, derlei Racheakte gefährdeten das "Ziel der libyschen Revolution".

Menschen aus Tawargha, denen Verbrechen vorgeworfen würden, müssten "gemäß dem Gesetz" und nicht in Selbstjustiz zur Verantwortung gezogen werden. HRW rief die neue Regierung in Libyen dazu auf, die noch verbliebenen zahlreichen Bewaffneten in Misrata unter ein einheitliches Kommando zu stellen.

Die libysche Übergangsregierung bestätigt unterdessen, dass es Chemiewaffen in ihrem Land gibt. Ministerpräsident Mahmud Dschibril sagte, in dieser Woche würden sich ausländische Inspektoren des Problems annehmen. Das neue Libyen habe kein Interesse daran, solche Massenvernichtungswaffen zu besitzen. Dschibril sagte, seine Regierung habe der Organisation für das Verbot chemischer Waffen in Den Haag mitgeteilt, dass an zwei Orten in Libyen Chemiewaffen gefunden worden seien. Auch die USA seien informiert worden, "weil sie die Technologie besitzen, um mit diesen Stoffen umzugehen". Dschibril erklärte: "Die Tatsache, dass wir die Organisation in Den Haag informiert haben, ist ein Beweis dafür, dass das neue Libyen ein Land ist, dass sich an internationale Abkommen hält."

Die libysche Zeitung Qurayna al-Jadida hatte in der vergangenen Woche unter Berufung auf einen Oberst der Armee gemeldet, in dem Gebiet Al-Wagha südlich der Stadt Al-Dschufra lagere bis heute eine Tonne Senfgas.

Doch nicht nur deshalb steht die neue libysche Führung nach Auffassung von US-Außenministerin Hillary Clinton vor schwierigen politischen Herausforderungen. Vor allem habe die neue Führung wenig politische Erfahrung, sagte Clinton in einem Interview mit der Washington Post. Eine große Herausforderung sei es, die Nation aus unterschiedlichen Stämmen sowie mit verschiedenen politischen und religiösen Ansichten zu einen. Auch müsse ein Weg gefunden werden, um mit der Rivalität zwischen dem Osten und dem Westen des Landes umzugehen. Die neue Führung würdigte Clinton zugleich als "umsichtig" und sicherte die weitere Unterstützung der USA zu.

© sueddeutsche.de/dpa/Reuters/AFP/segi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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