Libyen:Der Fall Iman al-Obeidi: Vergewaltigt, verschleppt, verschwunden

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Es ist ein Dokument der Unterdrückung: Ein Video zeigt, wie eine Libyerin Journalisten von ihrer Vergewaltigung durch Gaddafi-Anhänger berichtet. Dann schleppen Sicherheitskräfte sie weg. Seither ist sie verschwunden.

Das Video ist nur etwas länger als eine Minute. Doch es enthält politischen Sprengstoff. Es ist Sonntag, 26. März. Im Restaurant des Hotels "Rixos" in Tripolis frühstücken an diesem Morgen ausländische Journalisten, die sich seit Wochen in dem Hotel aufhalten - die Berichterstatter dürfen sich in Tripolis nicht frei bewegen. Da platzt plötzlich eine Frau in den Raum. Sie wirkt verstört, ihr Gesicht ist gerötet. "Schauen Sie, was mir Gaddafis Truppen angetan haben", sagt sie, sie deutet auf breite, rote Schrammen in ihrem Gesicht, weist auf Narben an ihren Schenkeln, Kratzer an den Beinen, rote Striemen an Hand- und Fußgelenken.

Rote Striemen im Gesicht: Iman al-Obeidi bei ihrem Versuch, Journalisten von ihrem Martyrium zu erzählen. Die Frau gilt als verschwunden, seit Sicherheitskräfte sie aus dem Hotel in Tripolis wegbrachten. (Foto: AP)

Sie erzählt, dass mehrere Männer sie vergewaltigt hätten. Mit drastischen Worten schildert die Frau die Tat: "Ich war gefesselt, sie urinierten und koteten auf mich", zitiert der Korrespondent der New York Times die Frau. Zwei Tage hätten Gaddafis Truppen sie festgehalten und vergewaltigt, nachdem man sie an einem Checkpoint nahe Tripolis aufgegriffen habe.

Der jungen Frau, die sich als Iman al-Obeidi vorstellt, bleiben nur wenige Minuten, um den Vorfall zu schildern. Dann geht alles ganz schnell: Als die Journalisten versuchen, mit ihr zu reden, schreiten Sicherheitskräfte ein. Auch Hotelpersonal befindet sich unter den Männern, die versuchen, die Frau buchstäblich mundtot zu machen. Sie wehrt sich, schreit - vergeblich. Schließlich wird sie von den Sicherheitsleuten abtransportiert. Der Fernsehsender Sky News zeigt Bilder, auf denen einer der Männer der Frau die Hand vor den Mund hält.

Die Tatverdächtigen erstatten ihrerseits Anzeige

Die Korrespondentin des Senders berichtet von Einschüchterungsversuchen gegenüber Journalisten: Auf ein Kamerateam sei eine Pistole gerichtet worden, mehrere Reporter, die der Frau zu Hilfe eilen wollten, seien von den Sicherheitskräften auf den Boden gedrückt, die Ausrüstung der Kamerateams sei beschädigt worden. Bevor sie weggebracht wurde, habe al-Obeidi den Journalisten noch sagen können, dass sie aus Bengasi stamme, der Hochburg der Rebellen.

Die Regierung spielt den Vorfall herunter. Zunächst hieß es, es handele sich bei al-Obeidi um eine kranke, verwirrte Frau, möglicherweise eine Prostituierte. Am Sonntag dann revidierte Gaddafis Regime seine Einschätzung, zumindest was al-Obeidis Verhandlungsfähigkeit betreffe: Regierungssprecher Moussa Ibrahim sagte, al-Obeidi befinde sich in Polizeigewahrsam, sie werde verhört, man nehme ihre Vorwürfe ernst, sie werde als Mensch mit gesundem Verstand behandelt.

Allerdings sieht sich al-Obeidi nun ihrerseits Anschuldigungen ausgesetzt: Die vier Tatverdächtigen hätten gegen die junge Frau wegen übler Nachrede Anzeige erstattet. "Ihre Ehre ist verletzt, der Name ihrer Familien ist beschmutzt und das ist im islamischen Recht ein schwerwiegendes Vergehen", so Ibrahim.

Der Sprecher stritt außerdem eine politische Dimension des Vorfalls ab: "Sie sagt, vier Männer hätten sie verschleppt und vergewaltigt, einer davon sei der Sohn eines Beamten. Das kann man nicht als politisch bezeichnen, der Sohn eines Staatsbeamten ist auch nur ein Mensch", zitiert der Sender Sky News den Mann.

Inzwischen hat sich auch al-Obeidis Mutter, Aisha Ahmad zu Wort gemeldet: Sie berichtete Journalisten von Schmiergeldangeboten, wenn ihre Tochter die Anschuldigungen zurückziehe. Ahmad erzählte weiter, ihre Tochter habe Journalistin werden wollen, sich allerdings aufgrund der fehlenden Presse- und Meinungsfreiheit in Libyen für ein Jura-Studium in Tripolis entschieden.

Solidaritätsbekundungen im Netz

Die 29-jährige Frau ist Medienberichten zufolge verschwunden, seit die Sicherheitskräfte sie aus dem Hotel zerrten. Zwar meldete die Regierung am Montag, man habe al-Obeidi freigelassen. Auf die Frage nach dem derzeitigen Aufenthaltsort von al-Obeidi sagte Regierungssprecher Ibrahim dem Fernsehsender al-Dschasira allerdings, sie sei entweder bei ihrer Familie oder würde erneut verhört. Und weiter: Er könne sich nicht an Imans anderen Namen erinnern - ein Hohn für die Unterstützer al-Obeidis, die täglich mehr werden.

Nachdem es bereits am Sonntag in Bengasi zu Solidaritätsbekundungen kam, haben sich auch im Netzwerk Facebook mehrere Gruppen gegründet. "Sie ist eine der mutigsten Frauen in der modernen arabischen Geschichte", schreibt ein Nutzer auf der Startseite der Gruppe "Free Iman Al-Obeidi".

In den Hochburgen der Aufständischen feiern viele Frauen sie als "Heldin der Revolution": Vergewaltigung gilt im arabischen Kulturkreis als so großes Tabu, dass die Opfer es nur sehr selten wagen, öffentlich darüber sprechen.

© sueddeutsche.de/dpa/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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